Rückzug ins Ghetto oder empathischer Aufbruch zu und mit den konkreten Menschen?

Im Rahmen des Dreh zum ORF-Report haben wir heute am Rande auch über die Wichtigkeit und Notwendigkeit gesprochen, „dass Kirche nicht in irgend einer skurilen gesellschaftlichen Ecke verschwinden darf.“ Immer wieder erzähle ich von meinen verschiedenen Begegnungen, die im Grunde alle die Wichtigkeit der Kirche (gemeint ist eine Kirche des Volkes) in drei Richtungen herausstreichen: 1. Wer steht für Werte? 2. Wer lebt mit den Menschen Alltagsrituale? 3. Wer schafft Solidarität?. Also: Werte – Alltagsrituale – Solidarität.

So lese ich heute auf der Website der Diözese Innsbruck von Jozef Niewiadomski eine Zusammenfassung eines Interviews, das genau in diese Richtung geht:

Vor einem „Rückzug ins kirchliche Ghetto“ als mögliche Reaktion auf die am Dienstag veröffentlichte Kirchenstatistik warnt der Innsbrucker Theologe Jozef Niewiadomski in einem Gespräch mit „Kathpress“. Die Zahlen, die einen Rückgang der Katholikenzahl anzeigen, würden zum einen die „Diskussion über Reformen einer Großinstitution“ weiter anheizen. Zum anderen gelte es aber, „oft reflexartig ansetzenden“ Forderungen nach „Konzentration auf Wesentliches“ – etwa auf Liturgie und Pastoral – entgegenzutreten, so Niewiadomski.

Wesentlich zur Kirche gehört, wie Niewiadomksi hervorhebt, auch die Caritas. Der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck hielte daher eine „Entweltlichungsdebatte“, wie sie Papst Benedikt XVI. in Deutschland ausgelöst hatte, für missverständlich und kontraproduktiv. Wo eine solche Debatte als Reaktion auf ein weiteres Abschmelzen institutioneller kirchlicher Bindungen geführt werde und dabei etwa „Caritas und Liturgie gegeneinander ausgespielt“ würden, laufe etwas falsch. Wenn Caritas nur als Anhängsel von Kirche begriffen werde, verfehle man die grundlegende Erfahrung und das Geheimnis des Erfolgs der „Alten Kirche“: „In der oft feindlichen Umwelt lebend, fiel die christliche Minderheit gerade durch Caritas auf“ – d.h. durch „Solidarität nach innen und Zuwendung zu den Armen und Ausgegrenzten nach außen“.

Zugleich warnte Niewiadomski davor, die in der Kirche institutionell umgesetzten Formen konkreter Solidarität zu unterschätzen. Es gebe gerade in der Kirche noch „sehr viel an uneigennützig gelebter Solidarität“ – aber die Gesellschaft neige dazu, zu vergessen, „was die Quellen dieser Solidarität sind“: Diese haben nämlich laut Niewiadomski „fundamental etwas mit Gottesglauben und einem bestimmten Gottesbild zu tun: Jenem Gott, der auf die Stimme des Armen hört und sich die Sorgen der Entrechteten zu eigen macht.“

Bei aller Wertschätzung einer „frei flottierenden Religiosität“ müsse man doch dieses Kriterium immer wieder in Erinnerung rufen: die Zuwendung zu jenen Menschen, „von denen in einem marktförmigen Denken nichts mehr zu erwarten ist“. Dies sei weiterhin die Stärke der Kirchen – „und das hat wohl etwas mit ihrem Glauben zu tun“.

Aus diesem Grund sei es auch höchste Zeit, auf die umfassende gesellschaftliche Perspektive des Problems der Erosion traditioneller Kirchlichkeit aufmerksam zu machen, so Niewiadomski: „All die Kräfte, denen die Gestaltung der Zivilgesellschaft ein echtes Anliegen ist, müssten über den Prozess der Erosion kirchlicher Gemeinschaften längst besorgt sein.“

Aber auch die mediale Öffentlichkeit müsse sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht zu vorschnell und selbstverständlich die christlichen Kirchen mit dem Thema Austritt bzw. Austrittsbereitschaft verknüpft. Dies schaffe auf lange Sicht ein Klima, in dem die „Auflösung von religiösen Identitäten“ zur Normalität stilisiert werde.

Quelle: Diözese Innsbruck

2 Kommentare

  1. Man müsste eigentlich noch einen Schritt weiter gehen: Die Kirche darf sich nicht nur nicht in eine Ecke zurückziehen, sie muss offensiv diese Ecken aufsuchen, denn dort gibt es vermutlich viel zu tun.

    Sich in ein Winkerl zurückziehen und versuchen, andere Menschen auch dort hinein zu locken – das kann es wirklich nicht sein. Das hört sich stark nach Angst vor der verlorenen Strahlkraft der Kirche an, gar nicht selbstbewusst.

    Dem Vorbild Jesu folgend sollten wir keine Angst haben, in „gesellschaftliche Ecken“ vorzudringen. Aber nicht, um dort unsere Zelte aufzuschlagen sondern mit dem Ziel zu befreien und die Menschen in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen. Und dort ist auch der Platz der Kirche!

    • Heiko auf 28. Januar 2012 bei 21:40

    Super, dass hier immer soviel geschrieben wird.

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