Zuvielisation wird dir gefallen

Dieser Tage hat ein Freund zu mir gemeint, nachdem wir über die verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen „dahingescherzt, gemurmelt, -gesucht und -philosophiert“ haben: „Dieser Begriff wird dir gefallen: Zuvielisation“. Er spielte da natürlich auf die Videos „viel mehr wesentlich weniger“ und so manche Diskussion in diese Richtung, die wir immer wieder einmal führen. Stimmt. Ein sehr treffender Begriff. Mir selber sind später weitere Begebenheiten „zugefallen“. Beim Theodosius-Symposium hat ein Referent über Werte und Wert gesprochen. Wir sollten in Gedanken in den Garten hinausgehen und vom Baum einen Apfel essen. Dann machte er uns aufmerksam: Das ist schädlich für das Wachstum der Wirtschaft. Wir sollten lieber ins Geschäft gehen und dort einen Apfel kaufen. Dann wächst die Wirtschaft, weil wir – sagen wir – einen Euro dafür bezahlen. Der Apfel aus dem Garten steigert das BIP in keinster Weise. Er lässt uns weiter denken und rechnen: Nehmen sie einen Vater, der 2.500 EUR verdient und dazu auch eine Mutter mit 2.500 EUR. Sie haben zwei Kinder und bezahlen für die Kinderbetreuung 2.000 EUR. Alle drei Positionen ergeben für das BIP 7.000 EUR. Die Wirtschaft floriert. Sehr schön. Jetzt nehmen wir an, das Paar entscheidet sich, dass ein Partner bei den Kindern bleibt. 2.500 und Ende. Das BIP rasselt herunter auf 2.500. Die „Wirtschaft“ ist reduziert. Aber was ist der Wert. Was ist wert-voller? Es geht mir nicht darum, Vater oder Mutter an den Herd zurückzudrängen, sondern nur um die ausschließlich monetäre Bewertung der Werte in unserer „Zuvielisation“. „Wir brauchen Wachstum“, rufen allseits die Politiker. Und was meinen sie damit wirklich? Neue Berechnungsmodelle? Dass sich immer mehr Bereiche ins monetäre Schema pressen lassen? Ich denke zurück an eine Zeit, wo im Bergdorf auf Anraten des Landes OÖ die Vereine fast begonnen hätten, sich gegenseitig die „Leistungen“ monetär zu berechnen. Wir haben die Notbremse gezogen. Das Gemeinwesen und der Zusammenhalt darf nicht monetär getragen, bewertet, abgerechnet sein.

Weniger Wohlstand ist kein Verzicht

UnbenanntEin anderer Aspekt dieser Zuvielisation begegnet mir heute in einem Interview im Relevant 3/2015 mit Niko Paech, de ich hier in Wien vor 2 Jahren persönlich kennen lernen durfte. Hier sagt er: „Wir leben in Europa brutal über unsere Verhältnisse. Ein großer Prozentsatz der angeblich arbeitenden Bevölkerung bringt keine physische Produktivität mehr hervor, sondern verarbeitet Informationen und erbringt sogenannte wissensintensive Dienstleistungen, bewegt sich dabei selber aber in immer höherem materiellen Wohlstand. Die Drecksarbeit wird an ökologisch ruinöse Produktions- und Mobilitätssysteme oder asiatische Länder delegiert. Diese ‚Bequemokratie‘ bricht schon jetzt an den südlichen Rändern Europas zusammen.“ Er stellt weiter in den Raum, was wir ohnehin alle spüren. Weniger ist mehr und Wesentliches braucht nicht viel, schon gar nicht zu viel. Paech: „Weniger materieller Wohlstand ist kein Verzicht, sondern bedeutet, die Gesellschaft von der Wohlstandsverstopfung zu befreien. Das bedingt eine Steigerung der Resilienz (Widerstandskraft) und Krisenrobustheit. Weniger kommerzielle Arbeitszeit, mehr Handwerk, mehr Selbstversorgung sind einige Elemente einer notwendigen Postwachstumsökonomie.“ Wir werden beim Klimapilgern auch bedenken, dass der ökologische Pro-Kopf-Verbrauch sich für 7 Milliarden Menschen ausgehen muss. Im „Rucksack der Alternativen“ sammeln wir Beispiele für subsistente, nachhaltige und gerechte Lebensweisen, die ein neues Glücksverständnis als Basis haben und sicher mehr psychische Gesundheit grundlegen. In jedem Fall bestätige ich meinem Freund auf diese Weise: Der Begriff gefällt mir. Die Tatsache weniger.

 

1 Kommentar

    • Hugo Korak auf 9. Oktober 2015 bei 07:01

    Hallo und einen wunderschönen Guten Tag!
    Das muss wirklich ein spezieller Tag heute sein, genau auf eure Seite zu treffen. Oft und oft habe ich die gleichen Gedanken anderen Freunden in den letzten 10 bis 15 Jahren versucht nahe zu bringen nur leider ohne Erfolg oder noch schlimmer, man wird als Spießer und kleinkarierter Spinner abgetan. Viele von denen haben es bis heute auch schon gemerkt das ich recht hatte, wagen dies aber nicht zuzugeben. Viele dieser Ideen habe ich auch schon als Grundlage einer neuen gesellschaftspolitischen Ära für ein besseres Zusammenleben reifen lassen. Tja, aber es bedarf leider einer Menge an Leute um dies auch umsetzen zu können. Ich werde dran bleiben und würde mich freuen wenn wir noch oft die Möglichkeit zum Gedankenaustausch haben. MfG Hugo Korak

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