Es ist bei allen ein schmerzlicher Augenblick, wenn die Mama geht. Im Kreise der Familie ist unsere Mutter Rosa Kaineder 92-jährig „hinübergeschlafen“. Wir waren mit ihr, in der unmittelbaren Stunde des Sterbens selber mein Bruder Josef. Woran ist sie gestorben?, fragten viele. Sie ist so ählich gestorben, wie wenn ein Fichtenbaum vom Borkenkäfer befallen wird. Zuerst ist sie noch ganz da, fit und lebendig, selber auf den Beinen. Binnen kurzer Zeit fallen dem Baum plötzlich die Nadeln ab.
Als ich am Morgen des 21. November 2022 bei ihr am Krankenhausbett gesessen bin, die Hand gehalten und immer wieder Lieder gesummt habe, ist ein Arzt hereingekommen. Wir haben beide gesehen: Es geht auf das Ende zu, es ist zu sterben. Er hat angeordnet, dass alle Technik und Schläche weggeräumt werden, „weil die jetzt nur noch stören“. Das war so befreiend in einer zutiefst technisierten Medizin. Nach zwölf Stunden hat ein erfülltes, engagiertes und aus einer tiefen Gastfreundschaft geprägtes Leben seine Vollendung gefunden. Mein Bruder und ich umarmen einander in diesem Augenblick, weil wir die Präsenz wechseln wollten, und wissen: Sie ist angekommen.
Dann sind viele Dinge zu regeln. Darüber schreibe ich jetzt nicht. In der Familie haben wir dafür Schritt für Schritt gemeinsam gesetzt. Das ist auch ein Teil der Trauerarbeit. Und genau diese Trauer mündet bei uns in einen großen und tiefen See der Dankbarkeit. Beim Begräbnis selber waren ganz viele Leute, die den letzten Weg mit der „Eder-Oma“ gegangen sind. Am Grab habe ich ganz am Schluß gesagt, was unsere Mama immer wieder durch die Jahrzehnte gesagt hat: „Schön, dass ihr da seid.“ Und: „Kommt’s herein.“ Beim Mahl haben wir dieses Leben gefeiert. Der Theologe und Diakon Florian Hartl hat das Begräbnis geleitet und in der wunderbaren und einfühlsamen Predigt, in der er die Schriftstellen (Röm 12, 9-18 und Mt 6,25-28.31-34a) und das Leben verwoben hat, so über unsere Mutter gesprochen:
„Ich darf ein paar Worte sagen zum Leben von Rosa und zu den von euch gewählten biblischen Texten.
Vor über 92 Jahren – an einem Sonntag Ende August – wurde Rosa geboren, als jüngste von 4 Schwestern am Edergut in Riedl in Kirchschlag bei Linz. Nach der Volksschule hat sie während des Kriegs die Hauptschule in Linz besucht, wo sie unter der Woche bei ihrer Firmgod’n wohnen konnte. Von ihr, so habt ihr mir erzählt, hat sie etwas Urbanes mitbekommen: eine Offenheit hin zur Welt, deren Weite sie kennenlernen durfte. Sie wollte Lehrerin werden: Lernen und gesammelte Erfahrungen weitergeben. In Fürsorge um die ihr Anvertrauten. Als Lehrerin wird sie das nicht tun, denn sie übernimmt den elterlichen Hof und steht in der Landwirtschaft.
Im Brief an die Gemeinde in Rom schreibt Paulus, wie Leben in Gemeinschaft gelingen kann – optimalerweise: „Habt Freude daran, euch gegenseitig Achtung zu erweisen“, heißt es da. Das ist oft nicht ganz leicht: wenn eure Mama/Oma gesagt hat, sie hat „eb’n geh‘n“ müssen, am Hof, wo neben der Familie auch noch Mägde und Knechte waren – viele Menschen, mit denen man sorgsam umgehen muss, wenn Zusammenleben glücken soll. „Sich freuen mit den Glücklichen, die Trauernden in ihrem Kummer begleiten“ – über viele Jahre hat sie das getan: nicht nur in eurer Familie sondern auch bei den vielen Besuchen, die sie kranken Kirchschläger:innen daheim und im Spital abgestattet hat und bei den Verabschiedungen: wie viele Menschen hat sie zur letzten Ruhestätte begleitet.
1955 heiratet sie ihren geliebten Mann Josef: vier Söhne bekommen die beiden: Sepp, Ferdl, Hansi und Heribert. Der Verlust von Hansi 1960 und von Heribert 2020 trifft sie sehr schwer. Neben der tiefen Verbundenheit mit ihrer Familie, ihren Schwestern und der Arbeit im heimischen Betrieb gibt es in weiterer Folge eine andere wichtige Ebene in ihrem Leben: ihr Mann wird Bürgermeister und sie geht diesen Weg mit. Aktiv. Das Haus steht immer offen. Stets ist sie bemüht, die verschiedensten Gäste aus Wirtschaft und Politik, sowie Nachbarn und Freunde zu empfangen und zu bewirten. Ihr Interesse an Neuem und ihre Zugewandtheit zu den Menschen bietet den Nährboden für viele Gespräche nicht nur über Politik am Eder-Hof. „Seid gastfreundlich und öffnet für Gäste euer Haus…“
Diese Offenheit bringt sie auch ein, wenn es um eine dritte wichtige Ebene in ihrem Leben geht: ihren Glauben und den Ort, wo sie diesen in Gemeinschaft lebt: in der Pfarre. Rosa war eine tiefreligiöse Frau, die oft auch kritisiert hat, was Klerikalismus in der Kirche angerichtet hat. Neu zu denken, bereit zu sein für alternative Wege gerade im kirchlichen Bereich war eine Eigenschaft von ihr, die sie jung bleiben ließ. In der Pfarre hat sie die Pfarrsenioren und die Goldhauben mitbegründet, im Chor hat sie jahrzehntelang gesungen.
„Seht euch die Vögel des Himmels an…“ diese Stelle aus der Bergpredigt, die ihr ausgewählt habt, steht für mich für die Leichtigkeit, die Fröhlichkeit, zu der wir Christ:innen berufen sind. Kegeln gehen, Tarockieren, Kartenspielen mit Helga Leibetseder, eine Reise zum Nordkap unternehmen, auf einen Ball nach Wien fahren,… Rosa konnte auch das. Lachen und genießen. Das Leben nehmen, wie es kommt und: am Ende auch wieder zurückgeben, wie sie es bekommen hat: in Einfachheit und doch reich ausgestaltet.
In den letzten Wochen, auch nach ihrer Corona-Erkrankung war sie müde, ihr Körper am Ende eines langen Lebens, das sie aus-gekostet hat. Am Montag durfte sie dem Ruf Gottes folgen und ihre Augen schließen.
Was bleibt, sind neben einer großen Familie, voll besonderer, einzigartiger Menschen viele Erinnerungen an sie, die jede:r Einzelne von uns hier hat. Und: eine tiefe Dankbarkeit. Für diese Frau, diesen Menschen in unserem Leben.“
Ja, so war es, und ja, so ist es. Danke!