Mit wenig unterwegs sein

AppeninVom Sozialreferat der Diözese Linz wurde ich eingeladen, einen „Predigtvorschlag“ zu diesem Thema zu machen. Dem bin ich gerne nachgekommen, wo ich viele Wochen beim „Weitgehen“ nach Assisi, durch Österreich und ins Kloster Volkenroda in Thüringen diese Erfahrung bestätigt bekommen habe. Wir leben leichter mit viel mehr Weniger!

Hier geht es zum Predigttext und zum Download.

Hier der Text als Fließtext:

Auf dem ökumenischen Pilgerweg Via Porta von Waldsassen in Bayern über 300 km in das Kloster Volkenroda in Thüringen wird dem Pilger in Selbitz die Unterkunft bei den Schwestern der Christusbruderschaft vorgeschlagen. Es war der Montag in der Karwoche 2012, als ich als Pilger an die Tür geklopft habe. Ein Rucksack, zwei Gehstöcke und gebrauchte Wanderkleidung haben mich als Pilger erscheinen lassen. Eine ältere Schwester begrüßte mich freundlich. Ich wollte einfach nur ein Bett und Zugang zu Wasser und WC. Die Schwester war überfordert und war froh, dass zufällig in diesem Moment die Gastschwester bei der Pforte vorbeischaute. Zwei weitere Schwestern gesellten sich zu dem Gespräch dazu. Sie haben guten Willen gezeigt, aber schließlich erklärt, dass es nicht möglich ist, gerade heute hier zu übernachten. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon 14 Tage unterwegs und innerlich sehr ausgeglichen. Ich konnte die Abweisung ohne einen Funken Enttäuschung annehmen, habe Rucksack und Stöcke genommen und bin weitergezogen.

Wenn du abgewiesen wirst, dann entsteht sehr oft tiefe Enttäuschung. Jesus sagt aber, dass wir den Menschen begegnen, um Frieden und Segen zu bringen. Jedes Anklopfen bei den Menschen bedeutet einen Sprung aus sich selbst. Ich setze mich aus und werde in diesem Moment abhängig von meinem Gegenüber. Nimmt der meine Bitte oder mein Angebot an?
Jesus ermutigt seine Jünger, hinauszugehen zu den Menschen. Der neue Papst folgt in diesem Punkt Jesus genau in der Spur. Er predigt bei den Frühmessen immer frei und kurz. So hat er sich gegen eine Kirche ausgesprochen, „die auf sich selber bezogen sei und nicht hinausgehe in die Peripherie der Städte und des Geistes“. Er benennt diese „Salon-Christen“, die auch unter uns sind und schaut in die Schar der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vatikan. Wörtlich sagt er. „Diese Wohlerzogenen, Braven, die der Kirche keine Kinder schenken, weil sie die apostolische Leidenschaft nicht haben, Christus zu verkünden.“ Man spürt und sieht fast täglich, dass Papst Franziskus keine Angst hat, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Einfach und direkt lebt er unter den Menschen. Das hat Jesus gemeint, wenn er seine Leute hinausgeschickt hat, ohne Geld und Beutel.

Nehmt nicht viel mit, wenn ihr zu den Menschen geht. Wer schon mehrmals über weite Strecken gepilgert ist, kann diese Anweisung gut verstehen. Eine Lehre aus dem Weitgehen und Pilgern ist, dass wir erleben, mit wie wenig wir auskommen. Das Leben hat in einem Rucksack Platz. Je länger und öfter du unterwegs bist, umso leichter wird der Rucksack, weil alles vermeintliche „Zeugs“ keinen Nutzen mehr hat. Als ich 2004 erstmals 28 Tage vom Bodensee zum Neusiedlersee gegangen bin, habe ich in Bayern nach fünf Tagen das zu viel Eingepackte in einer Unterkunft gelassen, weil ich spürte, dass ich „viel zu viel Zeugs mittrage“. Auf meinem Weg nach Assisi war der Rucksack von Beginn an schon viel leichter, und es hat gepasst. Je weniger du selber mitträgst, umso mehr öffnest du dich für das, was dir die Menschen am Weg entgegenbringen. Und wenn sich einmal herausstellt, dass du etwas bräuchtest, was jetzt gerade nicht da ist, dann hast du die Chance, an diesem Punkt zu lernen, ohne es auszukommen. Das kann auch ein Bett sein und du lernst, dass auch Beton eine Unterlage zum Schlafen ist.

Obwohl ich bei meinen Pilgerungen sicher zu 98% positiv, unterstützend und wertschätzend aufgenommen wurde, ist es denkbar, abgewiesen zu werden, wie ich es eben in Selbitz erlebt habe. Jesus erhoffte bei seinen Leuten, dass sie Frieden bringen. Wer Frieden im Herzen trägt, strahlt Frieden aus. Wer Frieden ausstrahlt, bekommt ihn zurück. Das hoffen wir. Ein Sohn des Friedens“ oder eine „Tochter des Friedens“ ist ein Mensch, der vom Frieden geprägt ist. Diesen heilenden Frieden, der von Gott kommt.

Der Mensch bleibt aber frei, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Für die, die das Angebot annehmen, ist ein Stück Heilung und Gemeinschaft geschenkt. Unglaublich viele schöne Begegnungen durfte ich da erleben. Immer wieder auch den Wunsch nach solchen Begegnungen: Beten Sie für mich, für unsere Familie. „Nehmen Sie uns mit nach Assisi“ habe ich oft gehört und mit all den Anliegen wurde der Rucksack nicht schwerer, sondern leichter, die Schritte freudiger und das Herz weiter.

Wir hängen viel zu viel an den Dingen, von denen uns der Alltag einredet, dass sie wichtig sind. Unsere Gesellschaft lässt uns täglich über die Werbung ausrichten, dass wir noch viel zu wenig haben und dass materielles Wachstum die Basis für ein glückliches Leben ist. Diese Glaubenssätze der Wachstumsgesellschaft werden aus meiner Erfahrung immer dümmer und absurder. Deshalb überlegen auch die Ordensgemeinschaften in Österreich, das Gelübde der Armut in neuer Weise zugänglich zu machen. Irgendwie schwebt die Botschaft im Raum:

Wir brauchen „viel mehr WENIGER“.

Der Tipp von Ignatius von Loyola, täglich daran zu denken, dass ich sterbe, hat in diesem Zusammenhang nichts Bedrohliches, sondern etwas Befreiendes. Im Rucksack hat das Leben Platz, wenn wir das Herz weit öffnen für die Gnade, den Frieden Gottes und die Begegnung mit Menschen. Da gilt es den Menschen behilflich zu sein – beim Öffnen des Herzens. Es braucht auch die Demut, uns selber klar zu machen, dass wir in diesem Punkt Hilfe und Besuch nötig haben, auch die Jüngerinnen und Jünger selber. Wer den Gedanken, dass das Leben in einen Rucksack passt, einmal mit Erfahrung gefüllt hat, wird Jesus und Papst Franziskus und den Auftrag zum Hinausgehen verstehen und als Befreiung erleben.

Als ich das Ziel im Kloster Volkenroda erreicht hatte, habe ich zu vielen Menschen, denen ich am Weg begegnet bin, nochmals Kontakt aufgenommen. Auch den Schwestern in Selbitz habe ich per Email wissen lassen, dass ich gut am Ziel angelangt bin. Keine zwei Stunden später hat mir die Gastschwester zurückgeschrieben. Schon wie sie mich auf der Straße mit meinem Rucksack hinuntergehen sehen haben, haben sie sich gegenseitig angeschaut und gespürt: Das war falsch, dass sie mich abgewiesen haben. Die ganze Karwoche war ich „abgewiesener Pilger“ das Thema und sie haben viel für mich gebetet. Jetzt gibt es ein einfaches Pilgerzimmer, das immer offen steht. Als letzten Satz schreibt sie: „Wir sind Ihnen von ganzem Herzen dankbar, dass Sie bei uns angeklopft haben. Unsere Abweisung war falsch, hat uns aber die Augen für die Pilger und Fremden ganz neu und intensiv geöffnet.“

Wer mit „viel mehr WENIGER“ durch das Leben geht, wird erst wirklich offen für die Gnade Gottes und das Beschenkt-Werden durch Menschen. Selbst eine Abweisung kann bei den Betroffenen eine Änderung auslösen. Das dürfen wir glauben.

Jesus und Papst Franziskus haben recht: Geht als einfache und friedvolle Menschen hinaus in die Peripherie der Orte, Städte und des Geistes. Die Menschen warten auf euch – so oder so. Aber sicher mehr so, wenn ihr es mit offenem Herzen und wachem Ohr tut.