Sich dem Nahen neu annähern

Habt ihr Lust auf ein Zoomerl? Das ist sehr ähnlich dem: Gehen wir auf einen Kaffee oder ein Seiterl? Leute vernetzen sich gerade auf den verschiedenen Video-Telefonie-Plattformen. Homeoffice braucht das fast zwingend. Ich mache das mit Signal und Zoom, weil es wirklich unspektakulär einfach ist, sich näher zu kommen. Zuerst ungewohnt. Dann wie gestern abends eineinhalb Stunden wunderbarer Austausch aus den verschiedensten Erfahrungen und Perspektiven. Die Ideen sprudeln. Was nehmen wir für die gesellschaftliche Neu-Konstruktion in die Zukunft hinein mit?

Jetzt wird viel sichtbar

Es wird noch etwas dauern, bis die Medien  auf die Zukunftsseite der Covid19-Krise schwenken. Jetzt stehen Fakten, Rollenspiele und Emotionen dieser für alle neuen „Distanz-Zeit“ im Vordergrund mit der Vereinbarung, dass Gesundheit der einzige und höchste Ankerpunkt ist. „Leben retten“ überschallt alles, was sonst noch wäre, was sonst noch ist. Ein schönes Beispiel dafür lese ich heute in der Zeitung. „Die Abfertigung der Schiffe mit Soja-Schrott in Argentinien und Brasilien verzögert sich wegen der Corona-maßnahmen. Die EU ist aber in hohem Maße von diesem Tierfutter abhängig. Jetzt wird hochwertiges europäisches Soja verfüttert. “ Ich denke an einen TAZ-Journalisten in Irland, der uns 2014 erzählt hat, dass die grüne Insel plant, 21 Millionen Kühe „einzustellen“. Woher das Futter? „90 % importiert“, meinte er. Wohin die Milch? „Nach China.“ Was mit der grünen Insel passiert wäre, ist kaum vorstellbar. Technisierte, industrielle und chemische Landwirtschaftsfabriken mit Monokulturen und hohem Kapitaleinsatz hätten die Insel aufgebraucht. Jetzt sehen wir, wenn wir sehen wollen, wohin Wirtschaft, Industrie und Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten geführt wurden: In die allgegenwärtigen Abhängigkeiten auf einer schiefen Ebene, wo Technik und Kapitaleinsatz ganz oben stehen. Die Reichen werden damit reicher, die Mitwelt (Umwelt) wird ausgequetscht, malträtiert und das Nahe, das uns „Umgebende“ entwertet. Alles ausgelagert. Jetzt sehen wir das in den medizinischen Produkten. Oder in den Tiroler Tälern, wo SaisonarbeiterInnen die aufgeblähte, hoch verschuldete Tourismusmaschinerie in den systemerhaltenden Diensten aufrecht erhalten. Jetzt haben wir die Gelegenheit, die Systeme genau anzuschauen, weil sie zum Stillstand kommen und die Folgen zu Tage treten.

Ist jetzt Zeit für den Wandel?

Beim gestrigen „Abend-Zoomerl“ waren wir zurückhaltend. Der Mensch ist immer in Gefahr, dort weiterzumachen, wo er vor der Krise, vor der Krankheit, vor dem Desaster augehört hat. „Wieder hochfahren“ ist so ein Schlagwort. Die Maßnahmen sind „Überbrückungsmaßnahmen“. Gibt es ein Umdenken, das auch ein „Um-Handeln“ zur Folge hat? Gestern wurde etwas Hoffnungsvolles erzählt: Regionalität, Nähe und Produktion im näheren Umfeld wird verstärkt angefragt. Und die Produkte werden hochprofessionell gemacht und in den regionalen Kreislauf gebracht. Wir reden beispielsweise über „regio-fund“ oder „markta  – Der digitale Bauernmarkt„. Meine eigenen Erfahrungen gehen auch in diese Richtung. Aber: Immer noch bestellen 70% der KonsumentInnen bei Amazon und Co „in der Ferne“. Das lässt unser Gespräch auf eine andere Ebene gehen. Jetzt, und zwar mitten in der Krise, ist die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass nicht das Alte aufsteht und „neu“ weitermacht. Jetzt braucht es von der Regierung eindeutige gesetzliche Regelungen, die die Produktionen und Absatzmärkte zusammenrückt, die Globalisierung neu strukturiert und die unfaire und ungerechte globale Arbeitsteilung auf Kosten der Weltkugel, unserer Lebensbasis beendet. Wenn jetzt die 38 Milliarden richtiger Weise eingesetzt werden, dann darf das nicht der Griff der „Starken und Frechen“ in die solidarische Gemeinschaftskasse werden. CO²-Steuer, Transaktionssteuer und Vermögenssteuern werden ihren Tabustatus verlieren müssen. Für die Politik werden sie die Werkzeuge zum Gegensteuern, damit der Graben zwischen Vermögenden und Prekären, zwischen dem Menschen und seiner Mit- und Umwelt kleiner wird. Alle müssen wir die PolitikerInnen dahingehend „drängen“, gerade auch die Kirchen mit den Bischöfen. Genau jetzt muss Ökologie und Ökonomie auf Basis der 38 Milliarden neu und nachhaltig verknüpft werden. Die Welt schreit nach genau diesem Wandel. PolitikerInnen, KonsumentInnen und ökologisch-sozial-kooperative Produktion stellen sich in den Dienst eines „guten Lebens aller“. Und lassen wir uns nicht länger einreden, dass die Soja-Produktion in Brasilien den BrasilianerInnen zugute kommt. Ja, einigen wenigen.