Jesuanische Kirche im Sozialraum. Nähe hat die größte Kraft

Am 1. und 2. Juni tagt die Diözesanleitung zum „Zukunftsprozess“. Wie geht die Diözese Linz in ihre Zukunft? Welche Ziele und Maßnahmen stehen an, um dem Auftrag Jesu gerecht zu werden. Ich selber durfte heute 1. Juni ein Seminar mit dem Titel: „Vom Fall zum Feld. Soziale Räume statt Verwaltungsbezirke“ moderieren. Prof. Werner Springer von der Uni Duisburg-Essen war der Impulsgeber.

Auf der Suche nach Sinn, Glück, Entlastung und Erleichterung des Alltags

Prof. Springer erörterte  „Basics“ zum sozialräumlichen Denken und Arbeiten. Der Mensch ist „auf der Suche nach Sinn, Glück, Entlastung und Erleichterung des Alltags“. Darum geht es. Wie können zur Erfüllung dieses Wunsches vorhandene Resourcen zusammengebunden werden. Es geht darum, „Partizipation zu organisieren“. Voraussetzungen dafür sind „Akzeptanz, Empathie und Authentizität“. Das sind keine Zugaben, sondern grundlegende Haltungen. Sozialräumlich arbeiten heißt, Impuse zu setzen, damit BewohnerInnen im Sozialraum „das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen können.“ Jede und jeder will „das Eigene in die Welt bringen“ und nicht Objekt sein.

Wo sich Handeln an der Lebenswelt orientiert

Was ist nun wirklich ein Sozialraum? – fragt nach geraumer Zeit eine Teilnehmerin. Organisatorisch definierte Räume sind Verwaltungsräume. Der Sozialraum nimmt alles in den Blick, „wo sich Menschen im Alltag bewegen (Straße, Plätze, Wege, Funktionsträger, Institutionen, Familien, Gruppen,…), wo ihre Lebenswelt sich individuell ausdehnt.“ Jeder Mensch hat seinen und ihren Lebensraum. Dieser ist nicht territorial eingeschränkt. Die Frage ist: „Was können wir tun, damit Menschen sich in ihrem Lebensraum daheim fühlen?“. Welche Ressourcen sind da, welche können neu in Gang gesetzt und vernetzt werden, „damit der Lebensraum bewohnbar wird und bleibt“.

Größere Pfarreinheiten sind kontraproduktiv

Springer spricht ganz ungeschminkt den Trend in den deutschen Diözesen an, wo Pfarren in größere Verbände zusammengelegt werden mit dem Argument, „dass heute ohnehin alle viel mobiler sind“. Dem widerspricht er aufs schärfste. Der weitaus größte Teil der Gesellschaft ist nicht mobil. Alte, Kranke, Kinder, Armutsgefährdete, Kleinverdiener,…können sich die Mobilität nicht leisten und deshalb ist es wichtig, „dass zumindest die Kirche vor Ort bleibt und den Sozialraum mitentwickelt und kulitivieren hilft. Wer soll den Menschen sonst helfen, „einen gelungenen Alltag zu organisieren“? Meine Gedanken gehen wieder zum Zukunftsprozess in der Diözese, wo auch in größeren Räumen verwaltet werden soll. Die Gedanken gehen weiter, ob eine Kirche wie die Amtskirche überhaupt noch eine Relevanz hat, den Menschen im Alltag zu helfen. 

Begegnungen auf Augenhöhe

Jesuanischer Kirche und jesuanisch geprägte Pastoralgemeinschaft  begegnet einander auf Augenhöhe (nicht von oben herab), pflegt eine Sprache auf Augenhöhe und entwickelt ein empathische und authetische Körpersprache auf dieser Ebene. Ihre Symbole und Riten sind geschwisterlich geprägt, voller Leben. Sissi Kamptner hat in Mariazell beim Kongress die Bischöfe aufgefordert: „Verzichten sie auf die Insignien der Macht.“ Und sie sind ihr ein Stück weit gefolgt und haben Mitra und Stab in der Sakristei gelassen. Kirche kann den Sozialraum vor Ort mitentwickeln, wenn sie die Grundprinipien sozialräumlichen Arbeitens beherzigt, zu Herzen nimmt: Verzicht auf Macht, „Durchsichtigkeit“ und Vernetzungsfähigkeit.

Worum geht es?

Sozialräumlich arbeiten heißt, ganz an der Lebenswelt einzelner und von Gruppen orientiert vorgehen.
Der Wille, das Interesse und die Zielsetzung der konkreten Menschen ist die Vorausetzung für jegliche Aktivität.
Kontakt stiften und handlungsfähig machen ist die Grundintention.
Das resourcenorientierte Menschenbild (dh. wo liegen die Fähigkeiten, das Können und die Chancen der Betroffenen) ist dem defizitorientierten Menschenverständnis der absolute Vorrang einzuräumen.
Der klare und ungeschminkte Blick auf die Wirklichkeit hilft weiter.
Professionelles Agieren legitimiert sich einzig in der Lösung von Alltagsproblemen und Alltagsherausforderungen.
Buttom-up“ hat die größte Kraft zur Veränderung und jedem „Top-down“ ist mit Skepsis zu begegnen, hat den Hang zur Entmündigung.
Es entstehen dort tragfähige Netzwerke, wo jeder seinen sinnstiftenden Beitrag zur Bewältigung einer Alltagsherausforderung leisten kann.

Abschied nehmen und endlich den „Neuanfang sozialräumlich wagen“

Natürlich gehen meine Gedanken  wieder zum Zukunftsprozess. Darf die Diözese den eingeschlagenen Weg des „sozialrämlichen Entwickelns“ weitergehen oder wird er von oben als zu gefährlich eingestuft. Dieser Weg ist als „Linzer Weg“ von den Betroffenen positiv und von oben herab negativ apostrophiert worden. Von Rom, vom Gehorsam hat der Bischof heute im Interview in den OÖN gesprochen, also „top down“ ist angesagt. Die Pfarren und Pastoralgemeinschaften entwickeln sozialräumlich ihre Pfarrgemeinschaften. Ehrenamtliche sind hochmotiviert, wenn sie um der Menschen willen arbeiten können. Daher ist mein Gedanke: Wagen wir den ganz konsequenten sozialräumlichen Ansatz für die Weiterentwicklung der Kirche, einer Kirche unten, bei und mit den Menschen – eben: um der Menschen willen.
Das heißt aber auch, dass die finanziellen Ressourcen „unten bleiben müssen“, strukturell und ganz praktisch. In Reichenau zahlen zB. etwa 100 Personen ihren Kirchenbeitrag als Zweckwidmung „Soziales“ direkt in die Pfarre.

Außerdem: Wenn ich diesen heutigen Tag  mit Jesus und seinem Leben in Verbindung bringe, dann bin ich mir ganz sicher, dass ER ein hervorragender Arbeiter im Sozialraum war, ein Sinnstifter, ein Vernetzer und „voller Akzeptanz, Empathie und Authentizität“.

3 Kommentare

  1. Ja, das ist Kirche, weil es um die Menschen geht. Vornehmlich um die, die Ungerechtigkeit zu ertragen haben. Dabei ist es unabhängig ob dies in- oder außerhalb der Kirche geschieht, in unserer nächsten Umgebung oder sonst wo auf der Welt. Diese Menschen erwarten zurecht unser Mitgefühl, unsere Solidarität, vor allem unseren Einsatz für Gerechtigkeit. Dazu braucht es die überschaubaren und miteinander vernetzten Gemeinden am Ort, in denen Liebe und Gerechtigkeit eingeübt und im Handeln nach außen abgestützt werden kann. Komm und sieh!

    • Barbara auf 4. Juni 2010 bei 11:03

    Ich glaube auch, die großen Strukturen wie Kath. Frauen, Kath. Männer, Kath. Aktion, Kath. Jugend und so weiter sind ein Relikt einer vergangenen Zeit.

    Viele sind der basisdemokratischen Hick-Hack-Politik überdrüssig und verstehen nicht, wieviel Energie da sinnlos verpufft.

    • Jesus Christus auf 13. September 2010 bei 15:33

    Die jesuanische Variante des jüdischen Glaubens breitete sich zunächst in Galiläa aus, dann auch in Jerusalem, dem religiösen Zentrum Israels, und von Palästina ausgehend schließlich in der ganzen jüdischen Diaspora, über den Libanon und Syrien weiter in oströmische und weströmische Bereiche, und über das Ostjordanland bis nach Südarabien. Die jesuanische Mission war besonders erfolgreich unter den noch aramäisch sprechenden Juden, denn diese konnten besser als die fremdsprachigen Anhänger anderer Religionen die gute Botschaft des Juden Jesus verstehen und dadurch auch leichter akzeptieren. Damit hängt zusammen, dass die jesuanischen Juden in der Diaspora noch über lange Zeit die gleichen Synagogen mitbenutzten wie ihre altgläubigen Glaubensbrüder. Erst später und sekundär wurden auch Nicht-Juden, die zuvor anderen orientalischen und griechisch-römischen Religionen angehört hatten und vorwiegend griechisch bzw. lateinisch sprachen, jesuanisch missioniert und nach scharfen Auseinadersetzungen schließlich als „Heidenchristen“ akzeptiert. Das lag schon deshalb nahe, weil es in der jüdischen (mosaischen und jesuanischen) Diaspora, in Mesopotamien, Ägypten und im ost- und weströmischen Reich keine so eindeutigen Abgrenzungen mehr gab wie in dem nach den Säuberungsaktivitäten des Propheten Esra einigermaßen „heidenreinen“ Israel. In der Diaspora zählte der neue Glaube mehr als die Muttersprache und die damit erkennbare ethnische Herkunft, und die Übersetzungen der hebräisch-aramäischen Texte ins Griechische und Lateinische halfen zusätzlich zur Internationalisierung der jüdischen Sekte der Jesuaner zu einem auch außerjüdischen Christentum, so dass die Heidenchristen später im ganzen römischen Reich eine immer bedeutendere Rolle spielen konnten.

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