Im Südburgenland das Neue gehen

Der Pilgerstab„Kirche neu (er)finden“ ist eine Sehnsucht im Südburgenland. Ich behaupte: Nicht nur dort. Diese Sehnsucht dort will gehen, gemeinsam und drei Tage lang. Das Neue nicht nur bereden, bedenken, bebeten, sondern begehen, im Gehen konkret Gestalt annehmen lassen. Meine persönliche Erfahrung ist: Es wird im Gehen gelöst, es wird im Gehen neu entstehen, sich zeigen, Dynamik entfalten. Drei Tage lang „umrunden“ wir eine Gegend in Österreich, die sich auf der einen Seite etwas zurückgestellt „fühlt“ und gleichzeitig von außen gerade als Hort der Ursprünglichkeit gesucht wird.

Südburgenland - Route

Die dreitägige Route

„Es ist sehr schwierig, dass sich neue Formen von Kirche bei uns entwickeln“, meint eine Mitgeherin. Die bisherigen, vom Klerus oft im Alleingang vollzogenen kirchlichen Feier- und Gemeinschaftsformen, sind brüchig geworden, haben Sprachschwierigkeiten, leiden wegen Bequemlichkeit, sind dort und da im Ritualghetto zwar gesichert, aber doch gefangen. Die Wirkkraft der Lebendigkeit aus einem Leben nach dem Evangelium, in der Art und Weise Jesu, „lässt zu wünschen übrig“, wie es ein anderer Mitgeher recht wohlwollend berschreibt. Diese Situation verleitet häufig zum „Sudern“, nimmt eine entmutigende Grundtonalität an. Das wollten einige  in verschieden Bereichen verantwortliche Frauen und Männer ändern, „anders in Gang bringen“. Und wir gehen pilgernd den Südburgenland-Bogen.

Route der Begegnungen

Hennerstorf

Am Hennersdorfer Hofladen eine Stärkung nehmen

Die Pilgerbegleiterinnen Monika und Barbara haben uns im Voraus die Route zusammengestellt. Willi hat die Begegnungen „eingefädelt“. Manches war geplant, anderes ist uns zugefallen. Das Neue nimmt gerne als Überraschung Platz, ist in den Landkarten noch nicht eingezeichnet, formt sich erst und nimmt leise Gestalt an.  Ich durfte die Impulse und die inhaltliche Ausrichtung beisteuern, vom Atmen und dem bedingungslosen Gottvertrauen, vom gemeinschaftlichen  Lebendig-Werden bis hin zur Urkraft des Lebens in der Natur, die als Paradigma für die Urkraft des Evangeliums für die Kirchen taugt. Wer das Südburgenland – so wie ich – noch nicht kennengelernt hat, kommt ob der „bergigen Flachheit“ oder der „flachen Berge“, der Dörfer und Initiativen ins Staunen. Und Staunen ist schon ein guter Ansatz. Wertschätzen des Vorhandenen, des neuen Vorhandenen, das sich Entwickelnde. Dankbar sein für jene Menschen, die heute schon einer neuen Kirche ein neues Gesicht schenken. Vom Reden ins Tun. Das alles ereignete sich in einer ersten Etappe von Jennersdort nach Rudersdorf. Am zweiten Tag von Ollersdorf über Oberdorf nach Jabing und am dritten Tag von Hannersdorf über den Hannersberg, den Eisenberg  bis Bildein. Ein Drittel der Teilnehmenden ist die ganze Strecke am Gehen, andere sind Tag für Tag dazugekommen, meist um die 25 Personen. Und im Gehen hat sich das alles vermischt. Persönliches Kennenlernen, Austausch der Erfahrungen bis hin zum gemeinsamen schweigenden Gehen.

Besondere Erfahrungen

Olbendorf

Im Outdoor-Wohnzimmer bei Paul Mühlbauer

Wir stehen in Jennersdorf vor dem Mutter Teresa Haus (Altenheim) zum Morgenimpuls. Gedanken, Erklärungen, ein Lied und dazu für jede und jeden ein „Mittragsl“. Ein blau-weißes Band umfängt eine Feder. Das Pilgern fühlt sich gleich „luftiger, leichter, fluffiger“ an. Ein ganz richtiges Signal: Pilgern macht das Leben leichter. Weniger führt zum Wesentlichen. Ganz im Gegenteil zu den manchmals moralisch beschwerenden Schwingungen „der Kirche“. Nach und nach legen wir auch die Ruf „Auto“ ab, wenn uns ein solches von hinten oder vorne begegnet. So verlieren wir den „Autofokus“ und nehmen uns selber als gleichwertige 20-köpfige Verkehrsteilnehmer*innen wahr. Im Auto schreit auch keiner „Menschen“. Das verleitet mich zu einem gedanklichen Schlenkerer. Auch in der Kirche ertönt immer wieder der Ruf  „Pfarrer“. Dieser Pfarrerfokus lässt alle irgendwie erzittern wie auch der Autofokus. So spinnen sich viele Parallelen entlang des Weges, aus- oder angesprochen, oft auch nur gedacht. Der Henndorfer Hofladen gibt uns ein Beispiel, dass verschiedene Fähigkeiten und auch Interessen gut unter einem Dach vernetzt Platz haben. Der Künstler Paul Mühlbauer lässt uns in seinem Outdoor-Wohnzimmer Platz nehmen, erzählt offen und frei von seinem Leben „im Dorf“. Interational anerkannt, im Dorf bei weitem nicht von allen. Künstler*innen erzeugen, wenn sie vor Ort in Beziehung gehen, Reibung und somit Aus-einander-setzung, in Folgen offene menschliche Wärme. Nicht alle in so einem Dorf können sehen, dass „Vielfalt stärkt, Fremdes bereichert, Gemeinschaft hält und Beziehung heilt“. Wir erleben die wunderbare Gastfreundschaft einer quirligen Pfarrgemeinschaft, in der auch Ruth mitmacht. In ihrer Kirche nehmen wir – von den Schritten ermüdet – Platz. Sie lädt uns ein, so Platz zu nehmen, wie wir es gerade am angenehmsten empfinden. 80% von uns legen sich in die Bänke, lauschen so der vorgetragenen Musik. Wir erheben uns, singen zwei Lieder im „Einklang“ miteinander und verlassen tief angerührt die Kirche. Ein besonderes Erlebnis. Wären wir mit dem Auto da, hätten wir nicht so gehört, gefühlt, erlebt. Pilgern geht nach innen. Drei Tage lang reihen sich die Erfahrungen wie an einem Rosenkranz die Perlen. Das Neue, das Lebendige, das Verbindende, das Herausfordernde kommt uns entgegen. Der Weg in die neue Kirche tut sich auf, hat längst begonnen. Während Touristiker das Pilgern gerade voll vermarkten, wird das „pilgernde Gehen“ vom Klerus vielfach als „spirituelles Hobby“ betrachtet.

Der Regen mobilisiert Kräfte

Der Regen

Der Regen, ein Segen

Der Bürgermeister von Hannersdorf sperrt uns die Kirche auf, erklärt sie uns, verabschiedet uns auf den Weg. Das war übrigens immer so, dass wir von verantwortlichen Frauen und Männer empfangen wurden. Die Pfarrer hatten jeweils „keine Zeit“. Als Außenstehender oder besser als „Außengehender“  möchte ich ihnen zurufen: Lasst euch das Neue nicht ent-gehen. Zurück nach Hannersdorf. Wir erklimmen den Hannersberg (350m). Die ersten Regentropfen deuten an, das die dunkelschwarzen Wolken etwas mit uns vor haben. Wir richten uns auf „Feuchtigkeit“ ein. Zwei Stunden lang werden wir „befeuchtet, beregnet, beschütet, beblitzt“. Das stehende Gewitter umkreist uns. Und der Regen brasselt nieder. Wir denken an die Bauern, die daheim jubeln werden, weil es endlich regnet. Die tiefen Sprünge in den Felder füllen sich mit Wasser. Ein Segen. Auch für uns, weil wir als Gruppe gefordert sind. „Alleine wäre ich das nie gegangen“, hat ein Teilnehmer am Schluß in Bildein gemeint. Wir sind alle „voll durchnässt“. Und es geht einfach weiter.  Im Gehen bleiben ist hier wichtig. Irgendwie habe ich den Eindruck, „es geht mit uns weiter“. Es – nicht wir. Das Gehen im Regen entfaltet eine eigene Kraft, wenn wir sie zulassen. Langsam hört es auf. Langsam „trocknet“ uns der warme Wind und später die Sonne. Eine feuchte Trockenheit geht am letzten Tag mit. Und diese besondere Erfahrung: Wer Herausforderungen nicht meidet, erlebt noch viel tiefer und vor allem die Kraft der Gemeinschaft.

Freiraum für Personen mit neuen Ideen

Deutsch-Schützen

„Das Neue“ steht als Person in der Tür

Vom Eisenberg kommend („Trocknungsphase“) besteigen wir die Hügel über Deutsch-Schützen. Am Wasserreservoire oben stehend, über die weite Landschaft ins Pinkafeld schauend, erzähle ich als Impuls von der Benediktsregel. Heute feiern die Benedikt’s Namenstag. Die älteste Ordensregel gibt drei Funktionen in der Gemeinschaft einen besonderen Stellenwert, eine Wichtigkeit. Es ist „der Jüngste, der Pförtner, der Abt“. Der Jüngste als „Inspiration für Neues“, der Pförtner als „hellwache Person an der Außengrenze mit dem tiefen Impetus, in jedem Fremden Christus zu sehen“ und der Abt als „Dienst an der vielfältigen Einheit, der Zusammengehörigkeit“. Wir kommen in das Dorf und kehren beim Bürgermeister in seinem Weingut zur Mittagsrast ein. Er erzählt vom Dorfleben, den Zukunftschancen, der Entwicklung neuer Ideen für die Region. Da tritt hinter ihm ein junger Mann in den Türrahmen, erzählt in aller Bescheidenheit, dass sie hier die Räumlichkeiten nutzen dürfen, „um Neues auszuprobieren“. Er stappelt tief, den seine Erfahrungen – so stellt sich heraus – liegen in aller Welt, am Taubenkogel, im Steirereck. Hier entsteht eine neue regionale Küche, eine wertige Gastfreundschaft von jungen Leuten weit draußen am Land. Das wünschte ich der Kirche auch, dass sie ihre Räume zu „Freiräume für neue Ideen und Nutzungen öffnet“. Habt Vertrauen wie wir es hier gehört und gesehen haben. In meinem Buch schlage ich sieben Klänge an, die in die Zukunft leiten. „Freiraum geben“ ist der erste Klang, „nur begeisterte Personen beleben wirklich“. Hier passiert das gerade, um das Weingut, um Leben in diese Gegend zu bringen. Einfach fein. Bei der Abschlussrunde in Bildein sind alle „happy“, dass sie dabei waren. Unser Gesang klingt zusammen, manches ging verlorden („Loslassen befreit“), anderes wurde leichter. Draußen hat es wieder zu regnen begonnen. Wir sind da, hier und jetzt.

Schön, hier auf der Website der Diözese Eisenstadt eine Schilderung aus einer anderen Perspektive  zu lesen, inkl neuer Möglichkeiten Ende August.