Treten wir heraus aus dem Nebel

Es ist mittlerweile mehr als ein Jahr her, dass ich in Gmunden mit Heiner Geißler beim Frühstück saß. Ich empfinde es noch heute als besonderes Privileg, diesem Menschen so persönlich begegnet zu sein. Heute lese ich im Publik-Forum ein Interview mit ihm. Er wundert sich darin, dass sich Parteien nicht mit Amnesty International, Greenpeace, attac und den Occupy-Bewegungen oder „was es sonst an modernen Selbstinszenierungen der Zivilgesellschaft gibt“ zusammentun. Nach Heiner Geißler sind sie „Verbündete für den Erhalt der Demokratie“.

 Warum spitzen sich die Problemlagen so zu?

In der Politik und in der Ökonomie sind heute die ethischen Fundamente weggebrochen. Das Kapital dient heute nicht, sondern der Mensch und die Strukturen müssen dem Kapital dienen. Tatsächlich werden die Menschen vom Kapital beherrscht. „An die Stelle von Gott ist der Markt getreten. Er ist der große Gott, der alles regelt. Und das Kapital ist der große Götze, den alle anbeten müssen.“ Das ist die Ordnung der Welt heute und dem ordnet sich alles und alle unter.

Sie beklagen das Wegbrechen der Wertefundamente. Müsste da nicht viel mehr Einspruch von den Kirchen kommen?

Geißler wörtlich: „Von den Kirchen müsste viel mehr Druck ausgehen. Aber speziell die katholische Kirche ist als Inspirator und Ideengeber ein Totalausfall. Sie beschäftigt sich mit Sexualmoral statt mit den wahren Problemen der Menschheit.“ Wir werden in Zukunft „die Kirche“ im öffentlichen Raum differenzierter darstellen müssen.  Es gibt verschiedene kirchliche Säulen, „die unterschiedlich ticken“. Diese Vielfalt ist ein Reichtum. Gerade in den Ordensgemeinschaften und aus ihnen heraus entwickeln sich Initiativen, die Werthaltungen in konkretem Tun manifestieren. Ein Schutzhaus für vom Frauenhandel betroffene Frauen ist die Tat. Auch die Engagierten in den Pfarren an der Basis warten nicht mehr, bis von „oben“ etwas kommt, sondern legen ebenso Hand an und gestalten mit vielen Ideen ein neues Miteinander. Wenn wir hier unterscheiden, sehe ich vor mir neue Koalitionen auftauchen. Es geht nicht um die Rettung der Kirche, sondern um den Menschen in dieser unglaublich monetarisierten Gesellschaft. Gerade mit den Bürgerbewegungen  wie Respekt.net, Urban Gardening, Greenpeace, neue Tauschmodelle, Allmende, Commons, Occupy, Amnesty  können zielführende Koalitionen und Initiativen gesetzt werden. Wahrscheinlich müssen wir uns von „der Kirche“ (siehe Geißler: er meint die rein nach Rom gewandte Amtskirche) auch ein Stück weit auf Distanz bringen, damit die Kraft des Evangeliums wieder spürbar und kirchliche Milieus als gute Partner für den Menschen erlebbar werden. Der Götze „Geld und Markt“ wird nicht von alleine gehen. Da müssen wir uns gemeinsam in eine neue Richtung bewegen. Viele Ordensgemeinschaften sind schon unterwegs. Andere machen sich auf.

Wir wissen und spüren: Es sind schmale Pfade heraus aus dem Nebel. Aber es geht.