Wir sind nur Gast auf Erden. Es gibt keine dreieinhalb Planeten. Die Technisierung ist in den Herzen angekommen. Tiere sind Lebewesen und keine Produktionsmaschienen. Die glückliche Genügsamkeit neu entdecken. – Aussagen, die wir kennen. Für die IG-Milch Post habe ich einen jesuanischen Blick auf die Entwicklungen in der Landwirtschaft versucht. Hier der Text: Jesus hat rebelliert.
Da gab es eine Zeit, in der vieles auseinanderfiel. Für Bauern gab es kein Weiterkommen. Jeder alleine in seiner Situation, der Natur mit ihren Naturgewalten, Krankheiten, Seuchen und Katastrophen ausgeliefert. „Was dem einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Friedrich W. Raiffeisen führte die Bauern im ursprünglichen christlichen Sinne in Genossenschaften zusammen. Lokal verbündet. Der bewusste Blick auf das Christentum und seine tiefe Idee von der unteilbaren Menschenwürde, der Fokus auf die jesuanischen Werte, die Kraft von lebendigen Ritualen und einer solidarischen Zugehörigkeit, Zusammengehörigkeit half dabei, war vielleicht Auslöser. In der Apostelgeschichte steht: „Und sie hatten alles gemeinsam.“ Die vor mehr als einhundert Jahren gegründeten Raiffeisen- und Verbändegenossenschaften blickten gemeinsam genau in diese Richtung, gingen den Weg der Subsidiarität, der gegenseitigen Hilfestellung und der Solidarität für und mit allen, in Würde, in Fairness, in Richtung Gerechtigkeit, Lastenausgleich und Ertragsteilung. Dieses „Zusammen-gehen auf Augenhöhe“ führte sie heraus aus der Isolation, aus Depression, aus Abhängigkeiten – oft auch aus Not und Elend. Intelligenter Weise verknüpften sie sich mit Handwerkern, Arbeitern und Gewerbetreibenden. Diese Vielfalt machte sie stärker und die Grundidee „Hilfe durch Selbsthilfe“ konnte wachsen.
Christliche Werte zuoberst?
Dabei institutionalisierte sich alles, auch die Macht. Genau dort „bricht“ die Grundidee und kehrt sich um. „Institute“ sprossen aus dem Boden, „Verbände“ wurden geschaffen, „Marketing-Plattformen“ und „Zertifizierungsmechanismen“ zogen ins Land. Nach außen „gehörte alles den Bauern“, wurde alles zum Wohle der Bauern dargestellt. Nach innen wurde eine „scharfe Hierarchie aufgebaut“, die die Großen immer größer machte, die Technokraten mit Landwirtschaftstechnik über die Natur herrschen ließ, die Bürokraten über das naturverbundene Leben stellt und Landwirte zu Rohstofflieferanten degradiert. Dabei sollten sie sich dem ungebremsten Optimierungswahn unterwerfen. Wer die Natur am effizientesten auspresst, Tiere zu Höchstleistungen auffüttert und „Massen“ produziert, ist ganz vorne dabei. Wenn der Rahm abgeschöpft, die Buttermilch entnommen und die Spitzengehälter ausbezahlt sind, die Funktionäre ihren Aufwand entschädigt bekommen haben, bleibt für die kleinen und naturverbundenen Bauern, die die Eigentümer „ihrer Genossenschaft“ sind oder wären, ein Butterbrot übrig. Butter ungewiss. Die genossenschaftlichen Besitzer wurden die Letzten in der Reihe, müde, ausgeliefert, oft verschuldet, zum Aufgeben gezwungen, manchmal den Suizid-Gedanken abwehrend. Der Kehrvers der Verantwortlichen ganz oben: „Bei uns stehen christliche Werte zuoberst.“
Ausstoßen und demütigen geht nicht
Christlich geht allerdings anders. Werfen wir einen ungeschminkten und ungeschönten Blick auf diesen Jesus von Nazareth. Gut, zweitausend Jahre her. Und doch die „Ankerperson“, wenn es um christlich geht. Geschäftemacher hat er aus dem Tempel hinausgeworfen. Der Tempel war damals nicht nur Kultstätte, sondern der Begegnungsort von Menschen im Angesichte Gottes. Auch damals haben die Etablierten das gesamte Menschsein dem Mammon, dem Geschäftemachen untergeordnet und haben sich selbst im Nehmen gefallen. Jesus war mit Blick auf seinen Gott ein Rebell: „Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten. Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Jesus geht hinaus in die Wüste, in die Natur, auf den Berg, lebt sich ungebremst hinein in seine Mitwelt, um ein tiefes Nachdenken und Aufstehen anzuregen. Daraus erwächst seine unglaubliche Achtsamkeit, Empathie und Compassion den „Kleinen“ gegenüber. Er richtet auf und holt herein. Ausstoßen oder demütigen geht für ihn gar nicht. Jesus rebelliert gegen die uneingeschränkt Mächtigen. Das tut er mit seinem bloßen Leben, das sie ans Kreuz nageln. Sein Erlösungswerk ist im Grunde die Erkenntnis, dass wir nicht weiter Sündenböcke, die Anderen als Schuldige brauchen. Zusammenhalt entsteht im Sinne Jesu aus einem Geist vielfältigen, geschwisterlichen Miteinanders. Das ist Pfingsten, die Geburtsstunde der Kirche. Dauerndes Vergleichen, ständige Rankings und die allgegenwärtige Zahlenmagie führen uns auseinander, spalten in Bessere und Schlechtere, Schnellere und Langsame, Tüchtige und „eh selber schuld“.
Mehr „We are“ statt „I am“
Mit Blick auf das wirtschaftliche Treiben heute (gerade auch der bäuerlichen Genossenschaften) sehen wir allerdings Überreichtum einerseits und Demütigungen in Abhängigkeiten andererseits. Das und der Große wird größer. Die größere Milchliefermenge wird besser bezahlt. Achtung: Der Kleine ist groß bei Gott. Genau wie am Anfang der Genossenschaften. Bedingungslose Solidarität, offene Gastfreundschaft, eine glückliche Genügsamkeit, die Grenzen der Natur anerkennen, im Zusammenhalt aus der Not herausführen ist das Programm Jesu – und der Selbsthilfeverbände. Mit der Enzyklika „Laudato si“ erinnert Papst Franziskus 2015 an dieses gemeinsame Anliegen. Mehr „We are“ und weniger „I am“. Das entspricht der christlichen Grundstimmung. Der Papst fordert alle auf, den Wechsel vom technisch-technokratische Lebensmodell in ein sozial-ökologisch-spirituelles Welt- und Menschenverständnis zu begehen.
Es braucht rebellische Kräfte Richtung fairem Wandel
Bei genauem Hinschauen spüren wir, dass das Große gerade „irgendwie in die Knie geht“, moralisch und ethisch gemeint. Mit Luftschlössern werden Medien beliefert, damit die Menschen den Blick nicht auf die Realität senken. Die Großen wirtschaften gerade so, dass wir 3,5 Erden bräuchten. Ihre Lebensideen sind geprägt von Algorithmen, vom Denken entlang der Megamaschine, Wachstum ist ihr Credo Tag und Nacht, Distanziertheit zu allem Lebendigen zeichnet sie aus und alles Leben wird in Excel-Listen „auf das Immer-Gleiche hin nivelliert“. In mittlerweile allen Lebensbereichen. Byung-Chul Han hat ein wunderbares und entlarvendes Buch geschrieben: „Die Austreibung des Anderen“. Die christlichen Werte, christliche Rituale und christliche Solidarität holen „das Andere“ herein und wir merken: „Fremdes bereichert, Vielfalt stärkt und Gemeinschaft hält“. Ein gutes Leben für alle ist die christliche Ansage. Wer Christentum als „Lebensverschönerungsgehabe“ missversteht, wird hochtrabende Worte hervorholen, Weihrauchfässer anwerfen und den immer gerade Mächtigen als Ministrant zur Verfügung stehen. Es braucht hellwache Kirchenverantwortliche (Bischöfe), die sich nicht länger dafür benutzen lassen, diesem kränkelnden Status quo die Stange zu halten. Wenn es „fair“ werden soll auf dieser Welt, braucht es rebellische Kräfte für einen tiefgehenden und fairen Wandel. Wer sein oder ihr Christentum jesuanisch anlegt, wird aktiv bleiben oder jetzt werden. Jesus hat rebelliert.