Weltanschauen in den Karpaten in Rumänien

WassertragenIch höre noch immer die monotonen nächtlichen Zuggeräusche, obwohl ich seit Stunden nicht mehr im Schlafwagen liege. Immer wieder taucht der Wasser tragende Bauer auf. Neun Tage „Weltanschauen“ in Siebenbürgen in Rumänien, in den Karpaten und in Kronstadt (Brasov) liegen hinter mir. Meine sechszehn Mitreisenden haben von Wien-Meidling angefangen bis Linz unser gemeinsames Reisemittel Zug verlassen. Alle Gesichter haben beim Abschied einen zufriedenen, mit Eindrücken, Begegnungen und Erfahrungen genährten Eindruck gemacht. Die Zugfahrt hat der Seele Platz und Zeit gegeben, das „Erfahrene“ schon etwas zu ordnen. Zumindest mir ist es so ergangen. Nachhaltig reisen war und ist unser Ziel. Unser vorgenommenes Programm und unsere Winterwanderungen haben wir alle gemacht, „ohne dabei ein Programm erfüllen zu müssen“. Es kam uns irgendwie entgegen. Schauen,  hinhören, bewegen, gut essen und ausruhen haben eine gute Balance gefunden. Lachen und Spaß war immer dabei.

Die einen gehen und andere kommen

Beatrice UngerIm Wissen, dass keine Tastatur eine solche Woche einfangen kann, möchte ich ein paar Themen- und Erfahrungsfelder hier festhalten – nein: andeuten. Es sind behutsame Hinweise für uns, die wir gemeinsam dort waren, und jene, die sich diesem weiten Land Rumänien, den Karpaten und Siebenbürgen stellen wollen. Heute. 2014. In den Begegnungen und Gesprächen haben sich uns Erfahrungen und Einstellungen gezeigt, wurden für mich zugänglich, die ich nicht so schnell „ad acta“ legen kann und möchte. Ob wir bei der Stadtführung in Hermannstadt mit Beatrice Ungar, einer wirklich kompetenten Journalistin der „Hermannstädter Zeitung„, oder mit Frau Renate im „ehemaligen“ Landlerdorf Neppendorf oder mit unseren Gastgebern Katharina und Hermann Kurmes in Magura ins Gespräch kamen, war für mich das tiefste Thema immer wieder „gehen und / oder bleiben“. Ein Landlerdorf hat sich von 4.000 Menschen auf weniger als 60 reduziert. Ein Museum bleibt der Zeuge für den immerwährenden „Aufbruch“.Udo Krauss Udo KraussTeppichkaufOder wenn Udo, unser lokaler Guide und als „Sachse“ ein Rückkehrer aus Deutschland nach Rumänien, immer wieder fallen lässt, dass ein Viertel aller Rumänen (4-5 Millionen) in den letzten Jahren das Land verlassen hat, dann versteht man diesen „vagabundieren Charakter der Städte und Dörfer“ in diesem landschaftlich so wunderbar schönen Land. Die einen wurden vertrieben und die anderen angesiedelt. So habe ich nicht nur die neuere Geschichte dieser siebenbürgischen Gegend erlebt.

Produkte und Arbeit aus dem Ort

SchnapsbrennenWir sehen am Abend einen ARTE-Film über Bären, Wölfe, Hirten, Schafe und aus meiner Sicht – Commons. Die unglaublichen Weiten der Wälder und Bergwiesen werden von den Hirten genutzt für ihre Schafe. Ihnen gehört das Land nicht, aber sie nutzen es zusammen mit den Wildtieren mit ihren Schafen. Angriff und Verteidigung treffen hier täglich bzw nächtlich aufeinander. Katharina und Hermann Kurmes von der Villa Hermani im Bergdorf Magura, wo wir untergebracht waren und bestens versorgt wurden, kamen über Schutzprogramme für Bären und Wildtiere in dieses Gegend des Nationalparks rund um den Königsstein. Sie haben sich entschieden, hier zu bleiben und im Bereich „Öko-Tourismus und lokale Gastronomie“ sich zu engagieren. Ihre Geschichte zu hören ist eine „Mut-Injektion für alle, die überlegen, Neues anzugehen“. Alle ihre zehn Angestellten und Partner kommen aus dem Dorf, wo am frühen Morgen weit vor 6 Uhr etwa 40-50 Personen zu Fuß über 2 1/2 Stunden in die Arbeit ins Tal hinunter gehen. Mit der Villa Hermani haben Menschen und hier vor allem Frauen einen Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe. Nicht nur das: Alle Produkte wie Käse, Butter, Fleisch, Gemüse usw stammen aus den einfachen Bauernhäusern aus dem Dorf. Bei unserem 5-stündigen Rundgang durch diese Gegend kommen wir zu einem Haus, wo gerade ein Schwein geschlachtet wird. Ein anderer Bauer brennt Schnaps auf einfachste Weise im Freien. In mir werden alle Kindheitserinnerungen vor 40-50 Jahren „von uns daheim“ wachgerufen. Am letzten Abend danke ich unseren Gastgebern im Namen aller für diesen „prophetischen Dienst“ hier in dieser Gegend in Zusammenarbeit mit den Menschen. Es gilt auch für sie: „Sie säen, pflegen und andere werden ernten.“ Sie sind unglaublich engagiert, initiativ und strahlen Zukunft aus. Echte Profis.

Annäherungen im Gehen

Hinüber nach BranGehen war 4 Tage unsere Annäherungsform. Ob es die steile Gegend von Magura und Pestera (Nachbardorf) war, der Übergang hinüber nach Bran zum „Dracula-Schloss“, der Gang durch die Schlucht hinauf zur Hirtenhütte und zur Berghütte am Fusse des Königsteins oder schließlich das Hinübergehen nach Wolkendorf, es waren immer um die 6 Stunden Gehen. Es war natürlich eine für mich als „Geher und Pilger“ die wunderbarste Annäherung. Herbert aus unserer Gruppe mit seinen 80 Jahren hat es genauso genossen wie alle anderen. Gehen verbindet und zieht einen mit. Der Zusammenhalt war wie ein „inneres Band“ in der Gruppe spürbar. Genau das habe ich in den Begegnungen vermisst. So unglaublich stark und strukturiert die „Nachbarschaften“ bei den Sachsen in Siebenbürgen war, so wenig scheint mir der Zusammenhalt unter den Rumänen heute zu sein. Es sind Individualisten und die Verantwortung für das Gemeinsame wurde im Kommunismus ordentlich zerstört. Hermann erzählt, wie sie selbst immer wieder mit den Angestellten den allgemeinen Weg für alle freiwillig gerichtet haben. Jene, die mitgeholfen haben, wurden im Dorf ausgelacht. Bis heute ist Korruption und Unfähigkeit das Markenzeichen der Verantwortlichen. So stark das Commons- und Gemeingüter-Bewusstsein vor dem Kommunismus über Jahrhunderte war, so eindringlich wurde es durch das Ceaușescu-Regime ausgelöscht. Hier wurde aus meiner Sicht ein Stück Urvertrauen zueinander und zum Gemeinsamen fundamental vernichtet. Die Freiheit heute ist noch keine Freiheit zur Verantwortung. Wir stehen an einer Fahrweggabelung. Ein Pferdefuhrwerk „rast“ durch unsere Gruppe und wir sind erstaunt ob dieser Rücksichtslosigkeit. „Auch typisch“, meint unser Guide. Das erleben wir allerdings nur einmal. Jeder schaut, dass er sich selber durchbringt.

Die Arbeit und die Umgebung

3_IleanaAm Weg „hinüber“ nach Bran treffen wir auf über 1.200 m einen kleinen Bauernhof mit 9 Kühen. Die 83-jährige Bäuerin Ileana bittet uns gleich hinein in ihre kleine Stube. Alle 17 haben wir nicht Platz und so rasten einige in der Sonne vor dem Stall. Die Tür ist mit Kuhmist abgedichtet. Es ist windig und kalt hier heroben. Die Frau macht eine lebensfrohen Eindruck. Ich frage sie, was sie heute „den Jungen“ als Lebensweisheit mitgeben möchte. Sie hebt die Schultern und schüttelt den Kopf. Sie kann und will dazu nichts sagen. Das Wasser holt sie 15 Gehminuten unter dem Haus bei einem Brunnen. Im Winter schmilzt sie Schnee. Da erspart sie sich das mühsame Tragen. Die Kübel stehen beim Ofen. Der etwas jüngere Mann ist heute ins Dorf hinuntergegangen. Ich lasse nicht locker mit meinen Fragen. Schließlich meine ich, dass hier ein Mensch vor mir sitzt, der resilient allen Widerungen des Lebens getrotzt hat und nicht mürrisch wurde. Ich probiere es nochmals: „Was hat sich bewährt in ihrem Leben? Was ist wichtig?“ Sie wieder ganz kurz: „Die Arbeit und die Umgebung.“ Und sich lächelt. In mir höre ich: Eine als sinnvoll erlebte Arbeit, die nie leicht war und die Umgebung hier in der Natur. Das ist es für diese Frau. Wir gehen den Weg hinunter ins Tal. Mehr als 700 Höhenmeter. Eine Bäuerin kommt uns mit zwei Taschen herauf entgegen. Hier kann nur der Mensch, das Pferd und Vieh unterwegs sein, auf diesem Pfad. Beeindruckend einfach und beschämend, welche Pfade Menschen sich anderswo zum Leben schaffen. Mit dem „Budget-Pfad“ hat das absolut nichts zu tun, außer dass diese Pfade so steil bleiben, weil sich woanders Menschen mit dem gemeinsam Geschaffenen „Bequemlichkeits-Pfade“ bauen. Hier ist ein Pfad, aber kein Budget. In Gedanken bin ich nicht nur in Rumänien.

Dorf von obenSibiuBaumkuchenNach WolkendorfWeltanschauen
Villa Herrmani 

2 Kommentare

    • Magwe auf 12. Februar 2014 bei 19:43

    Lieber Ferdinand,
    poetisch hast du unsere gemeinsamen erlebten Tage zusammengefasst 🙂 Danke für deine fast väterliche Begleitung, Magda

    • Alois Meißnitzer auf 13. Februar 2014 bei 22:49

    Ehrwürdiger Ferdinand!
    Auch mir hat Dein Text sehr gut gefallen. Auch Deine Bilder waren sehr eindrucksvoll, wenn auch zuviele! (Ich kann mich nicht mehr solange konzentrieren als Beamter i.R.) Besonders positiv habe ich die gute Stimmung unter den Teilnehmern in Erinnerung. Dazu hast Du wesentlich beigetragen. Vielleicht gelingt Dir ein Treffen aller in einem Wirtshaus (Zattl) oder bei einem Heurigen. Herzliche Grüße, Alois.

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