Empfindsam zu werden für das, was wirklich ist

Sr. Silke„Mehr oder weniger“ steht unter dem Menschen in den Kirchenzeitungen. Ein Waage ist aus der Balance. Unsere Zeit stellt die ganz massive Frage: mehr oder weniger. viel mehr oder wesentlich weniger. Das heutige Interview mit Sr. Silke Mallmann aus dem Kloster Wernberg in Kärnten soll viel Zeit bekommen, damit es in Ruhe und mit Wahrnehmung gelesen werden kann. Worte, die mich „angehen“, ganz persönlich.

Erlaube ich mir, dass nichts passiert?

„Es kommt immer darauf an, wie man die Zeit nutzt. Etwa beim Warten. Warten wird oft als öd erlebt. Die Frage ist, wie nutze ich meine Wartezeit? Hänge ich nur am Handy, stopfe ich alles Mögliche in mich hinein, oder erlaube ich mir auch, dass einmal nichts passiert? Wartezeiten sind ganz wichtige Zeiten, um empfindsam zu werden für das, was wirklich ist. An Bahnhöfen oder Flughäfen sitze ich sehr gerne und beobachte nur. Es ist wichtig, Zeiten zu haben, wo man wahrnimmt, was da ist. Eine Zeit, in der man Dinge geschehen, sich überraschen lassen kann.“ Sr. Silke geht einen Gedanken weiter: „Ich warte auf etwas Größeres, das ich mir selbst nicht geben kann. Solche Wartezeiten haben eine ganz tiefe Bedeutung. In der Wartezeit wächst auch die Sehnsucht. Wenn ich verliebt bin und auf den Geliebten warte, wächst in der Wartezeit auch die Sehnsucht.“ Diese Sehnsucht ist aus meiner Erfahrung der springende Punkt. Gibt es eine Sehnsucht nach dem Weniger, dem Wesentlichen, dem wesentlich Weniger in einer Zeit des immer Mehr?

Pisa ist abgesagt

wenigerGerade heute wird auf Twitter heftig darüber diskutiert, ob Österreich mit seinem Bildungssystem wegen des Datenlecks „Pause“ machen darf. Ich bin ja kein Bildungsexperte, der auf Zahlen und „vermessene Fakten“ angewiesen ist. ExpertInnen werden verhungern, wenn sie keine Zahlen am Tisch haben. Ich höre bei LehrerInnen und bei SchülerInnen, dass das Wort „Test“ im Laufe der Jahre ein bestimmtes defensives Verhalten produziert hat. Test-Völlerei mancherorts. Komma-Testen. Aber: Man versteht es schon, mit diesen Testungen umzugehen. „Studien“ haben ja schon bewiesen, dass nicht mehr das Können gemessen und getestet wird, sondern der Umgang mit dem Test. Ganz extrem dargestellt: Pisa misst nicht das Können, sondern wie SchülerInnen mit Pisa umgehen können. So wird der junge Mensch hineinformatiert in die Excel-Liste und den Abfragemodus. Keine Kreativität. Werden so SchülerInnen „empfindsam für das, was wirklich ist“? Die Fastenzeit ist eine große Chance durch das Weniger zu mehr Achtsamkeit, Empfindsamkeit, Empathie und Beziehung zu kommen. Ich schlage vor: Nicht nur Pisa absagen. Der Stern hat es ohnehin auf den Punkt gebracht: Abschalten. In die Luft schauen, Gegend vorbeiziehen lassen oder einfach ungeteilt mit Menschen reden und noch besser zuhören.

In den 5 Minuten stirbt er nicht

„Wenn bei uns jemand ins Krankenhaus eingeliefert wird, hetzen gleich alle und machen alles, was gerade medizinisch notwendig ist. In Afrika sind die Krankenschwestern hingegangen und haben erst einmal mit dem Patienten geredet. Die ersten zwei Jahre bin ich daneben gestanden und habe ständig gedacht: „Jetzt macht doch endlich etwas!“ Bis ich draufgekommen bin: In den fünf Minuten stirbt er nicht, sondern wesentlich ist genau dieses Gespräch.“ Mehr ist hier und heute nicht zu sagen. Ganz Ohr sein ist der erste Schritt zur Heilung.