Wenn das Pferd zum Wasser geht

Das PferdDie Augen hängen an der Buntstiftspitze. Die Finger führen den Stift ganz ruhig. Was der Noch-Vierjährige in seinem Kopf sieht, will auf das Blatt Papier. Das Pferd. Es wird, es entsteht, es steht auf vier Beinen. Das Papier hat gerade gereicht. Im kindlichen Flow  trabt das Tier zum Brunnen. Es schaut. Und ich stehe ruhig da und staune.

Zu meinen schönsten Aufgaben gehört der Opadienst. Er ist wöchentlich fix im Terminkalender eingetragen. Seit der Geburt des ersten Enkelkindes vor sechs Jahren war mir klar, dass ich Zeit nehmen werde, um diese heranwachsenden „Lehrmeister des Lebens nicht zu versäumen“. Dass ich für manche überraschend Wien vor gut einem Jahr beruflich verlassen habe, hat auch damit zu tun. Heute werde ich von einer fast zweijährigen Lehrmeisterin und einem fast fünf und schon sechsjährigen Lehrmeister begleitet. In meinem Buch meditiere ich ab Seite 233 die Frage: Wer kann uns heute Lehrmeisterin und Lehrmeister sein? Da sehe ich zuerst die Natur und die Schöpfung, weil Naturbilder für Geist, Seele und Körper nährend sind.

Kinder als LehrmeisterInnen

Und dann sehe ich Kinder als Lehrmeisterinnen und Lehrmeister. „An ihnen können wir lebendiges und begeisterndes Leben spüren. Unsere drei Enkelkinder sind mir darin ein Korrektiv geworden, das eigentliche Leben nicht zu übersehen. Vorlesen, spielen, singen, tanzen, entdecken, die Kraft der Fragen, die Spontaneität, das Lachen und das Streiten, das Genießen und das Heranwachsen der eigenen Lebenssicht und des eigenen Willens zu sehen ist einfach wunderbar inspirierend, oft auch korrigierend. Vom Zusammenkuscheln und „Liebhaben“ gar nicht zu reden. Und wie sie ganz normal vom Sterben reden, staunend beim Begräbnis dabei sind, wo sie unsere tiefe Trauer spüren und doch auch wieder daheim sind im Urvertrauen dem Leben gegenüber. Trost und Hoffnung atmen sie mit und ihre Gesichter lassen uns vor allem hoffen.“ Die Zeilen entstanden rund um das plötzliche Sterben meines jüngeren Bruders Heribert. Die Kinder haben uns damals die Hoffnung vorangetragen.

Weiters: Erfolge bestärken das Können und bringen Anerkennung. Scheitern lehrt uns Grenzen und kräftigt die Kraft zum Aufstehen. Tiefe Weisheiten verbinden uns über alle Grenzen. Heilsame Personen und spirituelle Schriften geben uns Orientierung, die Person Jesu und die Bibel ebenso. Kinder und im Speziellen die Enkelkinder sind auf dem Weg, suchen das Leben und bringen es auf ihre Art hervor. Das Hinschauen, das Zuschauen, das Sich-mitfreuen und  das tiefe „wunderbar ist dir das gelungen“ sagen uns gerade in verzwickten und engen Zeiten, wie tiefgehend einfach das Leben sich eigentlich darstellt, hervorbringt und anfühlt. Nicht umsonst hat da einer vor mehr als zweitausend Jahren gemeint: „Lasst die Kinder zu mir kommen.“ Deswegen nehme ich mir Zeit für die Lehrmeisterin und die Lehrmeister. Das Pferd wiehert, trinkt beim Brunnen und trabt hin zur Wand. Da steht und hängt es nun der Bewunderung ausgeliefert.