Eine Quellensuche am Sonntag

Der Bus fährt am frühen Sonntagvormittag aus dem Bergdorf auf über 900 m hinunter in die Stadt Linz. Er ist ganz leer, wo sonst viele Wanderer mitfahren. Ich steige hinten ein. Das ist jetzt so. Kein Kontakt zum Busfahrer. Meine OÖV-Jahreskarte zeige ich bewusst nach vorne. Sie hat in diesen Tagen Identitätsprobleme. Sie wird nicht gebraucht. #stayhome.  Aber heute fahre ich auf Quellensuche in die größte Kathedrale Gottes, die Natur. Fast 500 Höhenmeter kurvt der Busfahrer mit mir hinunter. In der Speichmühle steige ich aus. Zwei große Bäche münden hier zusammen. Den linken nehme ich.  Großes Wasser. Es weht ein kalter Nordwind. Auf zur Quelle. Schritt für Schritt.

Ein Blick nach Rumänien, die Slowakei und Italien

Die Gedanken nehmen angesichts des fließenden Wassers Anlauf zu Menschen, denen ich mich besonders verbunden fühle. Wie wird es in Rumänien sein? Bernadett ist mit uns am Marienweg gegangen. Sie hat mir das via Messenger geschrieben: „Lieber Ferdinand, hier ist von heute abend volles Ausgehen-Verbot, nur für dringende Arbeit oder Lebensmittelkauf wie in Italien. Viele Leute haben ihre Arbeitsplätze verloren, unter anderen die Autofabrik Dacia hat sich verschlossen. Ich persönlich denke viel an meine Schwester, die in einem Familienheim für obdachlose Mütter mit Kleinkindern arbeitet. Eine Mutter geriet Donnerstag ins Krankenhaus mit Coronavirus. Sie hatte schon drei Tage davor Fieber aber wegen Angst hat sie nichts gesagt. Jetzt ist das Heim und alle Mitarbeiter in Karantene. Meine Schwester ist 56 Jahre alt, aber gibt es ältere Kolleginnen auch.“ Sie hat so gut Deutsch gelernt. Bewundernswert.

Die großen Steine, über die das Wasser hinunterstützt, sind mit Moos bewachsen. Eine Idylle und wunderschön. Woher kommt dieses lebendige, saubere und quirrlige Wasser? Meine Schritte gehen jetzt direkt am Wasser, das viel kleiner geworden ist. Immer wieder fließende Bächlein von links, dem Osthang am Bach. Meine Schritte und meine Augen gehen und sehen den Barbaraweg in der Slowakei. Branko kommt mir immer wieder in den Sinn. Er hat uns damals so wunderbar begleitet. Auch er hat mir geschrieben mit einer Nachfrage an mich: „Lieber Ferdinand, uns geht es soweit gut, sind in der Quarantäne… Bis jetzt meines Wissens alle gesund und voller Hoffnung, dass die Seuche bald vorbei sein wird. Hoffentlich kommt Eure Wanderung zustande… Viele Gruesse an Euch, wir druecken uns die Daumen. Und wie ist der Zustand bei Euch?“ Ich schreibe ihm, dass wir in einem „tiefen Innehalten“ leben und „alles vorhanden ist“. Wir hoffen beide, dass wir einander Ende Juni am Barbaraweg sehen.

Klein ist das Bächlein schon geworden. Meine Schritte gehen wieder in den Wald hinein und kommen auf die „Waldwiese“, wo sich das Quellewasser findet aus verschiedenen Rinnsalen. Ich schaue der Sonne entgegen und sehe irgendwie Assisi vor mir, Bruder Thomas vom Konvent bei der Basilika.  Er hat uns damals bei den Feierabend-Filmaufnahmen die Basilika gezeigt. Auf FB schreibt er über die Lage: „Wir haben hier in Umbrien derzeit etwa 400 erkrankte Personen und 7 Sterbefälle durch die Auswirkungen des Coronavirus. Das ist schlimm genug, aber daß die Zahl vergleichsweise niedrig ist, liegt an den strengen Bestimmungen der Regierung und an der konsequenten Kontrolle durch die Polizei und andere Ordnungskräfte. Von diesem Blick her sind die Anordnungen des Ministerpräsidenten Söder völlig verständlich und auch die anderen Landesregierungen sollten ihnen folgen und Diskussionen und Streit vermeiden. Ich kann das von hier aus nur bekräftigen, die Maßnahmen retten Menschenleben.“ Es macht Sinn, was wir gerade in großer Solidarität hier in Österreich gemeinsam tun.

Von der Quelle geht es über das „Schneefeld“ (wir wollten heute zu unserer Schitouren-Woche nach Tirol aufbrechen) hinauf zum Jesus-Marterl am Breitenstein, das ich vor Jahren mit Firmlingen gebaut habe. Immer wieder komme ich hierher, um zur Quelle zu gehen, aus der Quelle zu trinken und irgendwie Trost zu finden, am Wasser, bei diesem Marterl und in der größten Kathedrale Gottes, der Natur. Es sind jene Verbindungsknoten, die bis weit in die Welt hinausreichen. Wir sind miteinander auf sehr besondere Weise verbunden.