Sich neu erfinden oder einfach finden

„Sei der Pilot deines Lebens“ schreibt Matthias Strolz, mit dem ich nach seinem Rückzug aus der Politik ein Interview – besser – ein Gespräch in Wien geführt habe. „Schlusspunkt setzen“ war damals unser Ausgangspunkt (S8/9). Er hat schon angedeutet, dass er sich dem Neuen stellen will und wird. In seinem aktuellen Buch beschreibt er die „High-Five der persönlichen Entfaltung“.  Unsere biografische Entwicklung trifft sich zum damaligen Zeitpunkt an diesem Abend auch persönlich.

Er hat gerade aufgehört und ich werde aufhören. Mittlerweile habe ich auch aufgehört und die Frage – Was machst du jetzt? – hat mich auch ziemlich oft getroffen.

Was machst du?

Sein 5-Schichten-Modell beschreibt die geschichteten Stufen und trifft sich auch mit meiner persönlichen Erfahrung: 1. Bewusst werden, ungeschminkt hinschauen, die Wachheit üben entlang dem „Nichts“. 2. Das Loslassen zulassen, entbinden, zurücklassen und die Hände, Gedanken und die Seele „freigespielt“ bekommen. 3. Sich mit der eigenen Berufung verbinden, neu verbünden und nachspüren, was als göttlicher Auftrag ganz tief hineingelegt wurde in mich.
Bei diesen 1+2+3 bin ich gerade. Dem gebe ich Zeit und Raum, Resonanzraum am Benediktweg, zusammen mit meiner Frau und dann noch eine österreichische Strecke alleine.  Im Vergleich zu den Kommunikations- und Medienprojekten der letzten sieben Jahre ist genau dieses „Nachspüren hinein in die Tiefe und Weite des persönlichen Lebens in allen Beziehungen“ eine wunderbare  Herausforderung. Es ist gar nich so einfach, dem „Produktionszwang und den Darstellungsmechanismen“ unserer Jetzt-Zeit zu entkommen. Siehe dieser Blogbeitrag.

Was wird?

Da gibt es noch zwei weitere Schichten, die diesen 1+2+3 folgen werden. 4. Form geben und das Innen nach außen formen, der Intuition Platz lassen und ihr schließlich folgen, beherzt gehen und manche Mühsal als formgebend akzeptieren (lernen). 5. Der Findungsprozess mündet hinein in eine neue konkrete Gestalt, ist so etwas wie die Inkarnation der anderen Schichten im Beitrag an der Welt und Gesellschaft im gemeinsamen Tun und Wirken. Dorthin bin ich unterwegs. Natürlich ist die Inkarnation Gottes in diesem Jesus dabei auch immer „formgebend“. Lange Zeit habe ich in der Signatur Aristoteles mitgegeben: „Wo sich deine Talente mit den Bedürfnissen der Welt kreuzen, dort liegt deine Berufung.“
Das Ausloten meiner konkreten Talente nach mehr als 40-jähriger Berufstätigkeit in verschiedenen Felder und in unterschiedlichen „sozialen Gebilden“  lohnt sich in jedem Fall. Das genaue Hinschauen auf die Bedürfnisse der Welt von der unmittelbaren Umgebung bis hin zur globalen Vernetzung scheint fast eine Überforderung zu sein oder zu werden. Und der tiefen inneren Berufung, wie ich sie in einem Gebet in Assisi besonders erlebt habe („Gib mir das Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen Auftrag erfülle, den du mir in Wahrheit gegeben.“) , neu nachzuspüren, ist jetzt gerade mit einer Art „glückseligen Neugierde“ verknüpft. Der Sinn nährt sich von innen und es heißt, den ganz persönlichen Zugang zu finden und zu kultivieren. Auf jeden und jede warten Berufungen, Aufgaben, Sendungen oder neue „Sinn-Felder“. Die Frage, die mich hin und her wanken lässt, ist diametral: Müssen wir uns selbst neu erfinden oder wird uns das Neue finden, uns entgegenkommen und uns so ins Neue hineinwachsen lassn? In solchen Phasen ist es in jedem Fall hilfreich zu gehen. Und das mache ich mit geöffneten Sinnen und Herzen.