Eigentlich wollte ich beim „Verrücken“ des gr0ßen Hauses zuschauen. Morgen ist es soweit. Ich gehe in die St. Joseph Church und lese über die Baugeschichte und die Aktivitäten. Ganz am Ende steht, dass jeden Tag „homeless people“ versorgt werden. Ich gehe um die Kirche herum und sehe die Baracken. Eine Tafel zeigt mir „Rebuilding Center at St. Joseph Church“. Ich gehe hinein. Drinnen sitzen etwa 100 Perssonen. Die Frau am Eingang weißt mich auf Sr. Vera hin, die gerade mit ein paar Leuten spricht.
Der Erzbischof zu Besuch: Nicht „would“, sondern „is“
Sr. Vera nimmt sich Zeit für mich und meine Fragen. Mitten im Gespräch erzählt sie, dass der Erzbischof kurz nach der Eröffnung 2007 da war und gemeint hat. „If Jesus were around here today, he would be here.“ Sr. Vera hat ihn ganz ruhig korrigiert und zu ihm gesagt: „No, Jesus IS HERE.“ Das hat mich sehr getroffen. Sr. Vera erzählt recht offen, dass die Konservativen hier die Überhand bekonmen, dass sie die Kirche „kleiner und frommer“ wollen. Sie schüttelt dazu immer den Kopf und wechselt mit verbeikommenden homeless, die hier ihre Zuflucht am Tag finden, ein paar aufmunternde Worte. Ich spüre so viel Wärme und Empathie von ihr ausgehen. Der Ort macht einen sehr friedvollen Eindruck. „Schauen sie die Menschen an, wie sie da sind, müde, abgeschlagen, ohne Perspektive. Hier erleben, dass sie einfach sein dürfen. Das hat Jesus gemeint, wenn er von den Geringsten sprach und ganz konkret unsere helfende Hand anspricht.“ Ich gehe in die Mittagsmesse in die Kirche hinüber. Etwa 30 Leute feiern mit. Nachher gehe ich wieder in das Center und nehme eine blaue Essensmarke. Als Letzter stelle mich in die Reihe. Beim Verabschieden gehe ich nochmals zu Sr. Vera hinein und bedanke mich: „Danke für das Essen, das Gespräch, diesen Ort und ihr Zeugnis. In der Kirche habe ich die Messe mitgefeiert, hier die Eucharistie. Jesus is here.“ Wir umarmen einander und ehrlich: Ich habe Tränen in den Augen.
Wie funktioniert dieses „Center“?
Getragen wird es von fünf Schwestern der „Presentation Sisters“ und den Vincentinern (Vincenz von Paul), die alle an dieser Kirche tätig sind. Viele Freiwillige helfen mit. Das Geld kommt von der Kongregation, den Churches (Pfarren) und Donations (private Spenden). „Nothing from goverment“, betont Sr. Vera. Schlafen können die Leute hier nicht. Sie bekommen zu essen, können duschen, telefonieren und „einfach dasitzen“. „Wir helfen auch bei Behördengängen“, weiß eine Ehrenamtliche, die gerade einen Schwarzen berät. Warum sind die Leute auf dieses Center angewiesen? „Job verloren, Krankheit, jemand ist gestorben, der eine Unterstützung bekommen hat, von der man leben konnte, die Miete konnte nicht bezahlt werden oder Überforderung in einer komplexen Welt“, weiß Sr. Vera. Ich stehe heute in der Reihe mit 225 Menschen, die vor mir ein warmes Essen bekommen. Ich sitze demütig und beschämt neben einem Schwarzen, der nach dem Essen die Augen schließt und betet. „Danke Gott und denen, die gekocht haben.“
The Oconomy goes down
Wir sprechen auch über den größeren Rahmen. Werden die Leute hier mehr oder weniger? „Die Wirtschaft geht nieder und so werden es immer mehr“, konstatiert Sr. Vera. Sie schaut einer Mutter mit einem Baby ins Gesicht und lächelt sie an. Dann zu mir: „Die Leute sind geprägt von einem großen Glauben (great faith), religiös gemeint und „it’s ok“. Sie haben eine große Sensibilität entwickelt, dass es einmal gut ist so wie es jetzt ist. Sie sorgen für sich selber und auch sehr viel füreinander. Jobmöglichkeiten oder Wohnmöglichkeiten werden untereinander weitergegeben.“ Ich bin überzeugt, dass genau diese Stimmung von den Schwestern und den Freiwilligen eingebracht wird. Das strahlen sie aus. Sie haben so viel Achtung und Respekt vor diesen Menschen. Meinen Fotoapparat möchte ich am liebsten drinnen lassen.
Slowly – es geht alles sehr langsam
Wir reden über die allgemeine Situation nach Katrina. Viele der „Ureinwohner“ von New Orleans sind nicht mehr zurückgekommen, weil sie zB. in Salt Lake City schon Fuß gefasst haben. Es war aber schwer, das Haus zu verkaufen. Wieder dorthin zu kommen, wo New Orleans vor Katrina war, wird lange dauern. Ein Mitschwester von Vera meint, dass New Orleans eine einzige große Familie ist, eine wunderbare Nachbarschaft pflegt. Durch das Wegbleiben von so vielen „Ureinwohnern“ ist das auch brüchig geworden. „Homeless haben wir auch vor Katrina neben der Kirche versorgt“, betont sie: „Jjetzt haben wir das Center. Es wurde von einem Architekten gestaltet, mit ganz viel Grün. Das ist wichtig. “ Auch bei den 140 katholischen Pfarren gab es „Einschnitte“. Es können nicht mehr alle Kirchen und Pfarren betrieben werden. Es fehlen zum Teil auch die Leute in den Pfarrgebieten. Auch der Priestermangel ist spürbar. 10% der Priester sind in Kongregationen, alle anderen Diözesanpriester.
Überall derselbe „Spalt“
Wir reden auch über Theologie und den Einsatz von „Laien“ (ich sage immer beauftragte Getaufte) in der Diözese. „Es ist nicht leicht, heute ein Theologe oder Theologin zu sein“, meint Sr. Vera mit Blick auf die Loyola Universität, wo auch LaientheoologInnen studieren. Wie viele, weiß sich nicht. Die Kirche steht nicht gut da. Sie weiß auch hier in den USA von einem „Spalt zwischen der Hierarchie und dem Volk“ zu erzählen. Es wird alles konservativer und geschlossener, frömmelnder. Kirche ist nicht Selbstzweck, sie muss dem Menschen, vor allem den Geringsten ganz konkret dienen. Für mich ist im Heimgehen wieder dieser Spalt aufgegangen zwischen römisch und katholisch. Hätte nicht die Messe, die ich in der Kirche mitgefeiert habe, auf ganz andere Weise im Center gefeiert werden sollen, die Jesusgeschichte von heute (Blindenheilung) wäre die Ermutigung gewesen, das Essen die Kommunion und die Menschen gewandelt zu Frieden und Nächstenhilfe? Sr. Vera hat vor der Essensausgabe ein längeres Gebet gesprochen. Alle 220 Personen waren still, andächtig, innerlich – „erfüllt“. Ich glaube, das war die Eucharistiefeier.
Wann werden das bei uns die Bischöfe begreifen, dass Jesus in der Baracke neben der großen Kirche lebt.