Man sagt: Die Armen hat es aus der Stadt geschwemmt

Es ist in der Früh noch schwül und „heiß“, als ich den Bus hinaus zur UNO (University of New Orleans) auf der anderen Seite der Stadt besteige.  Diesmal nehme ich Streetcar und den 60er. Es geht vorbei an einem riesigen Friedhof. Später dann vorwiegend an schönen, großen Häusern. Da sind die Wohlhabenderen daheim, in unmittelbarer Nähe zum „Neusiedler-See von New Orleans“ (Pontschartrain,  ca. 4 Meter tief).

Weißer und älter ist NO geworden

Christian Scheiner wartet auf mich im Center Austria. Wir setzen uns in den Hof. Der Wind kommt auf und es beginnt zu regnen. Gut, dass ich den Pullover mitgenommen habe.  Christian erzählt mir gleich: „Ich muss mich für meine Masterarbeit auch erst in das Thema einarbeiten. Aber Katrina hat vor allem die Armen getroffen.  Es hat sie sozusagen aus der Stadt hinausgeschwemmt. Heute gibt es ca. 10% weniger Schwarze in der Stadt. Früher waren es 70% und jetzt sind es 60%. Die Bevölkerung ist weißer und älter geworden. Auch die Jungen sind nicht mehr so zahlreich zurückgekommen.“ Das alles will er im nächsten halben Jahr mit seiner Masterarbeit mit Zahlen belegen.

Nachbarschaftshilfe in den armen Gegenden

Bekannt ist, dass Brat Pitt durch seinen Bezug zu New Orleans mit einem Projekt Make it Right zur Tat geschritten ist. Christian zeigt mir eine Liste, wo mindestens 10 solcher Initiativen aufgelistet sind. Mit zwei oder drei davon werde ich Kontakt aufnehmen. Am ärgsten hat es Lower 9th Ward erwischt. Durch den gebrochenen Industriekanal hat es die am tiefsten liegende und ärmste Gegend der Stadt schwer erwischt. Dazu kam, dass viele rechtlichen Belange nicht geklärt waren, weil Menschen dort „aus Gewohnheit seit Generationen gelebt und nichts geregelt hatten“. Das hat beim Wiederaufbau große Probleme gemacht, weil auch die Aufzeichnungen der Stadt im Wasser verschwunden sind. Diesen Stadtteil werde ich nicht aus den Augen verlieren. Dort gab es auch die meiste Nachbarschaftshilfe.  Christian weiß: Es sind heute noch mehr als 50.000 Häuser unbewohnt und zugenagelt. Diese trostlosen Häuser machen mich auch immer wieder betroffen.

Das Meer frisst das Mississippi-Delta

Wer auf der Landkartegenauer schaut, wird feststellen, dass  New Orleans eigentlich überhaupt nicht erbaut hätte werden sollen. Begonnen hat die Stadt mit dem French-Quarter, der höchsten Stelle im Delta. Dieser stand auch nicht unter Wasser. Der ganze Sumpf wurde trocken gelegt und das hat jetzt zur Folge, dass der Mississippi „nichts mehr aufschüttet“. Es ist umgekehrt: Das Meer holt sich wieder Land zurück.  Christian empfiehlt mir daher auch, ein „Swamp-Tour“ mitzumachen.

Frühstück um 2 p.m. im „Cafe Du Monde“

Mit dem Bus und einer Portion Nachdenklichkeit geht es zurück an den Mississippi. Der Hunger überkommt mich und ich stelle fest, dass ich noch nichts gegessen habe. Der Bus hält neben dem Cafe Du Monde. „Dort muss man in jedem Fall Kaffee und Beignet (Mäuse mit viel Staubzucker) gegesssen haben“, sagt „jeder“. Heute ich der Tag dafür. Das Cafe ist immer übervoll. Es ist das älteste Markcafe und abends ist der Boden weiß und klebrig vom Zucker. So geht Mundpropaganda: Du musst dort gewesen sein, sonst kann du nicht sagen, dass du in New Orleans warst. Kaffee und Mäuse haben geschmeckt.

Jazz-Konzert in der Presservation Hall

Nach einer Plauderei mit John (89) und Andy aus Australien im India-Hostel habe ich Lust auf das zweite „must“: Jazz in der Presservation Hall. Ich stelle mich am Gehsteig mit Duzenden anderen an, weil diese „Hall“ höchstens 70 Leute fasst. In der Schlange stehe ich unter Amerikanern: Wird Europa in die Pleite gehen? – war ihre besorge Frage. Meine Antwort war kühn und hat zur Diskussion unter ihnen beigetragen: So wenig oder so viel wie die USA. Das Konzert war super. Es waren „Jazz-Schlager“ und die Leute haben mitgesungen. Als Höhepunkt dann „The Saints“ mit wunderbaren Improvisationen. Absolutes Aufnahmeverbot. Auch keine Fotos mit Flash. Und doch habe ich „mitgeschnitten“ und einige Fotos gemacht. Gerade diese Location zeigt die „angedeutete Morbidität“ in den Gebäuden. Bei uns müsste man „sofort etwas tun“.

Gegen Mitternacht bringt mich die Streetcar nach einem Tag voller Eindrücke zurück in die Unterkunft. Ich genieße diese Kontakte und das lebendige Leben hier.