Meinungsbildung und die Rolle der Medien

„Information-Diskussion“, die Zeitung der Kath. ArbeitnehmerInnen Bewegung Oberösterreich, hat mir sieben Fragen gestellt.

Unsere Zeit ist geprägt von Vielfalt, Beliebigkeit, vielfältigen Arbeits- und Lebensentwürfen, Informationsflut und Kurzlebigkeit. Ist heute „Meinungsbildung“ herausfordernder als im Vergleich zu vor 20 Jahren und warum?

„Meinungsbildung“ hat sich grundsätzlich verändert. Waren früher hierarchische Meinungsbildungsprozesse prägend, sind es jetzt Netzwerke. Der Mensch wird heute zwar als Subjekt bezeichnet, dient aber auf dem „Markt aller Möglichkeiten“ als Objekt für die verschiedenen „Händler“: Der Mensch wird aufgesplittert in Konsument, Wahlstimme, Vereinsmitglied, Gewerkschaftsmitglied, Kirchenbeitragszahler, Familienvater/-mutter, Sportler, Gläubiger usw. Es ist heute praktisch unmöglich geworden, „den ganzen Menschen anzusprechen“. Außerdem: Es sind nicht Botschaften, die Menschen prägen, sondern Personen. Und wenn es Botschaften sind, dann mit hohem finanziellen Aufwand. Man denke konkret an die tägliche Werbeflut der Konzerne.

 

Wie schwierig ist es derzeit für Medienmenschen, objektiv zu berichten und auch über Sachverhalte, Zusammenhänge, Hintergründe zu informieren?

Ich behaupte: Es gibt nur mehr ganz wenige Journalisten, die kritisch und unabhängig von den PR-Abteilungen agieren. Der Falter des Florian Klenk ist ein Beispiel. Fakt ist, dass die PR-Abteilungen in den letzten Jahren 4x so groß geworden sind und die journalistischen Redaktionen sich um 1/3 verkleinert haben. Fakt ist, dass PR-Texte oft 1:1 abgeschrieben werden, weil es keine Zeit mehr gibt, selber zu recherchieren. Fakt ist auch, dass immer öfter Redaktionen auf geschickt gemachte „Fake News“ hereinfallen. Fakt ist auch, dass die Kronenzeitung, Heute und Österreich ihre eigene Wahrheit zusammenstellen. Sie ist derzeit „Kurz“ und „Strache“, basiert auf Ausgrenzungsgelüsten und trägt ein „heimatverbundenes konservatives klerikales Kirchenbild“ vor sich her. Mein Zugang: Immer probieren, „ungeschminkt hinschauen und sich selber ein Bild machen“.

 

Interessiert fundierte Information das Gros der Menschen überhaupt noch oder wollen sie unterhalten werden?

Die große Breite wird unterhalten, ob sie nun will oder nicht. Viele Menschen können Information und Unterhaltung nicht mehr unterscheiden. Das Leben wird zum Spaß hin entwickelt. Mir hat das Buch „Die Austreibung des Anderen“ sehr geholfen, unsere grundsätzlich schiefe Ebene hin zur „individualisierten Welt“ aufzuzeigen: Scheinbar Individuum und dabei das immer Gleiche. Das Fremde, das Andere wird ausgeblendet. McDonalds schmeckt auf der ganzen Welt gleich. Das erleben viele Menschen als
Gewinn, als „Erleichterung“. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt es einen tiefen Hunger nach Gemeinsamkeit, nach Zusammenhalt und „Hintergrund“. Nach Ausbrechen aus der Masse und dem Leben wieder einen unverwechselbaren Geschmack geben. Die Abos von „Die Zeit“ steigen. Ein neues Reisen nimmt Gestalt an und will direkt zu den Menschen, „die ganz anders leben (müssen)“.

 

Haben Qualitäts-Medien noch den Anspruch, meinungsbildend zu sein?

Ja, unbedingt. Und sie sind es auch. Langfristig. Die jeweilige Zielgruppe ist vielleicht klein, aber wichtig.

 

Wie gehen Medienmenschen damit um, dass PolitikerInnen, FirmensprecherInnen usw. rhetorisch meist gut geschult sind und Fragen nicht mehr beantworten, sondern ihr „Programm“ abspulen?

Als ich bei den Ordensgemeinschaften vor fast sechs Jahren in Wien begonnen habe, hat mir eine befreundete ORF-Mitarbeiterin geraten: „Bitte, coache deine Leute nicht auf!“ Das hat mich bestärkt in dem, was ich gewusst habe: Führe die Verantwortlichen in ihre eigene Stärke und Kommunikationsart. Dass wir authentisch sind und „rüberkommen“. Und unsere Präsidentin, unser Vorsitzender sind die, die sie sind. Auch in den Medien. Langfristig trägt das. Hier sind auch Social Media ein Gewinn, weil wir auch dort unsere Anliegen und Personen in das Kommunikationsgeschehen einbringen können.
Das Regierungsprogramm wurde zB von P. Franz Helm im Sinne von „Christlich geht anders“ kritisch beleuchtet. Das kam nicht groß in den Massenmedien und doch ruft uns eine Mutter aus dem Waldviertel an und bedankt sich dafür.
Die Leute spüren sehr gut, ob etwas aufgesetzt oder authentisch ist. Daran glaube ich nach wie vor.

 

Sind Medien noch „die 4. Macht im Staat“? Und stimmt der Eindruck, dass kritische Berichterstattung gerne als „links, weltfremd, Gutmenschentum“ diffamiert wird?

Medien sind eine bedeutende Macht. Sie müssen sich entscheiden: Gehören sie zu den Herrschenden und Konzernen, oder zu den Menschen. Ich weiß schon, dass das übertrieben klingt. Aber heute sind Medien Unternehmen wie alle anderen, auf Gewinn ausgerichtet. Inserate machen die Basis aus. Außerdem ist seit geraumer Zeit das „Framing“ (Anm.: bewusst einen bestimmten Deutungsrahmen herstellen) eine besondere Spezialität. Alles, was den Erfolg einer neoliberalen Wirtschaft stört, wird in den Rahmen „links, weltfremd, Träumer, Gutmenschentum“ hineingestellt. Die letzte Wahl hat gezeigt: Zwei Drittel der Menschen wählten „rechts“ und das ist „neoliberale, kapitalistische Systemkonformität“. Alles andere wird es in den nächsten Jahren schwer haben, überhaupt medial entsprechend vorzukommen.

 

Neben öffentlich-professionellen Medien gewinnen zunehmend „private“ wie Facebook und Co. an Bedeutung. Durch die sozialen Netzwerke verselbstständigt sich „Meinungsbildung“, auch mit den bekannten negativen Folgen von Fake News, Bots etc.  Wie beurteilst du diese Entwicklung?

Der Mensch braucht drei Dinge fundamental: 1.) Werte, die ihm Wichtiges und Unwichtiges unterscheiden helfen. 2.) Rituale, um den Alltag sinnvoll bewältigen zu können und die Arbeit als sinnvoll zu erleben. 3.) Zugehörigkeit und Zusammenhalt in Zeiten der tiefgehenden Vereinzelung, die oft zur Einsamkeit führt.  Social Media enthalten die Möglichkeit, Menschen in diesem Sinne „zusammenzuführen“. Negativ kann sich eine abgeschottete „Blase“ entwickeln. Positiv können hier „ausstrahlende und attraktive Communities“ gebildet werden. Die analoge haptische Community ist immer die „Absprungbasis“ hinein in die mediale Vernetzung. Auch die KAB sehe ich hier: Es geht darum, aus einer anschlussfähigen Identität heraus ein klares Profil zu entwickeln, das medial und über Social Media einladend verbreitet wird. Meine Lieblingsfrage ist: Wie geht „raus“? Aber da sind wir bei Jesus. Und er war nicht nur Sohn Gottes, sondern auch ein Kommunikationsprofi.

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