Gute Frage. Es fällt schwer. Nach drei Wochen gehen ist es nicht einfach, wieder Platz zu nehmen. Der Schreibtisch war geduldig und hat gewartet. Mit viel analoger Post und Dingen, die mich am Weg nicht erreichen konnten. Natürlich ist es gut, beim Gehen nach einer Stunde anzuhalten, zu trinken, einander anzuschauen und zu fragen: Geht es? Sind alle da? Tut etwas weh? Noch schöner erlebe ich das Hinsetzen um die Mittagszeit, eine Kleinigkeit essen und trinken. Dieses Sitzen ist aber ein anderes Sitzen als das vor dem Bildschirm und am Schreibtisch. Darum haben mich seit vorgestern einige gefragt: Wie machst du das, wenn du wieder sitzen musst? Ich weiß es noch nicht. Es wird gehen. Und nach einem Tag sehe ich auch, dass es geht. Es sind ja noch so viele Gedanken der Bewegung im Kopf, die mich bewegen, obwohl ich sitze, im Zug, im Büro, bei der Besprechung, beim Essen, beim Telefonieren. Ich gestehe, dass ich öfter aufstehe und herumgehe. Es ist wieder ein Prozess, diese tägliche kontinuierliche Bewegung vom #Klimapilgern über fast 400 km von Wien nach Salzburg umzuwandeln in den „Bleibe-Modus“. Auch diesmal spüre ich, dass es nicht einfach wird. Jetzt sitze ich, um ein kleines Zwischen-Resümee anzudeuten. Es geht ja Ende November nach Paris. #COP21.
Es war ein besonderes Weitgehen
Fehlen wird mir nach dem guten gemeinsamen Frühstück und dem Einpacken der Kreis am Morgen. Immer um 9 Uhr haben wir uns zusammen mit den immer neu dazugekommenen TagespilgerInnen im Kreis aufgestellt. Wer ist da? Was hat mich hergeführt? „Ich bin Silvia aus Mühlbach am Hochkönig. Ich bin dort Pfarrgemeinderat und ich gehe heim.“ So kurz. „Ich bin Rembert – nochmals: Rembert – aus der Steiermark und wohne in Wien. Ich arbeite für das Netzwerk Pilgrim. Also Klima-Pilgrim.“ Dazwischen immer wieder Frauen und Männer, die dazugekommen sind. „Ich bin Anja aus Wien und Generalsekretärin der kfb in Österreich und gehe bis Salzburg.“ Ob es nun Bischof Andrej, die kfb-Frauenvorsitzenden von St. Pölten, Linz oder Salzburg waren, die Direktorin der KSÖ, ein Generalsekretär der KA St. Pölten oder zwei Flüchtlingskinder waren, immer war eine tiefe Motivation zu spüren. „Ich bin Ferdinand aus Kirchschlag und Wien und arbeite für die Ordensgemeinschaften Österreich im Medienbüro.“ So habe ich mich selber oft gehört. Sie werden mir fehlen, die „Kern-Pilger-KollegInnen“. Darüber hinaus die vielen insgesamt auch annähernd 350 Personen, die mit uns am Weg waren. Ich bin schon drei Mal alleine weit gegangen (durch Österreich 2004, nach Assisi 2009 und nach Thüringen 2012). Diesmal war es in der dauernd wechselnden Gruppe eine neue Erfahrung für mich. Die Übernachtungen waren vorbereitet, nicht aber der Weg. Den mussten wir gemeinsam suchen und finden. Öfters mussten wir feststellen: Es geht uns wie der Weltpolitik. Wer weiß den Weg? Wer geht voran? Wer schaut, dass alle mitkommen? Wie geht das mit den Schnellen und Langsameren? Es waren spannende Tage durch Österreich. Als ich heute früh mit dem Zug nach Wien gefahren bin, haben Orte wie Melk, Maria Taferl oder St. Pölten einen besonderen Klang gehabt. Alles gegangen.
Was nehmen wir mit?
In jedem Fall wurde der „Rucksack der Alternativen“ toll angefüllt. Digital wird das noch nachgeholt. Wir Vier haben uns am letzten Tag hingesetzt und die Projekte, Haltungen oder Personen favorisiert. Wenn die ZIB1 gefragt hätte, dann hätten wir diese drei Projekte vorgebracht:
Cradle to Cradle von Gugler
Traditionell Europäische Medizin der Marienschwestern
Streuobstschokolade aus der Community Ottensheim für Vielfalt und Zusammenhalt.
„Aus ist aus“: saisonal und regional kochen/essen (SPITZWIRTin, Alkoven)
Ausbildung der Jugend: Umwelt und Wirtschaft verknüpfen (HLUW Yspertal)
Ökologische Bauweise bzw. Rückgriff auf lokale Energieversorgung (MIVA, Michelbeuren, Pfarre Sindelburg, EZA und Pfarre Mauthausen)
Negativ“projekt“: Zersiedelung und Versiegelung als österreichweiter schlechte Trend
Kirchenasyl in St. Georgen a.d. Gusen
Flüchtlingsbetreuungsprojekte (St. Georgen, Ottensheim)
„Gehen belebt“ – Bewegung
„Natur als Lebensmeisterin
#LaudatoSi als Basisverständnis im Wandel vom technokratischen Paradigma hin zum Menschenbild der ökologische Spiritualität
Diese 12 Projekte nehmen wir aus unserem Rucksack heraus, ohne die vielen anderen, die noch drinnen sind, zu vergessen. Es sind die Begegnungen mit den Schulen oder unsere Unterkünfte in den Ordenshäusern, beim Privatpersonen oder einfachen Herbergen. Dafür danken wir herzlich.
Mein persönliches Resümee
Auf ein Blatt habe ich geschrieben: „Von den 21 Tagen gehen nehme ich eine große Weite mit. Ich bin „für und mit allen Menschen“ gegangen, die unter den Schieflagen unserer Gesellschaft und den ausbeuterischen Systemen unseres Wirtschaften leiden oder gar zu Tode kommen. In besonderer Weise sind es heute die Flüchtlinge und indigenen Völker, denen Technokraten und Geld-Ökonomen die Lebensgrundlage entziehen. Die Natur strahlt so viel Frieden aus und der Mensch führt Krieg gegen sie. Das Gehen hat mich versöhnter gemacht und gleichzeitig radikaler gegenüber unseren gesellschaftlichen Eliten.“ Dort steht auf die Frage, was mir ans Herz gewachsen ist: „Das Schlechte nicht weniger schlecht machen, sondern es muss von Beginn an gut sein.“ Leben wir so, dass wir das Ende unserer Lebensprozesse (Einkauf, Arbeit, Mobilität, Produktion,…) in die Wiege der nächsten Generation legen können? Meine zwei Grundfragen zum Leben sind noch weiter gewachsen in ihrer Bedeutung: Wie geht Reduktion? Wie kommt mehr Liebe in die Welt? Viele Projekte, die wir gesehen haben, Menschen, denen wir begegnet sind, Landschaften, die wir bewundert haben, haben dann eine „Schönheit“ entfaltet, wenn sie aus der tiefen Quelle der Spiritualität gespeist waren. Es waren immer Menschen, die nicht zufrieden waren im Gefängnis der jetzigen Plausibilitäten und oft Unerhörtes gewagt haben. Alleine auf der schmalen Spur dieser fast 400 km durch Österreich haben wir das Aufkeimen einer neuen Welt, die Transformationen hin zu einer neuen Wirtschaft erlebt. Die Medien sind zum Großteil Gefangene des laufenden Systems und entwickeln keine Kritik mehr. Auch die redaktionellen Wahrnehmungen sind eingeschränkt auf „Gängiges“ oder Skuriles. Das Welt- und Menschenbild in der Enzyklika #LaudatoSi von Papst Franziskus kann das neue Fundament einer neuen Welt werden. Das Gehen und Pilgern hat mich darin bestärkt, das technisierte Menschenbild sehr kritisch zu sehen und durch das spirituelle und ökölogische Menschenbild noch konsequenter zu ersetzen. Wer geht, wird fast automatisch dorthin geöffnet. Vom Weltklimagipfel #COP21 erwarte ich mir einen radikalen Bruch mit dem gängigen Wachstumsparadigma. Solidarische Ökonomie soll das neue Paradigma werden.“ Und abschließend: „Eine besondere Erfahrung war, dass wir so wunderbar zusammen gesungen haben, obwohl wir uns untereinander vorher nicht gekannt haben. Der gemeinsame Weg hat in vielen Gesprächen, im Schweigen, im Hinhören Ideen und eine Pilgergemeinschaft „entfaltet“. Eine tiefe Dankbarkeit hat mich von Tag zu Tag mehr erfüllt. Die Natur ist die beste Lehrmeisterin des Lebens.“ Jetzt geht es Ende November nach Paris zum #COP21. Zuvor aber werde ich mit dem Ordenstag mit P. Martin Werlen „Jetzt im Blick“ noch einen besonderen Höhepunkt erleben.
2 Kommentare
Danke für deine Zusammenfassung. ich suche noch immer die Stille.Meine Bewegung findet jetzt im Garten!! statt
Beneide dich ein bisschen, dass du Bewegung und Beruf(ung)immer wieder so toll verbinden kannst. Zugleich profitiere ich von deinen Zeugnissen und Erfahrungen – danke und weiterhin viel SPIRIT!