Pilgern am Hoch und Heilig in Osttirol

Neun Tage lang, fast 200 Kilometer und vor allem 12.000 Höhenmeter verbreiten im Voraus eine Menge Respekt. Im Nachhinein war es ein unglaublich schönes Geschenk, diesen alpinen „Hoch und Heilig Pilgerweg“ gegangen zu sein, alleine geschafft zu  haben. Die körperlichen, mentalen und spirituellen Herausforderungen waren nicht gering. Im Folgenden dokumentiere ich die täglichen Postings, die ich auf Facebook mit meinem Smartphone abgesetzt habe.

Tag 0 : St. Lavant

Aufbruch von daheim Richtung Osttirol nach St. Lavant. „Hoch und Heilig“ heißt der Pilgerweg, der mich erwartet. Vorfreude liegt in der Luft. Noch ein paar Eindrücke eingesammelt, die St. Anna Kirche besucht, das erste Gipfelkreuz im Bild festgehalten und gesehen, dass da auf der Stele vor unserem Haus noch ein Schild fehlt. Natürlich unterwegs mit dem Klimaticket und den Öffis mit Fensterblick. Am späten Nachmittag erreiche ich den Beginn-Ort St. Lavant.

Tag 1 : St. Lavant – Thal, St. Korbinian

„Hoch und Heilig“ nimmt den Gang, das Gehen, das Pilgern auf. Die erste Etappe sehe ich schon im Rückblick, angekommen in St. Korbinian, in Thal in Osttirol. Der Start bei der Stempel-Box und dem blauen Stoffband für den Rucksack („Die Gegenwart Gottes in allem suchen und finden.“) liegt schon einiges über dem Talboden in St. Lavant. Der Auf- und Abstieg weiter zum Tristacher See macht „höhenmeterfit“. Am See bekomme ich einfach so (gratis) von der Chefin des Hotels einen Kaffee serviert: „Nimm uns alle mit auf deinen Pilgerweg, dass wir alle gut und in Frieden hier leben können.“ Das mache ich. Danke! Beim Abstieg nach Amlach begegne ich zwei älteren Bauern, die den Sturmschaden im Wald aufarbeiten. Ich frage recht naiv: „Ist der Sturm drübergezogen?“ Der ältere Bauer: „Nein, der Herrgott war fünf Minuten da.“ Und er startet die Motorsäge. Ich gehe weiter, gedanklich um eine Dimension des Lebens „geöffneter“.
In Thal angekommen, beziehe ich mein einfaches Zimmer im alten feinen Gasthaus Aue. Die junge Chefin: „Fernseher haben wir keinen am Zimmer, da haben manche Probleme.“ Ich: „Mein Pilgermotte heute ist eh ‚Stille‘.“Diese Etappe ist leicht, 20 km, 900 m rauf und dauert etwa 6 1/2 Stunden. Feines Wetter und wunderbare Blicke. Heute denke ich oft daran, was uns die Schönheit der Natur lehren und lernen kann, will. Heute ist Welterschöpfungstag, also jener Tag, an dem es der Natur zu viel an Menschlichem wird. Unser Lebensstil orientiert sich leider viel zu viel an der Ausbeutung der Natur. Gebrauchen und nicht verbrauchen ist die naturnahe Lebensweise. Der kfbö wünsche ich noch ein gutes Finale ihrer Studientage und der KJÖ gute Zeit in Lissabon beim Weltjugendtag. Und jetzt beten sie hier in der kleinen Josef-Kirche in Thal „um Frieden“. Da bin ich dabei.

Tag 2 : Thal – Maria Luggau

„Hoch und Heilig“ ist auf jeden Fall hoch, vom Tal drüben herüber über den Kofelpass (1.880m) nach Maria Luggau, mit drei Aufstiegen, aber wirklich schön und auch ein bisserl „ausgsetzt“. Getroffen habe ich einen Menschen, also Stille und Zeit, Schritt für Schritt den Gedanken nachzugehen, bis sie sich ordnen und der Natur, den Wahrnehmungen, dem Schauen, dem Weltanschauen Platz geben. Betrübt haben mich die großen Flächen an toten Bäumen, vom Borkenkäfer des grünen Lebens beraubt. Aufgestappelt ist das Holz und findet keine Abnehmer, wie es scheint. Steile Flächen werden in ein paar Jahren rutschen. Im Kloster Maria Luggau angekommen hat mich P. Silvo gleich ins Refektorium auf einen Kaffee entführt. Heute gab es auf der achtstündigen Strecke nix, also Wasser schon, aber sonst. Balsam auf die Seele und ein Danke an die Füße. Das Kloster ist ein besonderer Wallfahrtsort, die Gänge voller Votivbilder, ein Kloster wie es früher war. Auch der Weg herüber war geziert von Wallfahrergaben. Das Bildungshaus Osttirol hat den Weg initiiert und betreut ihn. Heute 8 Stunden, 20 km und 1.700 m rauf und wieder fast so viele runter.

Tag 3 : Maria Luggau – St. Oswald

Bin heute ein Glückspilz am Hoch und Heilig. Nach wirklich steilem Anstieg regnet und donnert es schon über dem Karnischen Höhenweg „drüben im Süden“. An der Baumgrenze hat ein Jäger seine Hütte genau richtig platziert. Ich erreiche im letzten Moment das bescheidene Vordach. Dann hat es eine Viertelstunde lang geschüttet. Ich und meine Sachen trocken. Es hellt auf, die Sonne kommt und es kann weitergehen. Die Sonntagsmesse („s’Amt“) in Maria Luggau war im „alten Modus“, aber herzlich zelebriert von P. Gregor, der dort urlaubt und mit dem ich beim Frühstück geplaudert habe. Die Kirche voll und die Bevölkerung gut abgebildet (Babys, Kinder, Jugend, junge Familien und wben Ältere). Der Chor hat gesungen. Eine lebendige Pfarrgemeinschaft. Der Weg war heute anstrengend und lang. Die Aussichten wirklich phänomenal und nährend. Immer wieder auch Wanderer. In St. Oswald haben mir zwei Frauen, die am Friedhof waren, bei der Quartiersuche geholfen – mit wunderbarer Aussicht.

Tag 4 : St. Oswald – Innichen (I)

„Flachtag“ würde ich zum heutigen Tag am Hoch und Heilig von St. Oswald nach Innichen sagen. Im Grunde geht es ins Tal hinunter und in diesem leicht hinauf nach Innichen, Italien. Es tut gut, einfach so dahinzugehen. Der Wiesenweg hinüber nach Kartitsch ist gesäumt von Bildern des Künstlers Oswald Kollreider. Weiter geht es zur wunderschönen „Maria Hilf“ Kirche in Hollbruck. Ein morgendliches Staunen erfasst mich ob dieser uralten Wallfahrtskirche. Ich lasse viele Pilger-Anliegen da, weil hier Weite und Tiefe atmet. Sillian kann mich um die Mittagszeit auf einen Kaffee verführen, dazu „Bruchschoki“. In Innichen angekommen, ist gerade ein großes Begräbnis im Gange, die Musikkapelle spielt und die Stiftskirche ist voll. Ein Musiker ist verstorben, sagt mir der Kapellmeister. Die Sextener Dolomiten zeigen sich und überall steht „Drei Zinnen“.
Das Tagesmotto geht mir insofern nach, weil meine Glaubenssichten wie die jeder und jedes einzelnen in den „common sense“ (sensus fidelium) einfließen und von dort her wieder auf fluide Weise prägend zurückfließen. Es ist eher die Frage der Verbindung und weniger der Übereinstimmung. Alles ist mit allem verbunden. #LaudatoSi

Tag 5 : Innichen – Kalkstein

„Die da drüben haben ja sanften Tourismus“, meint der Koch beim Frühstück in Innichen wertschätzend über das Villgratental, wohin ich aufbreche. Gleich fragt er ohne Unterbrechung weiter: „Wollns a Gogerle?“. Der Werbespruch des Villgratentals lautet wirklich: „Kommen sie zu uns, wir haben nichts.“ Da kommen mir die Salzburger Hochschulwochen in den Sinn, die gerade jetzt stattfinden, mit dem Thema „Reduktion“. Die Katholische Aktion Salzburg ist da voll drinnen und natürlich wäre es fein, dort dabei zu sein. Ich habe mich für den Hoch und Heilig entschieden, um das Wesentliche im Weniger zu verkosten und zu genießen.
„Knackig“, schreibt Christine in einem Kommentar, wird der heutige Tag. „Sehr knackig“ sage ich, weil der Aufstieg 1.545 m sind und der Abstieg unter Blitz, Donner und „Schüttregen“ zu bewerkstelligen war. Am Gipfel des Marchkinkele (2.545 m) steht ein Gipfelkrez der KAB Lienz und eine Hütte aus den Bunkern des 1. und 2. Weltkrieges. Theo (12 Jahre), der mit seiner Mutter und der Oma dem Hüttenwirt hier hilft, hat aus dem Trockenen ein Foto mit der ganz „tollen Aussicht“ (nur dichter Nebel) gemacht. Wirklich alles knackig naß, aber alles gut gegangen. Ein mulmiges Gefühl war bei den mehr als 1.000 m hinunter mit dabei. Kalkstein war das Ziel, die Wallfahrtskirche, der Stempel, das Stoffband und die Wahrnehmungen wie das Wilderergrab oder das Haus Bethanien mit den Dollfußkreuzen und dem Adler vorne drauf (sind auch während der Nazi-Zeit nie abgenommen worden). In der Unterkunft ist es wieder warm und sogar die Abendsonne hilft noch kräftig mit, alles trocken zu bekommen. Das Buch von Byung-Chul Han, Vita Contemlativa oder von der Untätigkeit ist auch mit dabei. „Das Naturschöne ist nur über Schmerzen erfahrbar, denn es erschüttert das sich heute oft absolut setzende Subjekt und reißt es aus der Selbstgefälligkeit heraus.“ Euer Mitgehen hier trägt, ihr werdet es nicht glauben. Das Wlan im Haus ist sehr schwach (sonst kein Empfang – siehe Werbespruch vom Nichts) – und deshalb keine Ahnung, wann ihr das sehen könnt.

Tag 6 : Kalkstein – St. Jakob im Defereggen

Die Gedanken verlieren sich in ihrer Vielheit und folgen dem Atem und den präzisen Schritten, aufwärts und abwärts. Die Augen auf den steilen Weg gerichtet, dann wieder abschweifend in die Natur, die Ohren am typischen Osttiroler Rauschen der stürzenden Wasser. Das Schweigen wird immer tiefer. Das Villgraten-Törl (2.505 m) hat das Herüben mit dem Drüben verbunden. Genau dort treffe ich auf zwei Gruppen, die vom Watzmann zu den Drei Zinnen gehen (dazwischen auch fahren). Und ein Stück weiter nochmals fünf junge Wanderer, beschäftigt mit dem Selfie-Machen mit den Schafen. Steil und entlang des Wasserfalls erreiche ich den Talboden und St. Jakob mit der Jakobuskirche. Gerade richtig für den Pilger am Hoch und Heilig. Noch dazu: heute Portiuncula, hl Franziskus und Assisi.

Tag 7 : St. Jakob – Obermauern / Virgen

Am siebten Tage sollst du ruhen. Es war heute ein „gehendes Ruhen im Staunen, was die Natur als Künstlerin so alles parat hat“. Fast hätte ich ein wenig getrödelt auf den 1.600 m rauf und runter. In jedem Fall war der Tag mein Fest mit und in der Natur. „Wie haben sie geschlafen?“, fragt mich meine Herbergsmutter Lieselotte um 7 Uhr beim Frühstück in ihrer Küche. „Von allen Tagen am besten“, war meine ehrliche Antwort und doch meinte sie: „Das sagen sie wahrscheinlich überall.“ „Überall werde ich nicht gefragt.“ Sie dreht im Radio das Osttirol-Wetter auf. Vormittags recht passabel, nachmittags Gewitter und Regen. „Hoffentlich kommens rechtzeitig rüber übers Virgen-Törl (2.625 m)“, ist ihr Wunsch. „Es wird, wie es wird.“ Danke für das feine Frühstück und das Gespräch in ihrem Haus, das in den 50er-Jahren von Hand selbst von zwei Brüdern gebaut wurde, wie bei meinen Schwiegereltern. Gleich hier verrate ich: heute trocken geblieben. Ein Mann im steilen Hang im hohen Gras mäht mit der Sense. Warum tut man das? Diese Frage geht lange mit. Da muss etwas in den Menschen drinnen liegen, intrinsisch, dass sie das aus Liebe zur kultivierten Natur tun, ohne die bei uns dauernd präsente Frage: Bringt mir das was? Oder viel „teuflischer“: Rechnet sich das? Absurd ist das alles mit den Augen des Mammon betrachtet. Schon sehr weit oben denke ich: Vielleicht braucht die Welt zu ihrer Heilung genau diese „Absurditäten“, Menschen, die nicht immer fragen: Rechnet sich das? Heilend, heilig ist das. Schon ganz oben eröffnet sich, nachdem ich ein ziemliches Stück drunter im Wald durch ein Borkenkäfer-Desaster gegangen bin, eine ganz andere Welt. Die wiesengeschwängerten Hänge bis über 2.600 m hinauf, der schrille Pfiff des Murmeltieres, die zirpenden Vögel, die immer rauschenden Bäche, das Bellen eines Rehs, die durchschimmernde Sonne, die wandernden Wolkenfetzen, die mäandernden Wege, wo Himmel und Erde miteinander tanzen, dort ist Osttirol, besonders das Virgental, das ein Stück Heimat für mich ist. Und da komme ich heute an. Die Lasörlinghütte taucht auf, Obermauern schon zu sehen und einen Kopfpolster in Virgen werde ich sicher bekommen. Die Kirche von Obermauern ist für mich ein Wunderwerk in den Bergen. Die Wände erzählen die Geschichten von Jesus, von den heilenden Menschen. Hinsetzen, singen, staunen, schweigen, beten und einmal alles gut sein lassen.

Tag 8 : Virgen – Kals

Wenn die Blicke nicht in die Weite schweifen können, dann bekommt das Nahe, der Weg selber seinen Reiz. Es ist faszinierend, wie Menschen sich und den Tieren „damals“ diesen Weg behutsam angelegt haben. Wenn nach etwa 1.200 Höhenmeter schemenhaft das Kals-Matrei-Haus am Törl erscheint, dann sagt der Kopf: geschafft. Die Füße drängen in die Hütte, die Hüttenkekse lächeln und meinen: jetzt geht’s hinunter nach Kals. Der Nebel und die Wolken verlieren ihre Luftigkeit und gehen in Tropfenform zu Boden. „Atmen“ ist heute das Motto. Seit dem ersten Tag ist Atmen das „Thema“. Der Atem ist die intensivste Weltverbundenheit. Der Hüttenwirt meint zu den Gästen fein motivierend: Nebel und Regen sind gesund für Atmung und Haut. Na dann, der Tag ist wieder gelungen. 8. Etappe. Im Gasthaus in Kals ist eine Begräbnisgesellschaft gerade dabei, sich zu verabschieden. Ich höre gerne hin, man versteht zwar nicht viel, sondern hört die „soziale Atmung“. So herzlich, einander umarmend, lange unaufgeregte Gespräche, immer wieder streichen sich die Erwachsenen an den Armen, die Kinder mitten unter ihnen und auch immer eine streichelnde Hand über sie. Ich spüre, der der Tod bleibt hier im Leben.

Tag 9 : Kals – Heiligenblut

Glückselig bin ich da in Heiligenblut angekommen, unglaublich dankbar für die körperlichen, mentalen und spirituellen Erfahrungen am „Hoch und Heilig Pilgerweg“. Fast 12.000 Höhenmeter auf etwa 200 Kilometern in 9 Tagen machen etwas mit mir. Deo gratias. Und euch allen Danke, die mitgegangen sind, so oder so. Möge das Leben ein gutes sein , für alle. Gerade auch für die Jungen und Familien. Die Glorerhütte heute auf 2.642 m war mein höchster Punkt der Tour. Der Hüttenwirt hat mir eine wunderbare Suppe serviert. Der lange aber so schöne Abstieg hinunter nach Heiligenblut war nur leicht mit „Weihwasser“ von oben betreufelt. Eigentlich bin ich feucht-trocken angekommen. So viel Wasser hier heroben und ich bin in Gedanken auch bei denen im Tal, denen es zu viel wird (Hochwasser). Möge Solidarität tragen. Drei Lichter brennen für Mutter und Vater als unser Urgrund (vom Himmel her), für den Bruder Jesus unter uns und die Wirkkraft des geschwisterlichen und liebevollen Geistes. Wenn ich zu einem Gipfelkreuz oder besonderen Ort komme, klopfe ich mit der Hand dran: Gelobt sei Jesus Christus bis in Ewigkeit. Amen. So sei es. Ein Bergführer, der mit einer Gruppe vom Königssee zu den Drei Zinnen aufsteigend unterwegs war, fragt mich am Ende eines kurzen Gespräches am Weg: „Und, wird man da heiliger, wenn man den Weg geht?“ „Wir werden sehen.“

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Der „Hoch und Heilig Pilgerweg“

Ein Angebot: Weitgehen am Grünen Band Europas