Mehr prophetische Gewaltfreiheit

Je länger Kriege dauern, desto hilfloser schauen Menschen weg. Ich selber bin genauso gefährdet. Bilder von verstümmelten Menschen und zertrümmerten Häusern, von hochtechnisierten Waffen und Wolkengebilden nach Detonationen machen uns nicht nur stumm, sondern auch taub und blind. War über Monate die Ukraine in unseren Wohnzimmern, auf unseren Smartphones, so stehen wir gerade mitten in Palästina und Israel. Und immer wieder umschwirren uns Aufforderungen, sich parteiisch festzulegen. Auf welcher Seite stehst du? Eine kriegerische Frage in sich. Unbestritten ist, dass der kriegerische Überfall auf die Ukraine und das Massaker der Hamas auf israelische Juden auf das schärfste zu verurteilen ist, ebenso der aufkeimende Antisemitismus und die latente Islamfeindlichkeit.

In mir regt sich allerdings ein tiefes Unbehagen angesichts dieser Entwicklungen. Als Christ kann ich nicht einfach einen Punkt, ein Geschehnis alleine zur Bewertung heranziehen. Das verbietet mir die Grundregel des gewaltfreien Dialogs. Kurz nach dem 7. Okt 2023, dem Massaker der Hamas, habe ich einen Abend mit der palästinensischen Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser in Linz moderiert. Sie hat über ihre jahrzehntelangen Erfahrungen berichtet, speziell über das Leben in den siebzehn Jahren Kriegsrecht, das Israel über die Palästinenser verhängt hat, die versiegelten Brunnen in den Dörfern, die verschiedenen Übertrittspässe und Identitäten je nach Mauer und Übergänge und die Zunahme der Gewaltbereitschaft der aktuellen Regierung Benjamin Netanjahu mit den Ultrakonservativen in der israelischen Regierung. Sie hat ebenso die Fehler der palästinensischen Politik nicht unerwähnt gelassen. Und immer wieder hat sie von den Versuchen erzählt, israelische und palästinensische Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche zu verbünden. Das hat meine friedenspolitisch gewaltfreie Seele wirklich angerührt. Ich wurde auch als KA-Präsident direkt gewarnt, dass ein Verständnis für die Palästinenser antisemitisch ausgelegt werden könnte. Ich meine allerdings: Alles ist zu verurteilen, was Gewalt und Krieg hervorbringt. Es gibt keinen besseren und schlechteren Krieg. Alles steht in einer längeren Entwicklung.

Es gibt keine intelligente Waffe

Seit Jahren versucht die Rüstungslobby uns einzureden, dass der Einsatz von ‚intelligenten‘ Waffen, die ‚nur‘ Infrastruktur und nicht Menschen angreifen, eine ‚saubere‘ Kriegsführung ermöglichen und menschliches Leid im Krieg vermindern würden. Ein Blick in den Krieg Russlands gegen die Ukraine oder auf andere aktuelle Kriegsschauplätze wie im Gazastreifen genügt, um das als kolossale Lüge zu entlarven. Der massive Einsatz von Drohnen etwa richtet sich nicht nur gegen Menschen und Material an der Front, sondern vorwiegend gegen Ziele hinter der Front, und der Tod jedes einzelnen Menschen, ob Soldat oder Zivilist, durch Krieg sollte einer Menschheit, die das Wort Zivilisation im Mund führt, unerträglich sein. Abgesehen davon sind auch die Folgen der Zerstörung von Infrastruktur für viele Menschen lebensbedrohlich. Dazu kommen die Unsummen an Geld, die für heutige ‚intelligente‘ Waffensysteme ausgeben werden, und der enorme Ressourcenverbrauch. Diese Mittel stattdessen für Entwicklung, die Förderung nachhaltiger Lebensweisen und in Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu verwenden, das allein wäre intelligent.

Den gewaltfreien Dialog wieder entdecken

Die gegenwärtigen Kriege und Konflikte verlagern sich weiters zunehmend in den virtuellen Bereich, in das Internet mit all seinen Facetten und Möglichkeiten. Cyberattacken auf Stromnetze, Wasserversorgung oder Datennetze, das Schüren von Hass, Angst und Vorurteilen durch Fake-News, die gezielte Beeinflussung von Wahlen durch Desinformationskampagnen, die nicht erkennbare Lenkung von Information durch Algorithmen, mangelnder Datenschutz sind ernsthafte Bedrohungen von parlamentarischer Demokratie, Frieden und Menschenwürde. Das zeigt auch Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2024 sehr deutlich auf. „An unsere Regierung appellieren wir, sich international überzeugt und überzeugend für gewaltfreie Konfliktlösungen einzusetzen. Als Katholische Aktion sind wir fest davon überzeugt, dass nachhaltiger Friede nur mit friedlichen Mitteln gebaut werden kann. Gewaltfreiheit und Dialog müssen immer wieder entdeckt, gelernt und praktiziert werden. Der Teufelskreis der Gewalt kann im Endeffekt nur so nachhaltig durchbrochen werden.“ Das sagt die Katholische Aktion Österreich (KAÖ) zum Weltfriedenstag 2024.

Die Kraft aus der Feindesliebe

Die KAÖ hat fünf Dossiers erarbeitet, eines davon „Der Weg zum Frieden“. Dort heißt es gleich zu Beginn: „Vom christlichen Glauben her sind alle Menschen aufgerufen, unermüdlich nach dem Frieden zu suchen, Vorleistungen für den Frieden zu erbringen, Feindschaft und Hass zu überwinden, selbstkritisch nach eigener Mitschuld für Unrecht zu forschen, Vorurteile und Egoismen zu überwinden. Nicht nur im Glauben an die Ewigkeit siegt das Gute und der Friede, sondern wir sollen – dem Beispiel Jesu folgend – in unserer jetzigen Welt die Vision eines friedlichen Miteinanders aufrecht halten und zu ihr beitragen.“ Im Dossier wird zu folgenden Themen Basis und Richtung angegeben: Zeugen der Gewaltfreiheit; Kraft aus der Feindesliebe; Friedenswille und Gewalt in und durch Religionen; Sicherheit, Verteidigung, Waffen, Aufrüstung – und die Alternativen; Präventive Sicherheitspolitik durch Gerechtigkeit, Respekt, Dialog, Gewaltlosigkeit und Abrüstung und Solidarität mit Opfern, nicht Hass und Feindschaft.

Tatkräftige Gewaltfreiheit

Friedensarbeit muss professionell aufgebaut und aktive zivile Versöhnungspolitik gestärkt werden. Ziel muss sein, russische und ukrainische, israelische und palästinensische Menschen als Brüder und Schwestern zu betrachten, ihr Leid zu lindern und ihnen eine wirtschaftlich gute Nachbarschaft und eine gemeinsame friedliche Zukunft anzubieten. In Israel wird das die Zwei-Staaten-Lösung sein (müssen). Es braucht daher Dialog und Verzicht auf Gewalt sofort statt neuer Präzisionswaffen und das Ziel, Menschengruppen auszulöschen. Der Vorrang gewaltfreier Lösungen mag angesichts der Kriege weltweit geradezu töricht scheinen, ist aber als Ziel umso wichtiger. Für Kriegstreiber und Mörder gilt der Einsatz für den Frieden nichts. Hier muss wirklich der Wille aller da sein, diese Gruppen klein zu halten. Dafür braucht es die Gemeinschaft von starken Partnern wie befreundeten Regierungen und lokalen Initiativen, dazu friedliche Wirtschaftsmacht. Kurzum: Prophetische und tatkräftige Gewaltfreiheit ist notwendig. Und genau da sind wir als Christinnen und Christen gefordert.

Pace e bene.