Kaffeehaus oder ethisch-religiöse Bildung

Ich habe vor Jahren immer wieder Religionsstunden gehalten. Auch wenn das in der Stadt war, so bin ich von Abmeldungen verschont gewesen. Es war eher immer wieder die Frage in der Direktion zu klären: Dürfen ORB- Schüler oder Angehöriger anderer Konfessionen in der Klasse bleiben. Die Antwort des jeweiligen Direktors war immer: Ja. Damit war die lästige Aufsichtspflicht erledigt. Und ich habe es immer als Bereicherung erlebt, wenn anwesende Muslime oder Schüler, die ohne religiöse Praxis in der Familie aufgewachsen sind, Fragen gestellt haben. Wann betet ihr das Vater unser? Warum hängt euer „Erlöser“ am Kreuz? Mein Vater schimpft dauernd über die Kirche und was meint ihr damit? Oft habe ich solche Interventionen als aufgelegte Elfmeter erlebt. Natürlich stellt ich auch Gegenfragen: Welche Zeichen habt ihr in der Wohnung hängen? Wie feiert ihr die Feiertage? Was ist euch in der Familie wichtig?

Ethik im Alltag

Ich erinnere mich noch genau an eine 1. Klasse HAK vor etwa 20 Jahren. Eine Schülerin hat sich über ihren Vater schwer geärgert, „weil er so inkonsequent streng ist“. Ich habe damals zu vermitteln versucht, dass jede und jeder „zuerst bei sich selber bei der Veränderung beginnen kann“. Weder Schuld noch Veränderung liegen allein beim anderen, sondern ich selber bin die Veränderung oder ich habe Schuld selber gut zu machen. Heute sage ich: Die Veränderung leben. Schuld eingestehen ist der Beginn für Erneuerung.  Das hat die Schülerin sehr wach gehört und ihren Vater vor sich: „Alles, was er selber nicht lebt, soll ich gut machen.“  Ich erinnere mich noch, wie wir beim Beispiel mit Jesus waren, wo auch die Pharisäer und Schriftgelehrten (zumindest die selbstgerechte Sorte von denen) den Menschen Lasten aufgelegt haben und selber ganz anders handelten. Heute fühle ich mich bestätigt in dem, dass jeder Alltag von persönlicher Verantwortung getragen werden muss oder soll. Ethik ist nicht zuerst bei den anderen  zu entwickeln, sondern hat den Ausgangspunkt immer bei mir. Genau das sagt das Christentum in der Nachfolge Jesu: Es liegt an mir zu gestalten und zu verantworten. Gerade der konfessionelle Religionsunterricht will dazu beitragen, dass das persönliche Gewissen erwacht und wach gehalten wird, sehr oft gegen den allgemeinen Strom der Zeit. Was ist dir wichtig? Was muss uns gemeinsam wichtig sein? Wie können Werte, Alltagsrituale und Communities christlich geprägte Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, Empathie, Weniger ist Mehr, usw. wichtig bleiben. Kurz: Wie kann die Offenheit auf Gott hin und von ihm her „offen“ bleiben?

Und nachher ins Kaffeehaus

Natürlich finden solche Gespräche auch in Kaffeehäusern statt. Manchmal sogar lebendiger als im Klassenzimmer. Und doch braucht es eine geordnete (das ist nicht gleich mit verordnet) Auseinandersetzung zu ethischen Fragestellungen. Religionen, die den Menschen auf das wahre Selbst hin öffnen (siehe Richard Rohr), sind ethische Biotope auf Zukunft hin. Wer in einem solchen Religionsunterricht damit nicht konfrontiert wird, der sollte im Ethikunterricht dazu die Gelegenheit bekommen (müssen). Da gebe ich dem Vorschlag von Staatssekretär Kurz vollinhaltlich recht. Und nachher sollen beide ins Kaffeehaus gehen. Oder sich sonstwo tiefen Diskussionen hingeben über Gott und die Welt. Ohne solidarisch gelebte Werte wird es in Zukunft „eng“. Das ist es zum Teil heute schon. Im Religions- und Ethikunterricht geht es ums Ganze. Und das ganz.