Sturm und Feuer über die Kirche

Die wunderbare und profunde Wochenzeitung „Die Furche“ hat mich gebeten, in einem Essay Pfingsten zu bedenken. Immer wieder geht mir die aktuelle Körpersprache der Kirche durch Kopf und Herz. Wenn du predigen gehst, ist das Gehen die Predigt. Wie machen sie das? Und genau da ist noch einiges „Nicht-Pfingstliche“ im Gegensatz zu den geschwisterlichen Gemeinden der Jesusbewegung da. Das braucht Sturm und Feuer über die Kirche. Und wenn es soweit ist: Loslassen befreit.

Wenn Bildung, Gesundheit, Kultur und Soziales kirchlich geprägt sind, schmeckt es fast allen hier in Österreich, Kirchenmitgliedschaft hin oder her. Nicht umsonst schicken selbst kirchenkritische Eltern ihre Kinder in eine Ordensschule, damit sie Werte und ein konsistentes Lebensbild inklusive Rituale erleben können. Die Caritas ist gern gesehene Gesprächspartnerin und Expertin in Medien, wenn es um soziale Schieflagen geht. Kein Österreichurlaub ist denkbar ohne den Besuch einer kirchlichen Kulturstätte oder einer der bedeutenden Kirchen. Im Ordensspital beispielsweise fühlen sich Menschen weniger als Nummer als anderswo, noch dazu als Privatpatienten. Eine Ordensfrau hat das größte Potential an Vertrauenswürdigkeit und Trostkraft. Überall dort finden Menschen „geöffnete und empathische Haltungen“ vor, heutige Welt- und Menschenbilder prägen die Professionalität der handelnden Menschen und Organisationen.

Aber ist das die Kirche, die Menschen meinen, wenn sie landläufig von der Kirche reden? Nein. Wenn der Blick der Menschen im öffentlichen Diskursraum auf „die Kirche“ geht, dann reden Menschen und Medien von der Hierarchiekirche der Bischöfe, meinen die Kleruskirche, die Missbrauchskirche, die frauenfeindliche Amtskirche, das „menschenferne Oben“ (mit Papst Franziskus als bemühte Ausnahme) und das gestrige, nicht demokratisch verfasste Kirchengebilde. Mögliche positive Erlebnisse in der Pfarre wie bei Erstkommunion, Firmung oder in einer der pfarrlichen Gruppen werden zuerst eben nicht dieser Hierarchiekirche zugeordnet. Dann stellt sich heraus, dass selbst dort „ein Pfarrer“ immer das letzte Wort hat. Wenn der nicht will, skurrile Ansichten hat, der Sprache nicht mächtig ist, das hohe Alter (weil es keinen Nachwuchs gibt) sein Bemühen verdeckt, wird das Bild von einer weltoffenen, menschenzugewandten, tröstenden und befreienden Kirche immer weiter zugedeckt. Selbst die medial dauerpräsenten Kollar tragenden Priester lassen zwar das von den Medien dargestellte Bild etwas freundlicher erscheinen, verschärfen allerdings in der Peripherie und an der Basis diesen „Priesterfokus“, der in einer Art von Kult-Kirche landet.

„Die Strategien der Wunschproduktion, Sehnsuchtserfüllung und Kontingenzbewältigung des hegemonialen Kapitalismus sind effizienter, flexibler, anschaulicher, adressatenorientierter, liquider als jene der Kirchen und sie sind nicht traditionsbehindert.“ Das sagt der Pastoraltheologe Rainer Bucher und stellt damit die Kirche in das Heute, das zum Großteil von digital geprägten Dynamiken erfüllt ist. Die Kirche ist nicht (mehr) Souverän, sondern Untertan dieser prägenden Dynamiken. Byung-Chul Han schreibt in zwei kleinen Büchern treffend „Vom Verschwinden der Rituale“ und sieht die neuen digitalen Realitäten als „Undinge“.  Jetzt sind allerdings Rituale und die Anschauung der Dinge für ein religiöses Leben konstitutiv. Diese tiefgreifende Veränderung hätte das Konzil sehr früh erkannt und darauf reagiert. Gesprungen ist die Kirche nicht, wie der verstorbene Weihbischof Helmut Krätzl in seinem Buch „Im Sprung gehemmt“ schreibt.

Berührend offen hat Kardinal Christoph Schönborn in der Predigt von den inhaltlichen Auseinandersetzungen mit seinem verstorbenen Weihbischof gesprochen. War für den einen der Aufbruch in Sicht, hat der Kardinal die Zeit nach dem Konzil als „Zusammenbruch“ erlebt. Krätzl hat bewusst die Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 16,11-15) für sein Begräbnis ausgewählt, die Lydia schildert, die damals dem missionierenden Paulus und dem Christentum in Europa das eigene Haus geöffnet hat, sich als erste taufen ließ. Über diese Lydia hat der christliche Glaube Fuß fassen können. Neben mir stand beim Begräbnis eine befreundete Frau und sie flüsterte mir ins Ohr: „So schön, diese Lesung, die eine Frau in den Mittelpunkt rückt.“ Sie war den Tränen nahe. Mein Blick geht nach vorne ins Presbyterium. Dort sehe ich nur Bischöfe und weitere klerusgewandete Männer. Selbst die Lesung hat ein Mann vorgetragen. In meinem Kopf tut sich wieder dieser Spalt auf. Da wird von den wichtigen Frauen geredet, konkret einen Platz um den Altar bekommen sie allerdings keinen. Weder das Kirchenrecht noch die liturgische Ordnung verbietet Frauen im Presbyterium. Die Gewohnheit schlägt zu. Pfingsten komm.

„Plötzlich kam vom Himmel her ein Brausen – wie ein gewaltiger Sturm – und erfüllte das ganze Haus (den ganzen Dom), in dem sie versammelt waren. Zugleich sahen sie etwas wie züngelndes Feuer, das sich auf jeden Einzelnen niederließ.“ Ein Pfingsten voller gottgenährter Geistkraft für und mit allen Jüngerinnen und Jüngern. Ein neues Verstehen (Sprachen), ein fester Mut (Feuer) und ein geschwisterliches Miteinander zeichnete daraufhin die ersten Christinnen und Christen aus. Frauen und Männer stehen am Altar. Ihr Verstehen ist genährt von einem neuen Hinhören auf Augenhöhe, auf die Not und die Bedürfnisse der Menschen. Ihr Mut ist ein Mut zur Tat und zur konkreten gegenseitigen Unterstützung. Und aus diesem Verhalten entspringt dieses synodale Miteinander als „neue Körpersprache“. Der Magnetismus der ersten Christengemeinden verankert sich im Heute. Und genau diese neue Körpersprache, die von Vielheit und Diversität, von Gleichheit in der Würde ganz konkret, von Gewaltfreiheit im Umgang miteinander, von Liebe und Compassion mit allen Lebewesen geprägt ist, redet „die Kirche“ zwar viel und bleibt doch in der alten Körpersprache hängen wie beim Begräbnis.

Deshalb braucht es eine Avantgarde für neue kirchliche Präsenzen. Das gelingt einer „Kirche der Werke“ wie beispielsweise in Bildung, Gesundheit, Kultur und Sozialem. Jesus würde aus meiner Sicht heute eher mit Schüler und Schülerinnen im spannenden Dialog sein, am Krankenbett tröstend die Hand halten, als Vermittler durch die Geschichte und Herkunft gehen und konsequent und penetrant die ungerechten gesellschaftlichen Strukturen, die arm machen und andere unverschämt reich, geißeln. Ob er beim Begräbnis im Presbyterium oder hinten stehend Platz nehmen würde, lasse ich offen. Eines bin ich mir sicher: Die Hierarchiekirche wird noch viel Pfingsten, Sturm und Feuer brauchen, damit sich in der Körpersprache das neue Verstehen, der feste Mut und das synodale Miteinander ehrlich und glaubwürdig „abbilden“.

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