Das Mühlviertel hat mir sechs Tage lang erzählt

Blick in das MühlviertelOberkappel und Grein, dazwischen das Mittelland mit seinem 150er-Weg.  Etwa 140 Kilometer habe ich sechs Tage lang gehend und pilgernd, schauend, hörend und mit allen Sinnen wahrgenommen. Alleine und streckenweise mit anderen. Viele Menschen glauben, sie müssen die ganze Welt bereisen, um die Welt, das Leben zu verstehen. Dabei liegt alles in  der Nähe. In der unmittelbaren Umgebung. Ich meine, dass wir in Details, in kleinen Dingen, im „regionalen Mikrokosmos“ jedes einzelnen der ganzen Welt auf den Grund gehen können. Wahrnehmungen, die uns verstehen lassen. Ein fragmentarischer Summary-Blick auf den Mühlviertler Mittellandweg.

Landwirtschaften technisieren und vergrößern sich

Stall bauenAls einer, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, geht die Aufmerksamkeit immer irgendwie in die „landwirtschafltlichen Erscheinungen“.  Wie geht da bäuerliches Schaffen? Gleich im Oberen Mühlviertel sind mir am ersten Tag unglaublich große Ställe und Güllegruben ins Auge gestochen. Das Landwirtschaftliche hat sich unglaublich konzentriert, auf wenige große technisierte „Bauernhöfe“. Richtige Produktionshallen stehen neben den Höfen ähnlich den industriellen Fertigungshallen.  „Was geschieht mit dem alten Stall?“, frage ich eine Bäuerin. Sie: „Jetzt steht einmal der neue. Wir wissen es noch nicht.“ Viele alte Wege halten den tonnenschweren Geräten nicht mehr stand und sind „ausgefahren“. Der Asphalt geht dort und da mancherorts direkt bis zu Feld und Wiese. Die mit Gülle überdüngten Wiesen sind einheitlich grün, ohne Blüten oder Kräuter. „Einheitsgras“ in riesigen Fahrsilos wartet auf den Verzehr zusammen mit Kraftfutter. Alles optimiert. „Fleißig müssen sie schon sein, die Bauern“, meint ein Landmaschienenhändler am Weg auf meine Frage, „ob sich das alles finanziell und so ausgeht?“ Landwirtschaften sind hauptsächlich technische Produktionsstätten für Agrar-Rohstoffe wie Milch oder Fleisch geworden. Dort und da ist ein Biobauer auszumachen. Dort und da auch ein Bauernhof, der den Anschluß verpasst hat. Dort und da auch Höfe, die dem „Größer, Immer-Mehr“ und „alles optimiert“ nicht folgen wollen. Diese hochtechnisierten, maschinellen und technologischen Gerätschaften führten zum ganz offenen Ausspruch eines Bauern: „Du musst wissen, meine Landwirtschaft ist das sicher nicht mehr.“ Er sieht die Fehlentwicklung und muss doch mit. Ich will nicht verurteilen, sondern schauen, wahrnehmen und die dahinterliegenden Drehbücher, Beratungen, Profiteure verstehen. Die IG-Milch-Bauern kennen sich da aus. Im Falter lese ich diese Woche die Gechichte von Florian Klenk über einen Ferkelbauern.  Meine wenigen  Blicke in die Ställe haben keinerlei Tierleid gesehen. Was allerdings bleibt? Tiere sind und bleiben spürende Lebewesen und sind keine „optimierten Produktionsmaschienen“. Selbst Bauern denken über diese Entwicklungen selbstkritisch nach.

Einfamilienhäuser und Autos

Natur und Mensch im Zusammenspiel„Es muss viel Geld in der Gegend sein?“, habe ich recht salopp eine Frau am Weg gefragt angesichts der vielen Neubauten in einer wachsenden Siedlung. Sie recht spontan: „Das Geld kostet nichts, drum bauen sie so riesig.“ Sie erzählt, dass es gute Arbeitsplätze gibt, viele Menschen gute Jobs haben und sie sich deshalb auch recht einfach verschulden können. „Und der Grund ist hier billiger.“ Das Einfamilienhaus mit der Doppelgarage ist die Norm. Die Gemeinden wollen den Kreislauf des Zuzuges und Wachsens ankurbeln. Verständlich und lohnenswert. Dafür gibt es Geld. Des öfteren gehen mir Gedanken durch den Kopf, die sich etwa so anhören könnten: Worauf weisen diese oft monströsen Häuser mit den dazugehörigen Autos eigentich hin? Was wird sich die Erdkruste denken, wenn bester Ackerboden in diesen Dimensionen vernichtet wird? In fast jedem Dorf gibt es diese „alten Wohnhäuser“ aus früheren Zeiten. Das Gemeinsame dürfte schwinden, sonst hätte nicht jedes Haus ein Trampolin, einen Pool, Rasentraktor so und so.  Immer öfter werden Neubauten mit undurchsichtigen Zäunen umgeben. Wo man nicht hineinsieht, sieht man auch nicht mehr hinaus. Mein nachdenklicher Blick geht dann zu vielen Häusern und Gebäuden, die unscheinbar und naturnahe in der Gegend stehen, das Dorf ausmachen, dort und da etwas brüchig sind, frisch gestrichen, dort offen zugänglich und hier verwachsen. Natur und Mensch sind im Grunde eins. Und die Natur lehrt Kreisläufe und eine Art von „glücklicher Genügsamkeit“.  Das Gehen verleitet dorthin.

Die Marterl und Kirchenräume

St. Thomas am BlasensteinRiesige Granitgebilde säumen den Weg vor allem im Unteren Mühlviertel. Es sind diese Natur-Monumente von Jahrmillionen. Stundenlang konnte ich mich nicht satt genug sehen in Rechberg, Bad Zell und vor allem St. Thomas am Blasenstein bis hinüber nach Bad Kreuzen. Am S9-Höhenweg gehe ich durch einen privaten Garten, um den großen Felsstein mit der archaischen Opferschale zu sehen und zu berühren. Kirchen stehen auf diesen Felsen. Menschen haben besondere Räume damit eröffnet. Das hat auch mit Reformation und Gegenreformation zu tun. Kapellen und Marterl am Weg deuten auf eine tief dankbare und im guten Sinne fromme Bevölkerung hin. Alles gut erhalten oder sogar neu gebaut wie beim Kleindienst-Bauern steil hinauf nach St. Thomas. Die Kirchenräume selber sauber und schön gestaltet. Wenn ich darin Platz genommen habe, dann war da immer eine leichte Vermutung: Die Räume sind den Menschen fremd geworden. Sie fühlen sich schwer an, atmen Geschichte. Nur dort und da (da gehört auch die St. Anna Kirche im Bergdorf dazu) ist Leichtigkeit, Buntheit, Inspiration zu spüren. Zum Aufatmen kommen wenig Leute in die Kirche. Am ehesten, wenn rundherum der Friedhof liegt. „Ja, ich schaue jeden Tag einmal herein.“ Der Mann steht bei den Totenanzeigen und studiert die Verstorbenen. Er sieht so aus, als würde er sich „durchbeten“. Schön.

Die Menschenleere und die Stille

Baum am SteinDas Wetter war spätwinterlich. Um die wärmende Frühlingskraft zu spüren, musste ich Haube und Handschuhe anlegen, mir einen schnelleren Schritt zulegen. Dann wurde es warm  von Innen her,  auch gegen die Kälte draußen. Ob das der Grund war, dass ich vergleichsweise wenig Menschen im zweiten Teil am Weg angetroffen habe, lässt sich nicht sagen. Gerade meine letzten zwei Tage waren sehr „menschenleer“ und still. Fragen und Beobachtungen haben sich angehäuft, bis wieder jemand da war, dem ich sie zuwerfen konnte. Andererseits hat mich diese tiefe Stille dazu verleitet, beim talwärts Gehen einfach laut zu singen. Ob das jemand gehört hat, weiß ich nicht. Ob es gefallen hätte, ist obsolet. Ich habe es ausschließlich für mich getan aus Freude am Singen. Da sprudelt es einfach aus mir heraus, bis es wieder bergan geht. Dann höre ich wieder meinen Atem und die Vögel singen. Es sind diese verschiedenen Stillen, die am Weg liegen. Nach spätestens drei Tagen gehen die Natur und die Seele eine ganz tiefsinnige und feine „Kooperation“ ein. Sie freuen sich aneinander und lachen sich gegenseitig zu. Das Hirn wird von den Schritten gezähmt, der Körper schätzt seine Berufung. Nicht umsonst wird er als Bewegungsapperat bezeichnet. Es ist die Natur, die der Seele immer aufrichtend zulächelt. Dann hört das Fragen auf, die wertende Beobachtung. Es darf sein, wie es ist. Wer die Welt anschaut, wird in diesem Sinne genährt. Innigste Dankbarkeit geht mit. Weltanschauen wird heilsam. Und mit der Zeit haben sich Nachdenklichkeit und Dankbarkeit die Hand gegeben.

Links zu den einzelnen Blogbeiträgen der sechs Tage

Der WegVor dem Gehen: Ins Mittelland gehen

AmeisbergTag eins: Die Anreise und das Gehen

BrückeTag zwei: Wie ausgemacht

An der gr MühlTag drei: Gut kalt

BlütenTag vier: Gerade sichtbar

WerkstattsprücheTag fünf: Einfach staunen

Am Ziel in GreinTag sechs: Der resiliente Baum

Von Freitag, 8. Okt bis Freitag, 15. Okt 2021 wird diese Weltanschauen-Reise am Mühlviertler Mittellandweg nachgeholt.

Weltanschauen – einfach reisen zu Land und Leuten

Der Mühlviertler Mittellandweg