Zum Friseur gehen

Es ist ein besonderer Luxus, eine besondere Lebensqualität. Im Bergdorf haben wir keinen Friseur, dafür im drei Kilometer entfernten Nachbarort zwei. Wir bewegen uns im mittleren Mühlviertel. Gestern bin ich daher zum Friseur gegangen. Zu Fuß hin und zu Fuß zurück. Mir ist klar: Wenn ich das schreibe, werden mich die autofokussierten Mitbürgerinnen und -bürger für verrückt erklären. Ich habe es genoßen. Hinübergehen und herübergehen, wie wir sagen. Der Haarschnitt und das feine Gespräch mit Eva nebenbei. Es ging dabei um das Schloss Wildberg und seine Wiederbelebung. Schöne Beobachtungen und erste Schritte dahin. Mein Haar wurde kürzer und meine Neugierde größer.

Beim Herübergehen denke ich: Da muss ich auch einmal hinuntergehen. Frische Luft umspült meine Nase. Die Augen weiden über die Wiesen, Wälder und Hügel des Mühlviertels. Die Abendsonne kommt von links. Am Zurückweg ist es finster. Den Weg kenne ich. Das macht das Vorantasten im Wald einfacher. Über die freien Flächen sieht das befinsterte Auge genug Weg. Keine Autoscheinwerfer, die alles stören würden. Gedanken gehen mit, tauchen auf und verlieren sich wieder. Ich denke an die beiden Männer auf dem Marienweg in Rumänien, die uns in aller Frühe den Weg gezeigt haben, auf dem sie selber eine halbe Stunde zur Arbeit gegangen sind. Sie haben gescherzt, gelacht, geschwiegen und sich eine angezündet. Sportwissenschaftler würden jubeln, wenn der Tag mit Bewegung in der Natur beginnt. Beim Eine-Anzünden würden sie die Nase rümpfen. Unser Schulweg vor Jahrzehnten dauerte auch etwa eine Stunde. Wir waren „ausgegangen“ und konnten – so bilde ich es mir heute ein – leichter sitzen als jene Kinder, die heute vom Frühstückstisch in die Garage, vom Auto in das Schulgebäude torkeln. Es ist ein besonderer Luxus, wenn Füsse uns durch die alltäglichen Stationen tragen können und dürfen. So auch gestern zum Friseur.

Was das Gehen kann

Katharina Grager vom Sonntagsblatt für die Steiermark hat mir im Rahmen der Serie  „unterwegs ….. in der Schöpfung“ dazu drei Fragen gestellt, die ich ihr gerne so beantwortet habe.

Wie sind Sie am liebsten in der Schöpfung unterwegs?

Zu Fuß. Wenn es irgendwie geht, nehme ich Alltagsstrecken zu Fuß. Das ist absolut keine verlorene Zeit, wie manche meinen. Schauen, Beobachten, Staunen liegen am Weg, in der Stadt oder in der Natur. Wenn das nicht geht, dann nehme ich ein öffentliches Verkehrsmittel. Die Seele und Gedanken werden dahinchauffiert, ohne angestrengt zu werden. Etwas lesen, mit anderen im Gespräch sein oder einfach nur die Gegend vorbeiziehen lassen. Ich genieße das. Das Auto nehme ich nur im Notfall, weil ich die Erfahrung gemacht habe: Wer mit dem Auto fährt, bleibt eigentlich in seinen vier Wänden daheim. Viel zustimmendes Nicken bekomme ich bei meinen Vorträgen „Gehen ist heilsam“. Hier meldet sich aus meiner Sicht die schlummernde Sehnsucht der Menschen, gehend der Schöpfung zu begegnen. Auf einem T-Shirt von mir steht: Geht doch!

Was macht das Unterwegs-Sein in der Schöpfung mit Ihnen?

Die Schöpfung ist so für mich zur Lehrmeisterin geworden. Gehen ist die Geschwindigkeit der Seele. Ich habe auf diese Weise in verschiedensten Facetten gelernt: Das Leben kommt mir entgegen. Die Schöpfung ist die Quelle, und im Gehen lerne ich, auf diese Quelle zuzugehen und aus dieser Quelle zu trinken. Heilige wie beispielsweise Franziskus haben Gott in der Natur, in der Schöpfung draußen gesucht. Jesus selbst ist viel gegangen und hat sich immer wieder „zurückgezogen“, um sich auf Gott auszurichten. Heuer bin ich im Herbst sechs Tage am Lechweg in Tirol vom Fall in Füssen bis zur Quelle hinter Lech gegangen. Das hat in mir wieder ganz tief verankert: Alles beginnt ganz klein. Da bin ich gedanklich mitten in der Krippe. Von dort her kommt die Kraft und ebenso der Trost.

Ein konkreter Vorschlag für den Advent …

Ich stehe eine Stunde früher auf, um im Finstern meine halbstündige Morgenrunde bewusst zu gehen. Bei jedem Wetter. Nach dem Duschen und Frühstück blicke ich bewusst in die Flamme der Kerzen am Adventkranz. Wofür brenne ich? Immer mehr.