Ein wunderbares Naturschauspiel in den Swamps von Louisiana

Der Besuch der Sümpfe ist ein „must“. Es werden in der ganzen Stadt „Swamp Tours“ angeboten. Ich investiere 49 $ inklusive Busfahrt zu den Sümpfen und einer zweistündigen Bootsfahrt in den Sümpfen. Es hat sich wirklich ausgezahlt.

Busfahrt auf der Autobahn über den Potchertrain Lake

Der Bus sammelt in der Stadt 28 Leute ein. Ich bin der Erste. Über die Autobahn geht es Richtung Osten und dann Norden. Wir fahren durch die Stadt hinaus. Der Fahrer erklärt uns die einzelnen Viertel und was bei Katrina war. Er weiß sehr gut bescheid. Einzelne Gegenden sind bis heute echt leer und andere werden gerade aufgebaut. Es wird teilweise eine neue Siedlungsweise probiert: Mehrparteienhäuser. Seine Stimme klingt etwas skeptisch. Über die neue Brücke über den zweitgrößten See der USA führt uns näher ans Festland. Dort folgen wir einer „Bundesstraße“ und kommen zum Cajun Camp. Wir checken ein und in einem Boot mit jeweils 20 Personen geht es aufs Wasser. Unser Captain ist echt funny und die 2 Stunden vergehen wie im Flug.

Hast du einen Aligator gesehen?

Nach der Rückkehr war die erste Frage der Hausbewohner: Hast du einen Aligator gesehen? Ja. Das war aber nicht mein Ziel. Ich wollte  einfach sehen und erleben, wie das Wasser die Lebensgrundlage der Menschen hier ist. Alles ist aus dem Wasser. So entstand die herovrragende Cajun-Küche. Bei Katrina war der Wasserspiegel in dieser Gegend 8 m höher. Es wurden fast alle Fischerhäuser zerstört und heute stehen sie auf noch höheren Piloten. Fisch-Firmen wurden ebenso zerstört und sind jetzt mehr in die Industriegegenden gezogen. Heute sind dafür die Fischerboote besser ausgerüstet und können weiter transportieren. Es war ein Erlebnis. Einige Fotos sollen davon erzählen.

Zwischen dem „musician’s village“ und der zeitgenössischen Kunst liegt die St Ferdinand Street

Schon mehrmals hingewiesen wurde ich auf der „Dorf der Musiker“, das von Habitat for Humanity mit Hilfe vieler Freiwilliger nach Katrina errichtet wurde, damit die Musiker in New Orleans bleiben können, die dort gewohnt haben. Es befindet sich in der N Roman Street und ich erreiche die Gegend des 8th Ward mit dem Bus 84. Laut Fremdenführer sollte man mit dem eigenen Auto oder Taxi hinfahren. Wieso?

Das ist die Gegend, die du meiden sollst

Der 8th Ward ist jene Gegend, die man alleine und in der Nacht als Ortsfremder nicht aufsuchen soll. Darauf wurde ich schon öfter hingewiesen. Bei Tag macht alles einen sehr friedlichen Eindruck. Einer der Musiker erklärt mir das Dorf und die Gegend: „Jetzt sieht man niemanden, weil die Kinder in der Schule und die Musiker abends spielen.“ Diese etwa  60 Häuser sind bunt, schön und ansprechend. Ein eigenes „Musiker-Zentrum“ und ein Spielplatz wurden angelegt. Von der Architektur und Gestaltung ist alles an die Musik angeglichen. Ich gehe über Klaviertasten und die Kinder können durch Tuben rutschen. Ansprechend. Familiär. Ich gehe im Viertel Richtung Zentrum weiter. Die Häuser werden immer desolater und langsam kann ich die Warnung verstehen. Ich fühle mich aber nie bedroht. Bisher überhaupt nie. Die Brücke führt mich über den Frachtenbahnhof und gleich in die St Ferdinand Street. Erstmals in meinem Leben begegnet mir dieser Straßenname. Aber ehrlich: Keine Prunkstraße sondern das Gegenteil. Da wäre viel zu tun am Rande des Industriegebietes.

Die Sehnsucht nach einem Platz

Mit dem Bus schlage ich mich auf die andere Seite der Stadt, in die Camp Street. Dort besuche ich das Museum für zeitgenössische Kunst und gegenüber das Ogdyn Museum der  Tulane University mit einer umfassenden Ausstellung zur „Kunst des Südens“. Besonders angesprochen fühle ich mich von einem Kunstwerk von imposanter Große und Einfachheit, in der ich eine tiefe Sehnsucht „sehe“. Ein Mann zeigt mit seiner ganzen Gestalt auf einen einfachen Sessel. Ich spüre das in diesem Augenblick so, dass sich jeder Mensch nach einem „Setzen-Dürfen und –Können“ sehnt. Dieser weite Raum um dieses Kunstwerk herum lässt mich lange verweilen (und das verbotene Foto machen). Am Weg nach Hause und beim Sitzen auf einem Balkon bei einem Gläschen Wein kommen mir recht  konkrete Gedanken und Ideen, die ich mit nach Hause nehmen werde. Aber darüber ein andern Mal.

Das war die radikalste Reflexion meines Lebens

Schon in aller Frühe sitze ich mit dem Besitzer des Hostels Canny unter einem Baum im Garten und er erzählt von der Zeit rund um Katrina. Er ist in dieser Gegend aufgewachsen: „Während Katrina war ich bei meiner Schwester in Baton Rouge. Nach zwei Wochen sind wir mit einem einfachen Boot zum Hostel gekommen. Das Wasser stand zwei Meter hoch. Im Wasser war alles drinnen, vom Öl bis zu den Kühlflüssigkeiten bis hin zu den toten Tieren. Wir nannten diese Brühe „doxische Suppe“. Unvorstellbar. Nach drei Wochen hat sich der Wasserspiegel langsam zu senken begonnen, ganz langsam. Zwei Tage für 10 cm. Nach drei Wochen war das Haus „wasserfrei“. Wir haben sofort begonnen alles zu richten und zu reparieren. Es  gab aber keinen Strom und jede Infrastruktur fehlte. Trotzdem. Wir  haben zusammengeholfen. Es war unbeschreiblich: keine Vögel, keine Tiere, keine Autos, unglaubliche Stille, kein Licht in der Nacht, monatelang keine Kinder – Totenstille. Es war die radikalste Reflexion meines Lebens.“ Mitte Dezember (Katrina: 29. Aug) kam der Strom. Eröffnet wurde auf einfachster Basis zu Weihnachten 2005.

Wir haben einen Plan. No, it’s our city

Canny spricht darüber, dass in New Orleans keine Amerikaner leben. Es ist die Mischung aus den verschiedensten Völkern der ganzen Welt, “die immer wieder hier gelandet sind.“ Nach Katrina wären die Amerikaner gekommen und hätten die Stadt gekauft. Sie haben gemeint: Wir haben einen Plan und bauen die Stadt neu auf. Es kam ein großes Nein. Diese Hilfe und Einmischung wurde so weit wie möglich draußen gehalten. New Orleans ist anders und muss anders bleiben. Ich denke dass hier wenig bis kein Zentralismus ist. Hier wird nicht übereinander geherrscht. Die Leute gestalten seit Jahrhinderten in diesem Delta sehr beweglich und angepasst auf Augenhöhe ihr Leben. Die Hochhäuser passen gar nicht in dieses Delta, weil sie den Eindruck erwecken, in einem Delta der dauernden Bewegung, Veränderung, Bedrohung, Überschwemmung etwas fix für Jahrhunderte errichten könnten. Der Mississippi hat im Laufe der Jahrtausenden 7 Ausflüsse (und damit Deltas) ins Meer gesucht und gefunden. Was wird in 2000 Jahren sein? Ist er endgültig gezähmt? Nein. Den Menschen ist das „kein Problem“, weil sie von ihrer grundsätzlichen Einstellung auf Bewegung und gegenseitige Hilfe (neighborhood) „programmiert“ sind. Jedes Dogma kann da lebensbedrohlich werden. Es ist unglaublich und berührend, die Geschichte dieser Stadt zu studieren und zu sehen, wie das heute noch funktioniert. Diese Stimmung ist schwer zu beschreiben.

Das „Delta-Denken  und Handeln“ könnte viel lösen

Das Gespräch mit Canny, der Besuch des Nationalparkcenters und das lange Sitzen am Mississippi verleiten mich zu einer weiteren Reflexion über die römische und katholische Kirche, aber genauso über die Politik. Auslöser war Canny. Er ist katholisch aufgewachsen und hat sich von dieser Kirche verabschiedet. Die r.k. ist die „predominated church“ (vorherrschende) hier in New Orleans. „Es darf keine Maus einen Furz machen, den nicht der Erzbischof wissen muss“, schmunzelt Canny und sagt, dass sich dieses predominated zum Negativen gewandelt hat. War früher das Katholische im Sinne von verbindender Faden über alle Kulturen und Spiritualitäten hinweg im Vordergrund. Heute wird abgeschottet und die Vorherrschaft „gezeigt“.  Viele Würdenträger treten überheblich auf, weil sie noch alte „Machtinstrumente“ glauben zu haben. Die Leute finden das lächerlich. Gegenüber der Straße ist eine große Kirche nicht mehr in Betrieb genommen worden, nicht mehr das Kloster und nicht mehr die Schule. „It’s a shame“, sagt mir ein Passant, den ich frage, warum die Kirche geschlossen ist. „Es geht ihnen das Geld aus, weil die Leute reserviert sind“, meint Canny. Ich spüre bei meinen Kirchenbesuchen auch: Das Leben ist hier ausgezogen und von Rom und den Konservativen wird der Druck noch erhöht, der die Verantwortlichen ins Ghetto treibt. Ich denke: Wenn der Vatikan glaubt, dass die Probleme nur in Mitteleuropa sind, dann wagen sie keinen Blick in die Realität, die sich in diesem bewegten und bewegenden Mississippi-Delta abspielt. Die Amtskirche ist auch hier dabei, die Menschen aus dem Auge zu verlieren.

Das Delta heißt immer“ Aggiornamento“ oder untergehen

Das Mississippi-Delta ist das Gebiet zwischen dem Meer und dem Festland – immer noch in Bewegung. Die sich hier ansiedelnden Menschen haben das über die Jahrhunderte beachtet und einen unglaublichen Lebenswillen, Zusammenhalt, Kultur, Musik gelebt – und alles in großer und respektvoller „Diversität“. Vielfalt war der Schlüssel zum Überleben und nicht die Bedrohung. Monokultur geht nicht. Siedlungen haben sich immer verschoben. Hier konnte man nicht wirklich ein „sesshaftes Leben“ führen. „The big easy“ (so wird das Gefühl der Stadt beschrieben) können wir uns aus dieser Beweglichkeit der Bedrohungen gegenüber vorstellen. Es ist ein ständiges Ringen mit dem Wasser und dem gewonnen Land. Jede Kultur bereichert die andere und bringt neue Ideen, auch Feste, die gefeiert werden. Die Kirche hat damals selbst mit dem Voodoo-Ritualen Frieden geschlossen. Das nenne ich katholisch, wie es auch das Vatikanum II ausfaltet mit den Aggiornamento. Jesus hat ja kein neues System errichtet, sondern das Aggiornamento zum Heil, zum ganzen würdevollen Leben angestiftet. Wir sind befreit von Herrschaft. So kann der Jesus-Glaube, der befreit und zur Gemeinschaft führt, der innere Faden sein für diese Gegend. Heute merke ich an: könnte! Der Mensch wird heute so viel und oft verzweckt, vor allem von der Wirtschaft und den Medien. Hier sollte die Kirche nicht Moralapostel sein, sondern die Menschen zu einem eigenständigen, selbstbewussten und solidarischen Leben in Verantwortung ermutigen, anregen. Vom Ich zum Wir. Ich lade die kirchlich Verantwortlichen wieder einmal ein (so wie in der Po-Ebene), 3 Wochen „inkognito“ hier zu leben.  Sie könnten so viel Lebensfreude, Gemeinschaft und Glauben lernen. Vielfalt, Musik und die vielen Künste weisen uns hier schon ein Stück Himmel. Es ist unglaublich.

Ein noch radikalerer Gedanke: Der Vatikan sollte hierher ins Mississippi-Delta übersiedeln. Dann würde, ja müsste vieles beweglicher werden und es wäre wahrscheinlich auch vieles „lustiger“. Todernste Menschen habe ich hier noch keine getroffen – wohl aber in Rom.

Man spricht hier vom „Delta-Cooking“.  Es bräuchte mehr von der Sorte: Delta-Glauben, Delta-Pilitik, Delta-Wirtschaft.

Außerdem verstehe ich von hier aus nicht (weil ich es im Internet lese), wie man die Schuldenbremse in der Verfassung aufnehmen will. Politiker und -innen sollten doch in der Delta-Welt  entscheiden, was zu tun ist. Ja glaubt denn gar einer von denen, dass der Mississippi jetzt von der Verfassung gezähmt ist oder gar die Hurricans. Es ist zu tun, was zu tun ist, damit die Menschen zwischen Meer und Festland leben können. Und da sollte endlich die Finanzwelt auch in Bewegung kommen und alle Transaktionen für das Leben des Gemeinwohls im Delta besteuern. Gestern wäre besser als morgen.

Jesus would be here. No: Jesus is here

Eigentlich wollte ich beim „Verrücken“ des gr0ßen Hauses zuschauen. Morgen ist es soweit. Ich gehe in die St. Joseph Church und lese über die Baugeschichte und die Aktivitäten. Ganz am Ende steht, dass jeden Tag „homeless people“ versorgt werden. Ich gehe um die Kirche herum und sehe die Baracken. Eine Tafel zeigt mir „Rebuilding Center at St. Joseph Church“. Ich gehe hinein. Drinnen sitzen etwa 100 Perssonen. Die Frau am Eingang weißt mich auf Sr. Vera hin, die gerade mit ein paar Leuten spricht.

Der Erzbischof zu Besuch: Nicht „would“, sondern „is“

Sr. Vera nimmt sich Zeit für mich und meine Fragen. Mitten im Gespräch erzählt sie, dass der Erzbischof kurz nach der Eröffnung 2007 da war und gemeint hat. „If Jesus were around here today, he would be here.“  Sr. Vera hat ihn ganz ruhig korrigiert und zu ihm gesagt: „No, Jesus IS HERE.“ Das hat mich sehr getroffen. Sr. Vera erzählt recht offen, dass die Konservativen hier die Überhand bekonmen, dass sie die Kirche „kleiner und frommer“ wollen. Sie schüttelt dazu immer den Kopf und wechselt mit verbeikommenden homeless, die hier ihre Zuflucht am Tag finden, ein paar aufmunternde Worte. Ich spüre so viel Wärme und Empathie von ihr ausgehen. Der Ort macht einen sehr friedvollen Eindruck. „Schauen sie die Menschen an, wie sie da sind, müde, abgeschlagen, ohne Perspektive. Hier erleben, dass sie einfach sein dürfen. Das hat Jesus gemeint, wenn er von den Geringsten sprach und ganz konkret unsere helfende Hand anspricht.“ Ich gehe in die Mittagsmesse in die Kirche hinüber. Etwa 30 Leute feiern mit. Nachher gehe ich wieder in das Center und nehme eine blaue Essensmarke. Als Letzter stelle mich in die Reihe. Beim Verabschieden gehe ich nochmals zu Sr. Vera hinein und bedanke mich: „Danke für das Essen, das Gespräch, diesen Ort und ihr Zeugnis. In der Kirche habe ich die Messe mitgefeiert, hier die Eucharistie. Jesus is here.“ Wir umarmen einander und ehrlich: Ich habe Tränen in den Augen.

Wie funktioniert dieses „Center“?

Getragen wird es von fünf Schwestern der „Presentation Sisters“ und den Vincentinern (Vincenz von Paul), die alle an dieser Kirche tätig sind. Viele Freiwillige helfen mit. Das Geld kommt von der Kongregation, den Churches (Pfarren) und Donations (private Spenden).  „Nothing from goverment“, betont Sr. Vera. Schlafen können die Leute hier nicht. Sie bekommen zu essen, können duschen, telefonieren und „einfach dasitzen“. „Wir helfen auch bei Behördengängen“, weiß eine Ehrenamtliche, die gerade einen Schwarzen berät. Warum sind die Leute auf dieses Center angewiesen? „Job verloren, Krankheit, jemand ist gestorben, der eine Unterstützung bekommen hat, von der man leben konnte, die Miete konnte nicht bezahlt werden oder Überforderung in einer komplexen Welt“, weiß Sr. Vera. Ich stehe heute in der Reihe mit 225 Menschen, die vor mir ein warmes Essen bekommen. Ich sitze demütig und beschämt neben einem Schwarzen, der nach dem Essen die Augen schließt und betet. „Danke Gott und denen, die gekocht haben.“

The Oconomy goes down

Wir sprechen auch über den größeren Rahmen. Werden die Leute hier mehr oder weniger? „Die Wirtschaft geht nieder und so werden es immer mehr“, konstatiert Sr. Vera. Sie schaut einer Mutter mit einem Baby ins Gesicht und lächelt sie an. Dann zu mir: „Die Leute sind geprägt von einem großen Glauben (great faith), religiös gemeint und  „it’s ok“. Sie haben eine große Sensibilität entwickelt, dass  es einmal gut ist so wie es jetzt  ist. Sie sorgen für sich selber und auch sehr viel füreinander. Jobmöglichkeiten oder Wohnmöglichkeiten werden untereinander weitergegeben.“ Ich bin überzeugt, dass genau diese Stimmung von den Schwestern und den Freiwilligen eingebracht wird. Das strahlen sie aus. Sie haben so viel Achtung und Respekt vor diesen Menschen. Meinen Fotoapparat möchte ich am liebsten drinnen lassen.

Slowly – es geht alles sehr langsam

Wir reden über die allgemeine Situation nach Katrina. Viele der „Ureinwohner“ von New Orleans sind nicht mehr zurückgekommen, weil sie zB. in Salt Lake City schon Fuß gefasst haben. Es war aber schwer, das Haus zu verkaufen. Wieder dorthin zu kommen, wo New Orleans vor Katrina war, wird lange dauern. Ein Mitschwester von Vera meint, dass New Orleans eine einzige große Familie ist, eine wunderbare Nachbarschaft pflegt. Durch das Wegbleiben von so vielen „Ureinwohnern“ ist das auch brüchig geworden. „Homeless haben wir auch vor Katrina neben der Kirche versorgt“, betont sie: „Jjetzt haben wir das Center. Es wurde von einem Architekten gestaltet, mit ganz viel Grün. Das ist wichtig. “ Auch bei den 140 katholischen Pfarren gab es „Einschnitte“. Es können nicht mehr alle Kirchen und Pfarren betrieben werden. Es fehlen zum Teil auch die Leute in den Pfarrgebieten. Auch der Priestermangel ist spürbar. 10% der Priester sind in Kongregationen, alle anderen Diözesanpriester.

Überall derselbe „Spalt“

Wir reden auch über Theologie und den Einsatz von „Laien“ (ich sage immer beauftragte Getaufte) in der Diözese. „Es ist nicht leicht, heute ein Theologe oder Theologin zu sein“, meint Sr. Vera mit Blick auf die Loyola Universität, wo auch LaientheoologInnen studieren. Wie viele, weiß sich nicht. Die Kirche steht nicht gut da. Sie weiß auch hier in den USA von einem „Spalt zwischen der Hierarchie und dem Volk“ zu erzählen.  Es wird alles konservativer und geschlossener, frömmelnder. Kirche ist nicht Selbstzweck, sie muss dem Menschen, vor allem den Geringsten ganz konkret dienen. Für  mich ist im Heimgehen wieder dieser Spalt aufgegangen zwischen römisch und katholisch. Hätte nicht die Messe, die ich in der Kirche mitgefeiert habe, auf ganz andere Weise im Center gefeiert werden sollen, die Jesusgeschichte von heute (Blindenheilung) wäre die Ermutigung gewesen, das Essen die Kommunion und die Menschen gewandelt zu Frieden und Nächstenhilfe? Sr. Vera hat vor der Essensausgabe ein längeres Gebet gesprochen. Alle 220 Personen waren still, andächtig, innerlich – „erfüllt“. Ich glaube, das war die Eucharistiefeier.
Wann werden das bei uns die Bischöfe begreifen, dass Jesus in der Baracke neben der großen Kirche lebt.

Sie leben den Sonntag mit und in der Familie

Der Bus hält vor der Kirche im Viet Village. Habe ich mich letztens über die großen Asphaltflächen gewundert, verstehe ich heute: Der Parkplatz ist übervoll. Ich gehe ich die Kirche hinein und staune nicht schlecht: Die Kirche ist auch bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist schon die dritte Messe heute. Ich selber gehe dann in die vierte um 11 Uhr.

Gemeinsame Zeichen helfen

Ich sehe einen ganzen Block voller Kinder und Kids, die weiße Hemden und Halstücher wie bei uns die Pfadfinder tragen. Ich spreche einen älteren Jugendlichen an und frage, was das bedeutet. Er erklärt mir kurz, worum es geht: „Wir sind gut organisiert. We train the children and the kids to get  better people.“ Wie das geht? „Wir machen Camps, haben wöchentliche Treffen mit Singen, Spielen, Basteln. Das Wichtigste aber ist, dass sie von Jesus lernen“, steigt in sein Auto und bringt ein paar Kids heim. Ich selber denke mir, wie wichtig für junge Menschen diese Gemeinschaft ist, auch die äußeren Zeichen, die sie aus meiner Sicht mit einem gewissen Stolz tragen. Überhaupt: So viele Junge und Familien mit kleinen Kindern. Genau diese Strukturen halten sie zusammen. Auch Frauen gehen in langen bunten Gewändern. Alle sind „sonntäglich festlich“ gekleidet.  Der 40-köpfige Chor singt jeden Sonntag und hauptsächlich schwungvolle Lieder. Es gibt keine Orgel, sondern Klavier und Keybord.

They are very generously

Ich gehe auf eine junge Ordensschwester zu, die Karten verkauft. Was ist der Grund für diesen Zusammenhalt hier in dieser Gegend? „They are very generously. Everybody helps each other. A good neighbourhod ist he first.“ Da müssen die Bewohner um 1957 aus Nordvietnam auswandern wegen ihres Glaubens und sie gründen hier das Viet Village. Sie habe Bedrohung erlebt und sind als Glaubenszeugen ausgewandert. Das hält Generationen, hoffen sie. Diese Großzügigkeit und Freigiebigkeit hat interessanter Weise zu großem Wohlstand geführt. Mein Buch, Vom Ich zum Wir, wurde hier längst schon geschrieben. Hier gibt es Wir-Werte und Wir-Normen. Hier schaut jeder auf jeden und so kommen sie gemeinsam weiter als jeder einzeln. Diese gemeinsame Identität ist die Quelle der Gemeinsamkeit. Sie haben binnen kurzer Zeit ihre gefluteten Häuser und Gegend ohne Hilfe von der Regierung wieder bewohnbar gemacht. Wir hören das Evangelium von den Talenten. Hier wurden sie nicht vergraben und auch nicht einfach nur zum individuellen Eigennutzen vermehrt. Ein Commons im klassischen Sinne. „Ein Geschenk“, wie eine Frau meint.
Nach der Messe sind alle relativ schnell wieder weg. Es staut auf die Straße hinaus.

Vernetzte Familien

Vor den Häusern stehen eine Menge Autos.  Die Dominikanerin hat mir angedeutet: „Diese Menschen hier leben den Sonntag in der Familie, sprich auch Großfamilie und dazu gehört die Messe wie das Amen im Gebet. Das machen auch die Jungen mit.“  Sie werden auch in der Gottesdienstgestaltung gebraucht, als KommunionspenderInnen oder zum Absammeln. ES waren Jugendliche, die als Kommunionspender einbezogen wurden. Ein schönes Bild. Ein Mitglied des „Pfarrrates“ betont noch, „dass die Familien keine Inseln sind, sondern sehr gut vernetzt und in Verbindung leben.“ Ich denke: Diese Leute habe verstanden, dass die Familie die kleinste Zelle ist und doch nicht ausreicht für ein geglücktes Leben.“ Ich denke an das Frühstück BEI UNS in Kirchschlag und wie dort auch die jungen Familien und die Älteren „ihr Leben teilen“. Es braucht mehr Orte, wo der Mensch, die Familie, die Alleinerzieherin spürt: Ich bin nicht alleine! Das ist der Dienst einer „Pfarrgemeinschaft“. Hier kann ich Hilfe in Anspruch nehmen, wenn ich sie brauche und hier helfe ich, wenn ich gebraucht werden. Das entsteht am ehesten durch klare, schlichte, eindeutige Rollen und Dramaturgien als Anregung und viel Freiraum, damit sich jeder und jede so einbringen kann,  wie er oder sie ist. Der jesuanische Impuls bedeutet eigentlich immer: Du bist wie du bist und das ist gut so. Leben wir gemeinsam.

Warten auf den Bus

Am Sonntag mit dem Bus unterwegs sein bedeutet Geduld üben. Beim Umsteigen muss ich wieder warten. In mir taucht ein wenig Ärgerlichkeit auf. Da kommt ein etwa 60-jähriger Schwarzer auf mich zu.  Wir beginnen ein Gespräch. Er wohnt in dieser Gegend. Das Wasser stand ca. 2 Meter. Er kam nach 4 Monaten wieder zurück. Viele sind nicht mehr gekommen. Die Häuser wurden mit Hilfe der Stadt wieder hergerichtet. Andere wurden abgerissen. „Es fehlen die Jungen und die Arbeitsplätze“, meint er und erklärt mir, dass er von einer kleinen Pension lebt. Er kommt hierher zur Busstation und „trinkt seine Flasche“ (Schnaps). Daheim wartet seine Frau. Er kann nirgends hingehen, weil er kein Geld hat. Er schaut gepflegt aus. Innerlich ist er leer – ohne Perspektive. Wir reden noch über die Tauben, die Saints (Football), die Musik im French Quarter, dass normalerweise hier kein Tourist vorbeikommt,… und da kommt der Bus. Ich steige in. Er trinkt aus seiner Flasche. Und ich denke an das Kind im Bus heute früh.

Die Gesellschaft muss eine tragende Wir-Norm erarbeiten

Algiers Point liegt am Mississippi gegenüber dem French Quarter und wurde von Afrikanern und Franzosen um 1800 besiedelt. Der Stadtteil war nicht geflutet, dafür vom Wind schwer beschädigt. Der Bus bringt mich über die wirklich hohe Autobahnbrücke und zurück komme ich mit der Fähre.

Die Dämme haben gehalten – aber derWind

Auf meinem Weg durch diesen Stadtteil komme ich an der Methodistenkirche vorbei. Reges Treiben vor der Kirche veranlasst mich, hineinzuschauen. Ein Mann begrüßt mich sehr freundlich. Er erzählt mir: „Wir haben kein Wasser gehabt, dafür hat uns der Wind sehr viel zerstört. Unsere Kirchenfenster waren vorher aus 86 Farben. Jetzt sich es noch 54.“ Voller Stolz posiert der Finanz- und Gebäudeverantwortliche der Kirche vor „seinen Fenster“. Den Zusammenhalt in der Gegend findet er sehr gut. Es ist immer etwas los. „Es gibt auch viele Junge hier“, meint er zufrieden. Hier wird alles getauscht. Den Stadtteil erlebe ich als belebt, aber doch auch entvölkert. Geschäfte sind leer. Vor jedem dritten Haus ein Schild, wer dieses Haus „bewacht“. Security-Firmen sind einer der Hauptarbeitgeber ist mein Eindruck. Luftballone tauchen auf und ich mache mich kundig. Auf einem Parkstück wird nachmittags eine Geburtstagsfeier stattfinden.

Nicht gerade bescheiden
Mitten unter den einfachen Häusern die katholische Kirche, gegründet 1793. Backsteinziegel und riesengroß. Heute wirken diese katholischen Gebäude überdimensioniert. Ich verweile längere Zeit in diesem für mich schönen und ansprechenden Raum. Die vielen Bänke passen für mich nicht zur afrikanischen Beweglichkeit. Über jedem Predigststuhl ist hier eine Muschel mit der Taube. Ich probiere aus, wie hier „das Predigen“ ginge. Ein Community-Garden-Projekt finde ich auch hier in diesem Stadt. Aber ehrlich: Nicht wirklich gepflegt und die Aktivsten sind wahrscheinlich die Hühner. Mich wundert wirklich, dass das Auto so viele Quadratmeter bekommt und ein Gemüsegarten eine echte Rarität ist. Die Idee mit den Gärten zur Selbstversorgung finde ich in so einer Stadt genial. Es ist nur die Frage, ob die Menschen das wollen und angehen. Ihre tiefste Ursprungshandlung ist: Mach nichts selber, was du nicht kaufen kannst. Kein Weg ist zu kurz, um nicht mit dem Auto dorthin zu kommen. Genau diese Haltung darf nicht länger nach Österreich importiert werden. Vielleicht ist es schon zu spät. Das führt mich wieder zum Buch, das ich in Raten lese.

Die Gesellschaft muss eine tragende Wir-Norm erarbeiten

Es wird in Zukunft darum gehen, dass auf narrative Art eine neue Wir-Norm etabliert wird. „Freiheit kann nicht länger Freifahrt sein, Abschöpfung bis zur Raserei zu betreiben, um sich dann, nach Gefährdung aller anderen Verkehrsteilnehmer, inmitten einer Massenkarambolage in zerknäulten Leitblanken wiederzufinden“, lese ich auf Seite 103. Es wird eine neue Rückbindung an Werte, an sinnvolle Tätigkeiten und an eine tragende Gemeinschaft brauchen. Diese Rückbindung muss nicht zu Religion und Gottesglaubenführen: Es heißt wechselseitige  Teilnahme am Prozess einer gemeinsamen Statik. Wie wir uns verhalten, wird weniger Bedeutung bekommen, sondern DASS wir uns zueinander verhalten, in Beziehung bringen und halten. Dazu wird gehören, dass wir konsequente und enkeltaugliche persönliche Verantwortung übernehmen. Mit meinen Namen und Leben übernehme ich die Verantwortung. Das gilt auch für Politiker und Bischöfe wie für Konzernbosse und Supermarktkassierin. Ich persönlich glaube: Das Bewusstsein der persönlichen Verantwortung muss uns heilig sein. Ich erinnere mich noch an das Gespräch mit Prof. Taschner im Cafe in Wien, wo er sinngemäß meinte, dass die Kirche nichts anderes tun soll, als den Menschen immer an diese risikoreiche persönliche Verantwortung zu erinnern und in darin durch Gemeinschaft zu stärken. Ich denke dabei an das Projekt „Netzwerk Bildung Feldkirchen“, das ich begleiten darf, wo es im Endeffekt auch im persönliche Begegnung und um eine „Wir-Norm“ gehen wird. Diese Wir-Norm ist nicht auf Papier geschrieben, sondern drückt sich viel mehr in Soft-Facts aus wie auf der Bühne (siehe Kirchschlag) oder durch Musik. Da bin ich wieder hier, in New Orleans.

Auschecken – einchecken – abchecken

Heute heißt es: Alles einpacken. Auschecken aus dem Hostel und für zwei Tage in einem Hotel einchecken. An diesem Wochenende ist New Orleans komplett ausgebucht. Es heißt etwas investieren und in Folge: Gut gehen lassen. Die Zeit zum Verarbeiten nehmen, die Gedanken wieder ordnen und die verbleibenden Tage abchecken. Meine Grundstimmung ist: Das tun, was geht.

Lange vor dem Hamburger

In aller Ruhe gehe ich heute vom zentral gelegenen Hotel aus in das gestrige Cafe, um Cajun-Spezialitäten zu erkunden. Wikipedia sagt: „Die Cajun-Küche ist die Küche der französischstämmigen Einwanderer im US-Bundesstaat Louisiana, den Cajuns. Es handelt sich hierbei um eine eher einfache und rustikale Küche aus lokal verfügbaren Zutaten. Eng verwandt mit der Cajun-Küche ist die kreolische Küche Louisianas, die einem etwas gehobeneren Kochstil entspricht, der sich in den Städten mit Schwerpunkt in New Orleans entwickelte.“ Ich bestelle „Muffaletta“ und bekomme den weit aus besseren Vorgänger des über „Einfallslos- und Gleichmacher und Gleichschmecker-Ketten“ bekannten „Hamburger“ – nur 1000x besser eben lokaler. Die Wirtin fragt mich trotz ihrer vielen Arbeit und gibt mir noch Tipps für die verbleibende Zeit. „LA music factory“ in der Decatur Street sollte ich nicht versäumen.  Sie schreibt mir auf die Visitenkarte einer Buchhandlung das Buch „9 Lies“ auf. Anhand vor 9 Biografien wird Katrina „aufgearbeitet“.  An Ende des Gespräches streut sie noch Balsam auf meine Seele: „Your English sounds wonderful.“ Das tut einem lernenden Herzen wirklich gut.

Ein Haus kaufen
Am Weg zurück in das Hotel schaue ich den Zigarrenmachern zu, stelle fest, dass im French-Quarter viel „renoviert und gestrichen“ wird. In der Hotel-Lounge komme ich mit einem Mann ins Gespräch, der nach einem Haus Ausschau hält. Er ist Künstler und sieht sein Zukunft in New Orleans. Es sollte in einer Gegend sein, die nicht geflutet war. 20 % von New Orleans stehen ihm zur Verfügung. Ich frage ihn direkt, wie viel so ein Haus kostet. Er hat schon Angebote um 6 Millionen $ bekommen. Grazzy. Heute schaut er sich noch zwei Häuser an, die mit 200.000 $ angeboten werden. Er ist das Wochenende im Haus und werde ihm auf den Fersen bleiben. Das interessiert mich.  Und er ist sympatisch.

I am the leader of charity here: We need no goverment – we help ourselves

Das wird ein langer Tag. Und es wird ein mit allen Facetten bestückter Tag. Auf die „Viet Village“ weit im Osten hat mich schon am zweiten Tag ein Mann aufmerksam gemacht: Es lohnt sich, dort hinzufahren. So starte ich mit dem Bus 94 in Richtung „East“ und rechne mit etwa einer Stunde Fahrzeit. Es ist unglaublich, wie ausgedehnt New Orleans mit der Einfamilienhaus-Siedlungsweise ist. Immer wieder sehe ich das Wasser stehen und ich habe den Eindruck, wir fahren durch die „Swamps“ (Sümpfe). Es geht vorbei an der NASA. Vom Bus aus sehe ich ein Raketentriebwerk und denke: ganz schon groß.

Nicht mehr als 1 ½ Meter über dem Wasserspiegel

Wir biegen von der Hauptstraße ab und ich übersehe die Haltestelle bei der Kirche. So urgiere ich meinen Ausstieg bei der nächsten Möglichkeit. Eigentlich suche ich die „Viet Village Farm“. Ich habe schon schematische Darstellungen in einem Schaukasten der Tulane-University gesehen. Eine Schule bietet sich an nachzufragen. Es ist die Einstein-Public-School. Ich mache drinnen Fotos und werde gleich aufmerksam gemacht: No pictures. Sie können mir  nicht helfen. Sie kennen keine Farm. So schlendere ich an den schönen, flachen, sauberen Häusern vorbei. Große Autos zeugen von Wohlstand. Ich komme zur Kirche. Ein Mann klärt mich auf, dass sich  in dieser Gegend vorwiegend Vietnamesen angesiedelt hätten, ebenso Mexikaner und „ein paar Schwarze“. Insgesamt sind es um die 5.000. Es ist alles unglaublich sauber. Kein einziges vernageltes Haus. „Alle sind wieder gekommen“, meint er und macht bei der Rasenarbeit weiter. Die Kirche, der Hof und die Gebäude sind der Mittelpunkt dieser Gegend. In der Kirche bin ich alleine, aber im Hof kommen mir Leute entgegen. Einer scheint der Chief zu sein und ich spreche ihn an.

Sie warteten nicht auf die Hilfe der Regierung

Ich frage ihn, ob das alles unter Wasser stand. Ja. Seine Hand zeigte auf Hüfthöhe. Wenn ich ringsum schaue, dann waren alle Häuser und Gebäude einen Meter unter Wasser. Auch die Kirche? Ja. Und er sprach recht offen: „I am the leader of charity here in the parish. After Katrina we came back as soon as possible – about three weeks. We need no goverment. We help ourself  and all together“,  meinte er in einem vom Vietnamesisch geprägten English. Er hat es eilig, weil er zwei ältere Menschen mit dem Auto transportieren soll. Die „Pfarrsenioren“ haben sich getroffen. Er schildert noch kurz , wie alle zusammengeholfen haben. Ich frage, wann am Sonntag die Messe ist. „Um 11 Uhr – in English“, meint er und ich werde wieder kommen. Soweit ich sehe bin ich hier auf das stärkste Gemeinwesen (Commons) gestoßen mit unglaublicher Resilienzfähigkeit. Ich möchte noch mehr sehen und nachfragen: am Sonntag.

Das „Diözesanhaus“ hat unten eine massive Barriere

Mein nächstes Ziel heute ist das Diözesanhaus der Erzdiözese New Orleans. Einige haben mir schon vom legendären und im September mit 98 Jahren verstorbenen Erzbischof Hannan (1913-2011) erzählt. Das Begräbnis muss berührend und ein unglaublicher Massenauflauf gewesen sein. Er war Konzilsteilnehmer und Intimus von Präsident Kennedy. Er hat bewusst in den 60-er-Jahren einen schwarzen Weihbischof genommen als positives Zeichen zur Überwindung der Rassenprobleme. Er war sehr sozial eingestellt und hat praktisch geholfen, wo es nur ging. Ich bin überzeugt, dieser Mann hat die Stadt über Jahrzehnte geprägt wie Kardinal König die Kirche Österreichs und Bischof Zauner und Aichern die Diözese Linz. Kurz gesagt: Im Haus der Erzdiözese komme ich nicht über die Hürde der Portierin, „die niemand erreichen kann, der mir etwas zur Erzdiözese sagen kann“. Es ist 11.30 Uhr. Ich solle morgen um 13 Uhr kommen, meint sie und ich verlasse das Haus. Im Dahinschländern auf der Straße denke ich: Dort in der Pfarre diese lebendige Zelle der Kirche und da der „verwaltende Haufen“.

Street-Car auf der St. Charles Ave

Die Fahrt mit der Street-Car auf der St. Charles muss man gemacht haben, heißt es. Deswegen war sie übervoll. Sie fährt durch den „garden district“ vorbei an wunderschönen Häusern und Gärten. Als Baumwolle und Zucker um 1840 zu boomen begannen, sind hier „in den Feldern hinter dem  Hafen  die Herrschaftshäuser“ entstanden. Ich steige bei der Loyola-University aus und „erkunde die Möglichkeiten dort“. Musik und Spiel sind hier zentral. Ein wunderbarer Palmenhof würde das Inskribieren nahelegen. Zwei Professoren unterhalten sich angeregt über Finanzplanung und das Musical, das von den MusikstudentInnen aufgeführt wird, ist ausverkauft. Ich warte auf die Rückfahrt. Die Trasse der Straßenbahn benutzen viele als Laufstrecke. Dazu hätte ich jetzt direkt Lust. Ich steige wieder ein und fahre 25 Minuten zurück in die Canal Street, „Ausgangspunkt für alles“.

Einmal den Mississippi überqueren

Um den heutigen Kreis von Osten in den Westen noch zu vervollständigen, fahre ich mit der Fähre hinüber in das Stadtviertel „Algier“. Im 19. Jahrhundert von ankommenden Afrikanern besiedelt, hat sich auch dort ein unglaubliches Zusammengehörigkeitsgefühl und Nachbarschaft entwickelt. So haben sie – sagt man – Katrina sehr bald überwunden gehabt und wichtige Gebäude wieder in Gang gebracht. Es ist die Abendstimmung, die ich genieße und die Skyline von New Orleans. Auf der Fähre bitte ich einen Mitfahrenden ein Foto von mir zu machen. Wir reden weiter und er erzählt, dass er von Honduras kommt und in einem Hotel arbeitet. Was er verdient will er  mir nicht sagen. Schade, aber ich bin überzeugt, dass es noch immer „Sklavenarbeit zu einem Hungerlohn mit Ausländern gibt“. Er bekommt übrigens nur Geld, wenn sie Arbeit haben. Jetzt überlegt er, wieder nach Hause zu fahren. Aber womit? Mir kommen die vielen Obdachlosen auf manchen Straßen in den Sinn und denke noch viel  mehr an jene Schicksale, die sich nicht auf die Straße trauen. Unter dieser Skyline spielt sich wirklich das „ganze Leben“ ab. Und ich erlebe vieles aus der Sicht von unten und aus der Sicht der Musik.

Apropos Musik

Auch wenn der Tag schon lange ist, so möchte ich ihn heute intensiv mit Musik ausklingen lassen. Auf dem Weg in die Frenchman Street entdecke ich das tolle „Cafe Maspero“ in der Decatur Street (teurer French Quarter). Mein Hunger will mit „Jambalya“ (Reisfleisch mit Meeresfrüchten, Fleich und Wurst und Salat) gestillt werden. Dazu trinke ich drei Glaserl weißen Hauswein. Die Atmosphäre ist alt, urig und ehrlich. Der Preis für alles 12$. Das Maspero wird mich öfter sehen. Es ist unglaublich, wie viel Live-Musik auch während der Woche geboten wird. An diesem Abend genieße ich fünf Gruppen und einen Klavierspieler, der alle begeistert hat. Die Musiker bilden ebenfalls Commons. Sie spielen in verschiedensten Zusammensetzungen. Einzelne tauchen immer wieder mal bei einem anderen Ensemble auf.  Am Gehsteig unterhalten sich zwei Musiker ganz intensiv darüber, wie der eine „in dieser Szene hineinkommen kann“. Nachdem sie fertig waren, frage ich den Bassisten, mit dem ich mich dieser Tage schon unterhalten habe, wie er das sieht: Man hilft sich gegenseitig und wenn einer oder eine gut ist, „dann brauchen wir sie ohnehin“. Wohlgemerkt: Alle diese Leute leben von der Musik, von den Geldern der BesucherInnen und dem CD-Verkauf. Ich habe auch schon drei Stück im Rucksack. Um 0.30 Uhr komme ich „heim“. Dort eröffnet mir man, dass ich die beiden kommenden Nächte nicht bleiben kann. Na dann, gute Nacht.