Verändere dich und werde wesentlich

Synodaler Weg

#kt22 steht für den Katholikentag 2022 in Stuttgart. Wir waren die ganz Zeit dort. Vier volle Tage, hautnah erlebt und da nur einen winzigen Ausschnitt. Und doch können wir den Atem, die Grundtonalität, den Spirit „erkennen“. Olav Scholz hat davon am Podium gesprochen, „dass die Menschen erkannt werden wollen“, gerade in der Situation des Überganges von fossil in solar, in Wendezeiten der Transformation. Ich wurde gefragt, wie ich die Tage erlebt habe. Hier das Interview.

Interview mit dem Präsidenten der KAÖ, Ferdinand Kaineder, zum deutschen Katholikentag in Stuttgart.

In welcher Gefühlslage fährst du heim?

Positiv gestimmt, etwas müde von den vielen und vielfältigen Eindrücken, genährt von Begegnungen und Inhalten und weiter neugierig. Schön und fein, dass ich im Auftrag der KAÖ hier sein durfte, erstmals in meinem Leben bei einem deutschen Katholikentag, der der 102.te war.

GS Marc Frings und Ferdinand Kaineder

Welche Erfahrungen hast du gemacht?

Die Stimmung war offen, überall waren die Menschen miteinander im Gespräch, auch im Vorübergehen. Auf Bühnen und Podien fanden wir wunderbare Musik bis in die Nacht hinein und top aktuelle Informationen und Diskussionen auf Podien und an Informationsständen. Eine besondere Erfahrung war das Podiumsgespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz zum Thema „Zeitenwende und Zusammenhalt“. Er plädiert für ein neues Netz aller liberaler Demokratien weltweit.
Das Motto „Leben teilen“ ist aus meiner Erfahrung aufgegangen.
Dass viel weniger Leute zum #kt22 gekommen sind als erwartet, hat nicht nur mit Covid zu tun, sondern auch mit dem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der Bischofs- und Amtskirche. Die schleppende und nicht wirklich konsequente Aufarbeitung des Missbrauchs, die seit Jahren anstehenden nicht vollzogenen Reformen und die liturgische Männerlastigkeit lässt Menschen auf Distanz bleiben.

Vielfalt stärkt – Gemeinschaft hält

Was hat dich am meisten berührt?

Der Abend mit Eckart von Hirschhausen, der ernsthaft und gleichzeitig humorvoll die Situation der Erdkruste zur Sprache brachte, bleibt mir in dauernder Erinnerung. Da haben wir alle Ermutigung getankt. Eindrucksvoll haben an diesem Abend gerade auch junge KlimaaktivstInnen über ihr Engagement gesprochen und appelliert, jetzt zu handeln. Wenn von einem Teller Weizen 20 % auf unseren Esstellern bleiben, 60 % als Tierfutter verwendet und 20 % als Treibstoff verarbeitet werden, dann muss das sicher sofort anders werden. Weniger Fleisch, weniger fossile Lebensweise, weniger Auto, weniger Komfortzone und mehr Zusammenhalt, damit wirklich alle mitkommen. Wir werden so wirtschaften lernen, dass die nächsten Generationen nicht die Schulden tragen und in den Verwüstungen von Klimawandel und Kriegen leben müssen.
Berührend waren auch die tiefen Momente des Gebetes, des Gedenkens, des Ausdrucks der Sehnsucht nach Frieden. Wenn das alles im gemeinsamen Singen zum Ausdruck kam, wie bei den Gottesdiensten, dann waren das schon besondere Momente.
Auch das Abschlussstatement der ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp bezüglich der zukünftigen Kirche: „Verändere dich und werde wesentlich!“ fand ich sehr eindrücklich.

Unsere Gastfamilie in Fellbach. Danke!

Wie vergleichbar sind die Situationen in Deutschland und Österreich?

Der Katholizismus lebt dort wie da im Spannungsfeld von Tradition und Aufbruch. Die Volkskirche von ehedem gibt es in ganz Europa nicht mehr. In vielen Gesprächen wurde die Mutlosigkeit der Bischöfe thematisiert und auch die immer noch ausstehende Gendergerechtigkeit und der barrierefreie Zugang aller zu Kirchenämtern. Auf der positiven Seite stehen die sozialen Angebote der Kirche. Sie sind nach wie vor der stärkste Ausdruck von Kirche, wie etwa bei Caritas oder Misereor. Während die amtliche Volkskirche schrumpft, nimmt die jesuanisch-christliche Bewegung Fahrt auf und eine sozial-ökologisch-spirituelle Praxis zieht in die kirchliche Kleinstruktur wie Pfarren und Verbände ein. Kirche stirbt nicht, sie wird nur anders, das ist über die Grenzen hinweg Konsens.
Der Dank, den die PolitikerInnen der Kirche für ihr Engagement aussprachen, gebührt eigentlich den vielen ChristInnen, die Flüchtlinge beherbergen, die ein klimaneutrales Leben führen, die Verständigung in den Pfarren suchen und für die Lebendigkeit des sozialen Wesens Kirche sorgen.

Schlosspark

Welche Ideen nimmst du mit nach Hause?

Wieder einmal habe ich erlebt, dass Gespräche bereichern und dass Vielfalt und Diversität die Kirche stärken, im Gegensatz zur Ideologie der „einen Stimme“. Die Zeit des Diskutierens über kirchliche Reformen ist meiner Meinung nach hinter uns, jetzt heißt es konkret werden. Von zentraler Bedeutung wird es sein, alle einzubeziehen und teilhaben zu lassen. Dafür braucht es gelingende Vorbilder, die wir bewusst in den Vordergrund rücken müssen. Schon jetzt gibt es viele Einrichtungen und Initiativen, die in einem „konstruktiven Ungehorsam“ dem amtskirchlichen System Kirche gegenüber schon Zukunftsmodelle leben. Dafür sollten wir uns weitherzig öffnen, auch als KAÖ, damit wir gemeinsam dem Frieden, der Mitweltgerechtigkeit in jeder Hinsicht, der Fairness und der Lebensfreude den Weg bahnen. „Offen sein“, „geöffnet“ wird eine zentrale Haltung werden.
Bischof Bätzing sagte im Predigtgespräch beim Abschlussgottesdienst: „Schauen wir das Neue an. Das ist Leben teilen. Lieben und erkennen, mit Kopf und Herz. Blicken wir dem Anderen ins Gesicht. Spüren wir die Verbundenheit in der Vielfalt. Komm Jesus, auch in unsere Zeit.“ Mit dieser Aussage bin ich komplett einverstanden, das ist die gemeinsame Basis für die Entwicklung einer Kirche, die zukunftsfähig ist.

Website des Katholikentages 2022: Leben teilen.