Was ist Bedürfnis und wann der Zeitpunkt

Das Kinderwagerl steht bereit. Die gut Einjährige ziehen wir warm an. Es ist früher Vormittag. Ausfahrt in die frische Luft und, wenn es Bedürfnis wird, ein wenig schlafen. Das geht ganz unkompliziert. Das Bedürfnis hat sich schon im Augenreiben angekündigt. Beim Hinuntergehen über die Stiege suchen ihre Finger meinen Mund, die Nase, die Brille. Lachen und scherzen. Wir sind einander ganz nahe. Hinein ins Wagerl, das Flascherl bereit, flutschen wir hinaus bei der Haustüre. Es ist kalt, noch nebelig. Aber Winter ist Winter. Das wissen und das können wir.

Das Leben atmet

Wir fahren unsere Runde. Sie ist ganz still. Immer wieder schaue ich beim Wagerl „ums Eck“, ob sie vielleicht schon schläft. Die Bäckerei kommt näher, wo wir schon öfter Platz genommen haben. Sie draußen im Wagerl schlafend und ich drinnen bei Kaffee und Zeitung. Das wird heute nichts. Die Augerl schauen noch hellwach in die Welt. Gut. Wir kaufen das Gebäck. Das Kipferl wandert gleich zu den Händen und von dort in den Mund. Wir nehmen Kurs auf heimwärts. Das Schlafen im Wagerl ist heute nicht das Bedürfnis oder zumindest jetzt nicht der Zeitpunkt. Ich lerne zu warten, ohne innere Spannung, weil etwas sich gerade nicht so entwickelt, wie ich es gewohnt bin oder wie ich es gerne hätte. Kinder sind Lehrmeister für mein Loslassen. Daheim geht es zur Spielzeugkiste, wieder zum Flascherl, die Bauklötze, die ich übereinander baue, wollen nicht übereinander bleiben. „Umschmeißen“ ist gerade Bedürfnis, der genaue Zeitpunkt dafür. Dann wieder Augenreiben. Ein Signal für den Zeitpunkt zum Schlafen. Wir legen uns auf die Couch, das Flascherl mit reinem Leitungswasser im Mund, die Finger in meinem Mund, die Füße noch etwas unruhig, die Augenlider schon 50 % gesenkt, auf Halbmast. Noch eine kleine Weile, dann treffen sich Bedürfnis und Zeitpunkt dafür. Und ich bin ganz ruhig. Das Leben atmet.