Moralisch noch nicht berechtigt

Gestern hat der Jungvater und Finanzminister Gernot Blümel bei der Pressekonferenz eine besondere Redeweise aufgesetzt, um die Journalistenfrage nach dem Zeitpunkt der Lockerungen der Corona-Maßnahmen zu beantworten.  Für mich hat sie etwas von einer „therapeutischer Redeweise“ an sich. Oder wie wir sie auch im Coaching verwenden. Wenn ein Gespräch mit einem schweren Trinker auf das Why seines Trinkens kommt, dann fragen wir auch nicht: Warum trinkst du? Nein, wir stellen eine „moralische Instanz“ in das Gespräch und fragen beispielsweise: „Wer hat dir erlaubt, so viel zu trinken?“ Das löst ganz andere Gedankengänge aus und ermöglicht ein anderes Gespräch als die einfache Frage : Warum?

Werte, Normen und Tugenden

Der oberste Steuergeldverwalter und Finanzgestalter bedient sich auch dieser Gesprächsstruktur. Er setzt eine in der Politik selten gewordene Autorität ein. „Moralisch sind wir noch nicht berechtigt.“ Die Moral, das moralische Gewissen, moralische Maßstäbe werden über die persönliche Befindlichkeit und Einschätzung gestellt. Das ist aus meiner Sicht ein ganz großer Gewinn. Die Regierung lässt sich wieder an moralischen Parametern messen. Was ist gut? Und nicht nur: Was bringt Macht? Das war in letzter Zeit abhanden gekommen. Die Flüchtlingslager in Griechenland sind ein einziger moralischer Schrei. Dort hätte der Satz aus dem Mund eines Bundeskanzlers etwa so gepasst: „Moralisch sind wir verpflichtet, unseren Anteil sofort zu übernehmen, auch wenn es politisch nicht opportun ist. Aber die Moral gebietet es uns.“  Oder ich denke an die Kürzung der Familienbeihilfe  für die „östlichen EU-Kinder“.  Dort hätte ich gerne gehört: „Moralisch sind wir nicht berechtigt, Kinder unterschiedlich zu klassifizieren. Alle Kinder sind gleich.“

Jetzt, in der Krise, suchen Politikerinnen und Politiker Orientierung, Ankerpunkte und Autoritätshilfe. Die „moralische Instanz“ wird bemüht. Das finde ich einen unglaublichen Fortschritt. Moral klingt vielleicht nach „moralinsauer“. Es geht um Ethik und ihre Menschheitsfragen. Die Krise lehrt den Verantwortlichen hoffentlich einen demütgen Blick auf das Ganze. Wir schauen bei Wikipedia: „Moral bezeichnet die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln und -prinzipien bestimmter Individuen, Gruppen und Kulturen und somit die Gesamtheit der gegenwärtig geltenden Werte, Normen und Tugenden.“ Das gilt es mit demütiger und selbstloser Macht in Balance zu halten. Die christliche Soziallehre ist dabei eine große Hilfe. Meine ich.