Das Alte geht nicht mehr

IMG_1205„Das Alte geht nicht mehr und die Navigationskarte für das Neue ist noch nicht da.“ Gestern verbrachte ich mit dem renommierten Ökonomen Stephan Schulmeister im kleinen Kreis einen Vormittag zu den „aktuellen Entwicklungen“. Seine Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung basiert auf langfristigen Beobachtungen und einem unglaublichen Faktenwissen. Seine grundsätzliche Sichtweise, dass Arbeit – Realkapital – Finanzkapital immer zu unterscheiden sind und miteinander oder gegeneinander rittern, helfen mir schon seit längerer Zeit, die Dinge besser zu verstehen. Gerade weil in den 50er und 60er Jahren das Realkapital die einzigen Erträge abgeworfen hat, wurde das „Wirtschaftwunder“ möglich. Hayek und Friedman ist mit der Etablierung des Neoliberalismus eine unglaubliche Destabilisierung und im Nebeneffekt eine Entfesselung des Kapitalmarktes gelungen. Hayek soll einmal gesagt haben: „Entweder gibt es den freien Markt oder die Demokratie.“ Seit den 70er Jahren hat sich der Markt etabliert und als „Basis-Religion für alles“ bis in die letzten Winkel menschlichen Lebens eingeführt. Selbst eheliche Beziehungen werden heute nach den „Markt-Prinzipien“ gestaltet. Bildung, Gesundheit, Soziales und selbst Spirituelles muss „am Markt bestehen“. Manchmal lehne ich mich in Selbstreflexion zurück, nehme meine persönliche Markt-Brille ab und muss feststellen: Da ist einiges verzerrt.

Immer mehr aufs Gas steigen 

IMG_1210Viele Menschen spüren heute, dass sich diese Wege, die wir derzeit beschreiten, nicht einfach „weiterschreiben“ lassen. Schulmeister sagt ganz deutlich, was wir alle spüren und sehen: Die Politik versagt. Die Politik wurde zum Handlager der Marktgestalter, der Marktgewinner, der derzeitigen Eliten, der Oligarchen. Dagegen gibt es nach seiner Einschätzung derzeit auch kein adäquates Mittel. „Die Sozialdemokratie steckt in der Sackgasse und die Gewerkschaft ist uneins in dieser Sache.“ Schulmeister berichtet von seinen Erfahrungen, wie Gewerkschaften in der EU keinen gemeinsamen Faden finden, um dem “ groß kampagnisiert“ entgegenzuwirken. Er bedauert auch, dass die Kirchen ebenso keinen Faden finden, kein Gewicht haben. Aus meiner Sicht: In ihren unterschiedlichsten Sichtweisen sind sie zum Großteil schon Opfer des Marktdenkens, der Individualisierung zum Zwecke Marktbedienung. Heute lacht mir der Wiener Dompfarrer vom Titelblatt der Krone entgegen, der genau diese Eliten mit dem Gefühl umgibt, dass selbst Hochwürden ein engagierter Marktteilnehmer ist: „Toni Faber als Pater Bleifuß.“ Gas geben ist angesagt.

A new deal for europe

IMG_1203Wir haben dann auch eine Initiative angesprochen, die ich seit gestern ganz deutlich vor Augen sehe. Schulmeister selber hat diesen „NewDeal“ für Europa schon vorgeschlagen. Jetzt scheint das angekommen zu sein. Er selber sieht darin sogar eine verbesserte Version. Jetzt ginge es darum, dass dieser Deal kampagnisiert wird. Auf der Website lese ich: „Der europäische Einigungsprozess war sehr bedeutsam für unsere Länder. Der durch zwei Weltkriege verwüstete und verarmte Kontinent kam wieder zu Frieden und Wohlstand. Doch jetzt stößt die Europäische Union bei den von ihr zu bewältigenden Aufgaben an ihre Grenzen. Ein Umsteuern ist notwendig. Ein Europa, welches für Arbeitslosigkeit, prekäre und unterbezahlte Arbeit steht, für Einschnitte im Sozialsystem, wachsende Armut, wirtschaftlichen und sozialen Niedergang, zerstörte Hoffnungen, das können und wollen wir nicht länger hinnehmen. Wir fordern eine andere Politik der EU, soziale Solidarität, nachhaltige Entwicklung und partizipative Demokratie. Wir wollen ein Europa, das – mehr als ein gemeinsamer Markt – eine echte europäische Föderation ist, mit gemeinsamer demokratisch legitimierter Exekutive, die dem Europäischen Parlament verantwortlich ist, eigene Zuständigkeiten und Befugnisse hat und in der Welt „mit einer Stimme spricht“.“
Wie hat Hayek gemeint? Markt oder Demokratie! Der „Markt“ muss wieder Teilbereich der Demokratie werden, auch wenn die Navigationskarte dorthin noch nicht akkordiert ist.

 

1 Kommentar

    • Christian Haidinger auf 28. Juni 2014 bei 14:52

    Lieber Ferdinand!
    Das ist ein ganz toller und wichtiger Beitrag!
    Er hilft mir persönlich zum besseren Verstehen dieses komplexen Thematik sehr!
    Sei herzlich gegrüßt,
    Christian

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