Mein 1,70 Fehler

Ein Gutschein

Aussteigen aus dem Öffibus. Die Gedanken ganz woanders. Den Weg hinüber zum Bahnhof Urfahr in Linz nehme ich gemütlich. Es ist noch ein wenig Zeit. Der Zug steht schon da. Das Handy läutet. Das Telefonat plaudert sich dahin. Einsteigen, Platz nehmen, etwas im Schreibbuch nachschauen. Alles klar. Auflegen. Aus dem Fenster schauen. Der Zug fährt ab. Und dann.

„Darf ich ihre Fahrkarte sehen?“, höre ich eine Stimme über meine Schulter fragen. In diesem Moment taucht am Fenster die Donau auf. Wer die Zugstrecke ins Obere Mühlviertel kennt, weiß, wo wir gerade sind. Mein Blick geht in das FFP2-Gesicht der Dame, die sich wiederhot: „Die Fahrkarte bitte.“ In diesem Moment schießt es durch den ganzen Körper: Ich habe ganz vergessen, eine Fahrkarte zu lösen. Mit Vorteilscard wären das 1,70 EUR gewesen. Sonst nicht auf den Mund gefallen, fehlen mir die Worte. Eine Portion Wut steigt in mir auf, schleudert sich auf die Dame, weil sie meinen Fehler gerade aufgedeckt hat. Sofort hole ich diese ausgebrochene Wut, die leise geblieben ist, zurück. Die Dame kann  nichts dafür, dass ich ganz vergessen habe, die Karte zu lösen. „Entweder 105.- EUR in bar oder 135.- EUR mit Erlagschein.“ Gut, dass ich am Weg vom Bus zum Zug den Bankomat nicht links liegen gelassen habe. Ich strecke ihr das Geld entgegen und aus dem Hüftgerät, wo sonst der Revolver sitzt, schiebt sich die Quittung heraus. Ich halte mir noch einen kleinen Vortrag und schaue beim Fenster hinaus. Die Donau fließt dahin. Mit meiner Unachtsamkeit habe ich 105 Euro in den Sand, ins Wasser gesetzt. Als begeisterter Öffi-Fahrer muss mir das passieren. Der Ärger auf mich ist riesengroß.

Bitte um Nachsicht

Da taucht ein  Gedanke auf: Schreib an die ÖBB und bitte um „Nachsicht und Entgegenkommen“. In einem Email schreibe ich ein paar Stunden später und erkläre mich, die Situation und meine Begeisterung für das Öffifahren, die OÖVV-Jahreskarte und ÖBB-Jahreskarten die Jahre davor: „Von 2012 bis 2019 hatte ich eine ÖBB-Jahreskarte, weil ich in Wien gearbeitet habe. Für die Strecke Kirchschlag Urfahr habe ich ein OÖVV-Jahresticket. Das hatte ich 2019 und 2020 auch bis Ottensheim. Vorteilscard ist so und so dabei. Die Strecke Urfahr – Ottensheim habe ich 2021 aus Kostengründen beim Jahresticket ausgelassen, weil ich das 123-Ticket erwarte. In OÖ ist das Öffi-Fahren einfach sauteuer. Durch das Telefonat und meinen alten „Jahreskartenmodus“ habe ich darauf ganz vergessen.“ Dann wollte ich noch erklären, dass ich in den Jahren immer als Ambassador, Kundschafter für den Öffi-Verkehr agiert habe: „Ich bin wütend, weil ich in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen habe, als Ambassador für den Öffi-Verkehr aufzutreten. Meine unzähligen Blogbeiträge wie dieser zeugen davon. Geben Sie einfach auf meiner Website in die Suche „Öffi“ ein. Auf Twitter, FB und Insta habe ich immer Bilder gesetzt, die zum Öffi-Fahren animieren.“ Dann noch, was zu einem höflichen Email sonst noch dazugehört und „senden“. Es vergehen Tage. Der Bankomat hat mich inzwischen wieder gesehen. Irgendwie habe ich mich mit meinem 1,70 Fehler abgefunden. War so. Ist so.

Ist das für sie in Ordnung?

„Ich kann Ihre Situation natürlich gut nachvollziehen, Herr Mag. Kaineder. Daher kommen wir Ihnen gerne entgegen und senden Ihnen einen ÖBB Gutschein im Wert von € 105,- und damit in der Höhe Ihrer Nachforderung. Der Gutschein ist ab Ausstellungsdatum 10 Jahre gültig, übertragbar und kann sowohl online im ÖBB Ticketshop, in der ÖBB App und an jedem ÖBB Ticketschalter eingelöst werden. Ist unsere Lösung für Sie in Ordnung? Bitte geben Sie mir Bescheid.“ Unglaublich. Klar war das in Ordnung. Meine Freude war riesengroß, weil ich wieder mit vollem Herzen Ambassador sein kann und will. Warum ich das erzähle? Weil ich an das Gute, das Warmherzige und das Menschliche glaube und an  „meine ÖBB“. Deswegen gehen die 105.- EUR auch weiter an Menschen, die das mehr brauchen. So kam die Welt für mich wieder „in Ordnung“. Und jetzt soll es nicht mehr allzu lange dauern, bis das 123-Ticket mit mir mitfährt. Dann kann mir das nämlich nicht mehr passieren und ich werde wieder mit dem „Jahreskartenmodus“ die Öffis österreichweit nutzen.