Vernunft wird jetzt unvernünftig

1_Dürnstein_900„Die Krise und das Gute Leben“ lautet der Titel des Symposiums von 6. – 8. März 2014 in Dürnstein. Namhafte ExpertInnen haben Leben, Arbeit, Religion, Philosophie und Politik „beleuchtet“. Heute war der Beitrag der Religionen zum Guten Leben das Thema. Katholikin, Muslimin und Philosoph nahmen Platz. Mein kleines Büchlein liegt auf dem Knie für den einen oder anderen Satz. Es wurden mehrere. Auf der Heimfahrt habe ich sie in die Tastatur „geklopft“. Sie sollen mir lesbar in Erinnerung bleiben. „Weil Gutes Leben kein Individualprogramm ist“, teile ich es mit den Leserinnen und Lesern dieses Blogs.

Ambivalenzunfähigkeit

Der Philosoph Robert Pfaller: „Derzeit spielt sich die Vernunft als besondere Instanz auf, um nur ja alles gesund, sicher und nachhaltig zu gestalten. Die Vernunft läuft Gefahr unvernünftig zu werden und das Gute Leben zu verhindern.“ Das berührt mich. „Allen Vergnügungen haftet etwas Ungutes an und deshalb kann der Mensch heute nicht mehr genießen.“ Die Theologin Theresia Heimerl spinnt den Gedanken weiter: „Man wirbt heute mit nichts so gut wie mit der Sünde. Sündhaft gut zeigt die Ambivalenz zu moralisch, sinnlich und ästhetisch gut. Der Mensch in der Diagonale von exzessiven Genuß und rauschhafter Askese. Wir tun uns in der Religion mit der Ambivalenz schwer.“ Da kommt im Kopf meine Ellipse auf, die immer zwei Brennpunkte hat. Die Dozentin Amani Abuzahra kommt gleich am Punkt: „Als Mensch ist jede und jeder eigenverantwortlich und da können rauschhafte Zustände hinderlich sein. Das Selbstbewußtsein darf nicht versperrt werden. Von dort kommt das Alkoholverbot im Islam. Es ist immer die Frage: Was und wie genieße ich und was kann es für Folgen haben. Das verbinden wir Muslime mit dem Genuß.“

Wofür lohnt es sich

2_Dürnstein_900Pfaller: „Genussfähigkeit geht von der ganz einfachen und doch tiefen Frage aus: Wofür lohnt es sich zu leben? Heute erleben und leben wir in einer Gesundheitsreligion, die uns eigentlich kaputt macht. Alles muss gesund und sicher sein.“ Die überfüllten Ordinationen erinnern an die Schlangen vor den Beichstühlen. Heimerl sieht daher in der Religion einen Entspannungsmoment in Richtung Gesundheitsreligion: „Du musst nicht alles jetzt hinbekommen und du musst dich nicht dauernd optimieren. Es lebt sich entspannter in der Dimension des Reiches Gottes und der Ewigkeit. Außerdem bleibt die Frage drängend, was mit denen passiert, denen das Leben nicht glückt. Dieses geglückte Leben klingt allerdings auch nach „Plansoll“. Davon sind wir als religiöse Menschen befreit.“ Innerer Applaus. Gott nie gesagt: Es ist perfekt. Er hat gesagt: Es ist gut. Abuzahra sieht in der Religion Orientierung und Anleitung in Richtung Gutes Leben: „Die drei immer wiederkehrenden Buchstaben in vielen Worten ’slm‘ schließen auf Frieden. Gutes Leben hat viel mit dem Zustand des Friedens mit sich selber, dem Mitmenschen, der Schöpfung und mit Gott zu tun. Es geht um friedvolle Beziehungen.“ Sie spricht von einer neuen Perspektive auf das Leben, das Zusammenleben und Verstehen.

Die Leere bedroht den Menschen

3_Dürnstein_900Heimerl sieht die besondere Herausforderung für den einzelnen und der Gesellschaft in der „drängenden Leere“. Da kann ein transzendenter Rahmen hilfreich sein. Pfaller erinnert an seinen Kollegen Pascal, der gemeint hat: „Die, die nichts glauben, glauben jeden Mist.“ Er sieht in der Frage – „Ist das Leben das, was es sein kann“ – einen dauernden Anstoß. Alle drei stimmten überein, „dass Gutes Leben kein Individualprogramm ist.“ Religion bietet ein tiefes Orientierungssystem und wenn das wegfällt ist erwiesen, dass sich Leben reduziert. Zehn Jahre früher sind die Männer im Kommunismus gestorben, Propst Fürnsinn bringt sich mit seiner Erfahrung ein und alle hören gespannt zu: „Klöster haben über Jahrhunderte Gutes Leben eingeübt und in Gemeinschaft gesucht. Bewährt hat sich dabei Meditation, Stille, Gebet, Gemeinschaft, Arbeit, miteinander essen, Gespräche und Freiraum für Rückzug. Das muss immer wieder neu gelebt und gesucht werden entlang der großen Erzählungen aus der Bibel und der Ordensgeschichte und entlang der Ordensregel.“ Heimerl: „Das gute Leben ist nicht immer das, was gerade gesellschaftlich so definiert wird. Mit Blick auf die Jesusgeschichte sehen wir, dass scheinbares Scheitern auch erfülltes Leben hervorbringen kann.“ Stimmt: Scheitern ist oft mit Wehen für das Neue verbunden. Abuzahra: „Die großen Erzählungen der Religionen sind heute sicher noch wirksam, aber vielleicht fehlen Erzählstränge wie die der Frauen oder von Minderheiten.“ Sehr vernünftig. Applaus.