Die BauernPost vom Februar 2020 gelesen

Ausgabe Feber 2020

Ausgabe Feber 2020

„Agrarwende 2016 – ein voller Erfolg“ ist die Headline über der Ausgabe der „BauernPost“ vom Februar 2020. Ausgedruckt liegt sie vor mir, „die unabhängige Zeitung für den ländlichen Raum“. Persönlich habe ich sie überreicht bekommen von vier Bauern im Cafe Griensteidl in Wien. Meine eigene Biografie beginnt auf einem Bauernhof, den derzeit mein Bruder und in allernächster Zukunft mein Neffe und meine Nichte bewirtschaften werden. Milch spielt ein große Rolle und die Selbstvermarktung aller Produkte, die auf diesem naturnahen Bauernhof entstehen. Der Speck ist so begehrt, dass er fast auf dem lebenden Schwein reserviert werden muss. Zurück aber in das Cafe Griensteidl.

Die Kleinen werden überfahren

9IMG_7402Ein Milchbauer aus dem Mostviertel, aus dem oberen Mühlviertel, aus Neumarkt am Wallersee und aus Bad Leonfelden sitzen mit mir am Tisch. Wir haben uns hierher vereinbart, nachdem ich den Obmann der IG-Milch Ewald Grünzweil aus Bad Leonfelden im Zuge meiner Aktivitäten als Klimapilger bei einer Demonstration im Vorfeld des Weltklimagipfel #COP21 kennengelernt habe. Gar nicht einfach, auf welchen Wegen ich immer wieder zu interessanten Menschen geführt werde. Ich bin beeindruckt von diesen Bauern, die gerade in diesen für Milchbauern miserablen „Milch-Zeiten“ so eine kraftvolle und positive Alternative verkörpern. Ihre Kraft kommt nicht vom Reden, sondern aus ihrer Erzeuger-Situation. Auf den vier biologisch geführten Bauernhöfen gehen etwa 150 Milchkühe mit den Bauern mit. Sie erzeugen diese wertvolle Grundlage für so viele schmackhafte Nahrungsmittel wie Käse oder Joghurt usw. Aber: Die Bauernvertreter in Kammern und Genossenschaften haben sich vor einem Jahr täuschen lassen und der Abschaffung der Milch-Kontingente zugestimmt. Heute sehen alle: Die großen Industrie-Bauernhöfe produzieren so viel Milch, das die „Kleinen“ überhaupt nicht mit können und im Milch-Tsunami der großen weggespült werden. Die Bauernvertreter wollen aber den Fehler nicht eingestehen.

Nimm mit alles, nur die Ausrede nicht

9IMG_7499Russland-Embargo, fehlende Marktentwicklung oder mangelnde Exporte werden als „Ausreden“ angeführt. Da kommt mir mein Lateinprofessor in den Sinn, der vor jeder Erklärung eines Schülers gleich einmal ausgerufen hat: „Herrgott, nimm mir alles, nur die Ausrede nicht.“  Kammern, Standesvertretungen und Genossenschaften erkennen „den inneren Fehler der technokratischen industriellen Landwirtschaft“ nicht, der sich über hybrides Saatgut, in Spritzmittel oder Düngemittel über Weltkonzerne die Bauern abhängig macht. „Sie sind blind für den Systemfehler und stecken in Abhängigkeit.“ Das klingt düster, läge da nicht die „BauernPost“ aus dem Jahre 2020 auf meinem Tisch. Die Initiative „Wir haben es satt!“ hat im Jahre 2016 diese Wende angestoßen, die der Agrarökologie zum Durchbruch verholfen hat. 2020 werden Nutztiere stressfrei und mit Würde vor Ort geschlachtet. Es stellte sich schon Ende 2015 heraus, dass es gar kein EU-Gesetz gab, das Schlachtungen nur in Schlachthöfen erlaubt.  Zuchtziele wurden Tier gerecht geschrieben, Saatgenossenschaften „SamenFeste“ machen hybrides Saatgut überflüssig, das maschinelle Wettrüsten des „immer größer“ ist beendet und die Landwirtschaft verzichtet komplett auf fossile Energieträger. Der Richtungswechsel ist 2016 gelungen und trägt 2020 „faire Früchte“. Die Milchkrise 2015 wurde ähnlich dem Weinskandal als Chance genützt. Der Konsument kann aufatmen, weil er biologisch-naturnahe Produkte genießen kann und nicht auf „industrielle wertlose Kaumasse“ zurückgreifen muss. Gefördert wird jetzt nur mehr kleinstrukturierte Landwirtschaft und die großen Handelsketten sind genossenschaftlich regionalisiert. Auf der letzten Seite lese ich: „Eine Viertelmillion! Zahl der Höfe wächst weiter“. Als: Die Agrarwende wurde geschafft.

Menschen mit visionärer Tatkraft

Durch die Herrengasse vorbei am Innenministerium gehe ich zurück in das Büro der Ordensgemeinschaften. Ein großes schwarzes Auto bleibt mitten auf der Strasse stehen. Heraus springt der Außenminister und hinein in das nächste Palais. Mein Gedanke geht sofort zürück zu den vier Bauern. Ich spüre: Dort liegt die Gestaltungskraft für die Zukunft. Die politischen Eliten sind nicht mehr imstande, „das System zu drehen auf menschenfreundliche, naturnahe und eine sozial ausgewogene gerechte Zukunft“. Diese IG-Milch-Bauern sind Teil der Wende. Ganz konkret und ganz praktisch. Meine Schritte werden langsamer. Ich werde nachdenklicher. Meine Aufgabe und meine Kontakte im Netz der Ordensgemeinschaften kommt mir irgendwie entgegen. In Gedanken. Dann bleibe ich stehen und schaue vor der Schottenkirche auf zum Himmel und denke: Wo sind in unserem Bereich diese mutigen, kraftvollen Visionäre und Visionärinnen der notwendigen gesellschaftlichen Wende? Bei der Pressekonferenz hat Christian Haidinger von den „stillgelegten Propheten“ gesprochen. Diesen vier Bauern verdanke ich sehr viel: Meine Aufmerksamkeit geht in nächster Zeit darauf, unter den 5.300 Ordensfrauen und Ordensmännern und den tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die ausfindig zu machen, die heute schon ihren Teil an der gesellschaftlichen Systemwende ganz praktisch leben. Immer öfter höre ich nämlich: „Wir schaffen die Wende nicht. Wir fahren an die Wand. Wir sind schon im Krieg.“ Es ist die Leidenschaft zu ihrer Landwirtschaft, zum Hof, zu ihren Tieren, zu ihren Produkten, zur Natur, zur Gerechtigkeit, zur Fairness, die diese Bauern antreibt. Aber sie sagen es frei heraus: „Wir haben es unter unseres Gleichen nicht leicht.“ Heute weiß ich schon: Am 1. April gehe ich mit, wenn sie mit Traktoren nach Wien kommen, um die Wende einzufahren.

4 Kommentare

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    • F.H. auf 27. Februar 2016 bei 07:01

    Man muss sich leider fragen was realistischer ist:
    Die Agrarwende bis 2020 oder die Umkehrung oder wenigstens Angleichung der Altersstruktur in den Ordensgemeinschaften bis, sagen wir einmal, 2040. Die Frage der Altersstruktur wird sich dann wahrscheinlich eher „biologisch“ als anderweitig gelöst haben.
    Aber dass ein Anteil von 55% über-75-Jährigen bei den Frauenorden die Altersstruktur in der Gesellschaft widerspiegeln würde, ist schon ein mächtiger Euphemismus.
    Überhaupt scheint mir die Realitätsverweigerung bei den Ordensgemeinschaften deutlich verbreiteter zu sein als in der Bauernschaft. Dem Abtpräses möchte ich zwar danken für seinen Ausspruch von den „stillgelegten Propheten“, der es sehr gut trifft, er möge aber auch einmal seinen persönlichen Anteil und den seines Stammklosters an der aktuellen Situation ungeschönt in den Fokus nehmen!
    Ich frage mich, ob Papst Franziskus wirklich in der Lage ist, die Situation umzukehren, solange potentielle neue Propheten weiterhin wie in den vergangenen (verlorenen!) 35 Jahren an vergoldeten Mauern, verknöcherten Strukturen und versteinerten Herzen zerschellen.
    Die Veränderung fängt an der Basis an – sowohl bei den Milchbauern als auch in der katholischen Kirche (leider haben die Klöster immer noch nicht gelernt – oder manchmal auch wieder verlernt-, Basis zu sein)!

      • kaineder auf 28. Februar 2016 bei 11:20
        Autor

      Danke für den kritischen Eintrag. Euphemismus sehe ich nicht. Wir schauen ungeschminkt auf die Tatsachen. Und das sind auch wieder viele junge Ordensleute. Vor allem aber werden viele Werke von engagiertesten Frauen und Männern getragen und im Sinne der jeweiligen Ordensgründungen weitergeführt. Das sehen wir AUCH. Das mit dem Stammkloster müssen sie dort deponieren. Und mit der Basis mit einer guten Basis zu leben, ist sicherlich für Ordenschristinnen und -christen wesentlich. Aber nicht nur für sie. Das gilt uns allen.

        • F.H. auf 29. Februar 2016 bei 04:30

        Die großen Klöster im süddeutsch-österreichischen Raum (nicht die Orden im Allgemeinen) möchten immer gern Basis sein, in den Augen der Menschen werden sie aber immer Hierarchie bleiben, solange sie nicht in der Lage sind, sich ihrer gegenreformatorisch-barocken Korsette zu entledigen oder sie wenigstens neu zu bewerten und/oder der Allgemeinheit in neuer Weise zur Verfügung zu stellen. Warum nicht junge, bedürftige Familien, auch Immigrantenfamilien, wohnen lassen in den verwaisten Gebäuden der Klausuren und Stiftskonvikte?!? Nur eine Idee, die alten Gemäuer wieder mit Leben zu füllen…

        Aber wie vor 30-40 Jahren (man sehe sich einmal – Stichwort „stillgelegte Propheten“ – die damaligen Ein- und Austrittszahlen an!) wird man sich womöglich wieder im Gewohnt-Gemütlichen und Althergebrachten einrichten, anstatt den Mut zu haben, Aufbruch und Avantgarde zu sein. Die mit wahnsinnig viel Geld neu errichteten oder restaurierten Gartenanlagen, die man sich neuerdings machen lässt, werden das Ruder auch nicht herumreißen, solange die Mönche nicht selbst wieder Dreck unter den Fingernägeln haben. In ihrer Ästhetisierung und Überdimensioniertheit bleiben sie auch nur wieder Ausdruck eines längst obsolet gewordenen Barock.

        Dabei müsste man nur ein bisschen Kratzen an all dem Pomp und Gold und Stuck: darunter liegen noch die alten Gewölbe und Gemäuer, viel eher Ausdruck einer monastischen Begeisterung und eines Aufbruchs, den man sich auch für heute Wünschen würde (wie wäre es z.B. mit einer Fußwallfahrt zum Weltjugendtag nach Krakau? Und diese ganz bewusst auch in Solidarisierung mit den Flüchtlingen, denen der Zugang verwehrt wird?!)

        Man möge einmal weiter zurückdenken als nur bis zur Pracht und Herrlichkeit des 17. Jahrhunderts: der Urgrund des gerade viel beschworenen christlichen Abendlandes liegt nicht dort, sondern im Mut und Aufbruch (immer zu Fuß!) eines Bonifatius, Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi, ja sogar eines Martin Luther!
        Und natürlich, ja, die Basis, die eigentliche Basis, liegt im Evangelium, in der Kontemplation, im Gebet – aber vielleicht muss man auch lernen, anders, mutiger zu beten…

          • F.H. auf 6. März 2016 bei 06:33

          Vielleicht ein kleiner Anstoß / ein Vorbild für den eigenen Aufbruch in’s Ungewisse:

          http://de.radiovaticana.va/news/2016/03/04/vatikan_frankreich_frère_alois,_der_papst_und_flüchtlinge/1212996

          Da, wo früher Cluny war, ist jetzt Taizé…

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