140 km und 70 Stunden Aufmerksamkeit

Nach einem Tag Durchatmen im winterlichen Kirchschlag ist ein Blick zurück und ein Blick nach vorne angesagt. In jedem Fall habe ich bleibende und erhellende Eindrücke aus den acht Tagen mit auf dem Weg in die Zukunft. Es wurden nicht 10 Tage, weil ich gleich am ersten Tag merkte, dass der Abend eine höchst interessante Zeit ist, die Stadt zu durchwandern. In der Natur wäre es finster, nicht in der Stadt. Außerdem ist diese Abendzeit jene Freizeit, wo die meisten Aktivitäten in der Pfarren passieren und so Begegnungen gut möglich sind.

Ungefähr 140 km zu Fuss

Immer wieder wurde ich gefragt, wie viele Kilometer ich auf den Füssen war. So wurde ich selber auch neugierig, obwohl ich Zahlen, Messen und Wägen nicht wirklich mag. Mit einem Routenplaner habe ich schließlich alle Stationen nochmals abgegangen und es kam die Zahl 138 heraus. Das Gehen an den ersten beiden Tagen war geprägt von viel Natur (Pöstlingberg, Pasching, Pucking, Pichling). Richtige Sattelitenstädte sind in der Natur entstanden und dazwischen noch viele Äcker, Wälder und Auen. Die Traun ist das Wasser dazu. Linz Süd war geprägt vom Stadtgehen und von der Industrie. Linz Mitte und Nord war irgendwie „City“.  Das Hinaufsteigen durch den Schnee ins Mühlviertel war die mächtigste Herausforderung beim Gehen.

Etwa 70 Stunden bewußte Aufmerksamkeit

Ich könnte heute nicht mehr sagen, wann und wie oft ich „abgeschaltet“ habe. In jedem Fall sind die Eindrücke so gewesen, unterstützt von der Einmaligkeit des Stadterlebens durch den Schneefall, dass ich nie das Gefühl hatte, eine Wegstrecke gegangen zu sein, ohne eine Erinnerung daran zu haben. Wenn ich in Gedanken anhand der Fotos die Strecke nochmals „abgehe“, fehlt mir kein Stück. Schon die durchschnittliche Gehgeschwindigkeit  von 2 km/h zeigt, dass  gerade auch Gespräche einen guten Platz gefunden haben. Normalerweise ist meine Gehgeschwindigkeit ca. 5 km/h.

24 : 12 : 12

So stellen sich das Verhätnis der „Pfarrhofgespräche“, der „Gespräche mit Pfarrangehörigen“ und „niemand angetroffen“ in den Pfarren dar. Vorausschicken muss ich, dass ich bis auf zwei Ausnahmen nirgends angemeldet war, auch Samstag und Sonntag nachmittag unterwegs war, ebenso in der Mittagszeit.

In 24 Pfarren habe ich mit den zuständigen Pfarrseelsorgern direkte Gespräche im Pfarrhaus geführt. Es waren dies meist die Pfarrer, die PfarrassisitentInnen und Kapläne bzw. PastoralassistentInnen.  Die Gespräche habe mir nicht nur einen tiefen Einblick in das Pfarrleben gegeben, sondern oft auch in persönliche Herausforderungen an die jeweiligen Personen. Gerade auch die Nächtigungen waren eine gute Gelegenheit, sich auf persönlicher Ebene zu begegnen und auszutauschen.

In 12 Pfarren war von den SeelsorgerInnen niemand da, habe aber wichtige und engagierte PfarrmitarbeiterInnen angetroffen. Gerade die Pfarrsekretärinnen oder auch ehrenamtliche MitarbeiterInnen waren wunderbare GesprächspartnerInnen. An ihnen habe ich immer wieder gesehen, „dass sie für die Pfarre brennen.“

In 12 Pfarren habe ich niemanden angetroffen, davon waren auch tagsüber 2 Kirchen zugesperrt. In so einem Fall habe ich mit Passanten das Gespräch gesucht und aus der Beobachtung des Rundherum einiges mitgenommen.

Das alles ist keine Beurteilung, sondern sind meine Eindrücke

Natürlich besteht jetzt kurz vor den Semesterferien die Gefahr, dass dieser Blog als Beurteilung oder Semesterzeugnis gelesen wird. So ist er in keinem Fall von mir gemeint. Es sind meine persönlichen Eindrücke, die ich gesammelt und – hoffentlich – behutsam zugänglich gemacht habe.  Das Gehen war in erster Linie für mich, um mich zu öffnen, um einzutauchen in diese Region Linz mit den 46 Pfarren, um die vorgefassten Bilder über die Pfarren in meinem Kopf zu ergänzen durch eine ursprüngliche und mächtige Erfahrung. Natürlich sind in mir auch Zukunftsbilder entstanden, wie wir im guten Miteinander die Ansprüche und Schätze des Evangeliums für die Menschen auf den Leuchter stellen können. Bischof Wanke hat sinngemäß bei der heurigen Thomasakademie gemeint: „Ohne das Evangelium Jesu Christi fehlt in unserer Gesellschaft Entscheidendes.“ Es geht darum, das Evangelium auf den Leuchter zu stellen, nicht die Kirche.

Hat jede Pfarre und jeder pastorale Knotenpunkt genug Lebenswillen?

Wo ein Wille, da ein Weg. Wo Begeisterung, da ein Zukunftsweg. Recht unterschiedlich habe ich diesen Lebenswillen der Pfarren erlebt. Wenn dieser Lebenswille der Pfarre heute alleine am Pfarrer hängt, dann schaut es nicht gerade zukunftsfähig aus. Die Übergabe dieses Lebenswillens an einen jungen Pfarrer kann aus heutiger Sicht nicht so ins Auge gefasst werden. Wo dieser Wille aber durch vielfältige Beteiligung und breite Streuung zum Ausdruck kommt, da sind fröhliche und strahlende Gesichter zu sehen. Meine Grundüberzeugung ist, dass die Pfarre als solche einen „bunt gewebten Lebenswillen entfalten muss“.  Das bedeutet, dass Verantwortung an die Getauften übergeben wird, dass Schlüssel für Räume ausgegeben werden, dass die Verwaltung und Finanzen in professionelle Hände kommen, usw. Ich sehe die Chance nur darin, dass der jeweilige Pfarrgemeinderat sich erhebt und zum Träger und Gestalter dieses Lebenswillens wird.

In meinem Arbeitsbuch für die PGR-Arbeit und den Neubau des St. Anna Pfarrzentrums in meiner Heimatpfarre steht ganz vorne die Aussage von Erich Fromm:

„Wenn das Leben keine Vision hat,
nach der man strebt,
nach der man sich sehnt,
die man verwirklichen möchte,
dann gibt es auch kein Motiv,
sich anzustrengen.“

Die Kernfrage wird lauten:
Entdecken wir zusammen mit der jüngeren Generation eine Vision, gespeist aus dem Evangelium, für die es sich lohnt, Zeit, Energie und Fähigkeiten einzubringen?

2 Kommentare

    • Michi auf 31. Januar 2010 bei 09:35

    Ich finde es wichtig, dass alle Christen sich gemeinsam auf den Weg machen und gemeinsam auf Christus zupilgern.

    Es habe die Sorge, dass der importierte Klassenkampf die Katholen aufspaltet, schwächt und in Lagern aufspaltet – wie das bei den Parteien der Fall ist.

    Doch Kirche, wir alle Gläubigen, sind und dürfen nich an Parteien oder an persönliche Anschauungen von richtig oder falsch gebunden sein.

    Wer sind wir, dass wir über andere das Urteil sprechen und sie Brandmarken in links oder rechts, in progressiv oder konservativ, in mutig oder zurückhaltend, in richtig oder falsch?

    Ökumene beginnt bei den Priestern, die ich selbst nicht mag. Ökumene beginnt bei denen, deren christlicher Weg mir unverständlich ist. Ökumene beginnt dort, wo ich in meiner Liebe herausgefordert bin.

    Ich wünsche mir, dass wir den Weg gemeinsam gehen.

    • Alois Perner auf 1. Februar 2010 bei 10:19

    die Art, wie Ferdinand Kaineder seine neue Aufgabe angeht, durch Er- und Begehen, die Annäherung von außen her an die Menschen, ihre Lebensumstände, an die Orte des Geschehens, durch Wahrnehmen des Alltags ist eine riesige Chance für die Kirche von Linz. Ich kenne in der österreichischen Kirchengeschichte keine derartige Vor-gangs-weise.
    Ich wünsche allen, daß es gemeinsam gelingt, das Evangelium auf den Leuchter zu stellen.

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