Ein Toter, All Saints, HANO, Bratt and Eddy

Im Fernsehen bekomme ich mit, dass bei einer Schießerei in der Bourbon-Street ein Toter und 15 Verletzte zu beklagen sind. Etwa eine Stunde vorher bin ich genau dort durchgegangen. Irgendwie spürte ich schon die angespannte Stimmung. Es war kein guter Platz für mich und ich habe ihn möglichst schnell verlassen. Das war gut so.

All Saints

Nach Holloween kommt „All Saints“. Der Gottesdienst ist um 12.10 Uhr. Die Kirche ist dichter besetzt als am Sonntag. Geschäftsleute nutzen die Mittagszeit, um in die Kirche zu gehen. Ohne viel Musik wird Allerheiligen gefeiert, die Seligpreisungen in Erinnerung gerufen. Ich bleibe emotional „unangerührt“. Es fehlt mir die Musik mit Herz, die ich sonst hier höre und genieße. Sie hat hier leider keinen Platz. Musik, die aus dem Leben der Menschen kommt, hat auch daheim in Oberösterreich nicht wirklich Platz genommen in den Kirchen. Ein Faktor, warum Menschen in den Kirchen „nichts finden“. Ich gehe weiter zu einen der Friedhöfe. Am Weg dorthin versuche ich, auf das höchste Gebäude in New Orleans zu kommen – das Shell-Building. „Strikt untersagt seit 9/11“, meint die Portierdame.

Vergänglichkeit braucht hier Häuschen

Mit der Vergänglichkeit des Menschen kann schon aus geologischen Gründen nicht überall gleich umgegangen werden. Da sind es Gräber, dort werden die Körper verbrannt und hier werden sie in kleinen und großen Häuschen beigesetzt. Sie können nicht in Gräber gelegt werden, weil sie aufgrund des hohen Grundwasserspiegels nicht verwesen würden. Auch auf diesem Friedhof wird sichtbar, dass das Totengedenken unterschiedlich intensiv ist. Auch auf unserem Friedhof daheim sind Gräber schön gerichtet und einige andere vernachlässigt. Ein Grab-Haus ist mit lauter xxx bezeichnet. Es ist die Grabstätte einer Woodoo-Heilerin, die man auf diese Weise verehren wollte. Die Friedhofsführerin, bei der ich im Vorbeigehen mithöre, meint, dass das „Anhalten am Grab“ die intensivste Verehrung darstellt. Am zweiten Friedhof, den ich besuche, geht gerade ganz alleine ein Diakon durch und segnet die Gräber. Eine Journalistin macht Fotos.  Es gibt keinen gemeinsamen Friedhofbesuch mit Gräbersegnung wie bei uns. USA ist individuell. Zumindest hier.

Sozialwohnungen als Commons-Ghetto?

Ich wandere weiter in eine Gegend hinaus, die Touristen nicht sehen. Ein großes Schild sagt mir, dass ich die Wohnanlage nicht betreten darf, weil ich nicht dazu berechtigt bin. Schon beim Ankommen haben mich Leute „gewarnt“, dass ich einzelne Gegenden zu bestimmten Zeiten nicht aufsuchen soll. Diese Gegend ist gemeint. Es ist Tag und hell. Ich gehe durch und suche das Gespräch mit den herumsitzenden Menschen. Die Stadt hat hier Sozialwohnungen errichtet („Housing projects“) und diese wurden schließlich zu Ghettos mit hoher Kriminalität. Es werden angeblich neue Arten von Commons-Buildings errichtet. Das wird die Recherche übermorgen ergeben. Hier sind sie nicht. Ein Mann bestätigt mir, dass sie Miete zahlen und jeder individuell lebt. Katrina hat die Gegend geflutet und er war in der Zeit in St. Antonio. Er ist froh, dass er ein Dach über dem Kopf hat. Ich empfinde, die Gegend ist mit einem großen „Verdacht jeder gegen jeden ausgestattet“.  Die Menschen sind reserviert – auch mir gegenüber. Es ist kein Wunder: Das Schild will es so.

Untergegangen

Unter der Autobahn gehe ich durch und komme in eine Gegend, die schwer von Katrina getroffen wurde. In mir kommt das Gefühl auf: Hier möchte ich nicht leben. Die Gegend ist leer, seelenlos. Ob hier wieder viele Menschen wohnen werden? So wie es jetzt aussieht, sind auch schöne Häuser zugenagelt. Ein Mann erzählt mir, viele sind weggezogen und nicht mehr zurückgekommen, haben aber ihre Häuser oder „Wasser-Ruinen“ nicht verkauft. An wen ach? Freie Grundstück zeigen Stellen, wo Häuser gestanden sind. Mein Schritt wird schneller, weil ich diese Gegend verlassen möchte. Schließlich lande ich wieder auf der Canal-Street, auf der mich eine Streetcar zurück in die City bringt.

Zurück zur Musik

Mit dieser etwas gedrückten Stimmung komme ich an den Mississippi. Dort verzehre ich mein zwei Tage altes Brot. Es zieht mich in die Frenchman Street. Halloween ist vorüber und die Bars sind um diese Zeit noch relativ leer.  Klaviermusik kommt aus dem „The Spotted Cat“ – Musikcafe.  Das sucht meine Seele. Ich gehe hinein und höre den beiden Musikern Bratt und Eddy zu, andächtig und ein wenig wehmütig.  Sie legen so viel Herzblut hinein in ihre Musik. Sie machen gegen 19 Uhr der nächsten Gruppe Platz.  Ich suche das Gespräch. Bratt kam vor drei Jahren von Chicago hierher und ist ausgebildeter klassischer Klavierspieler. Eddy spielt auf seiner „Bass-Teufelsgeige“ (Kombination Schlaginstrument mit Basssaite) seit 10 Tagen mit ihm.  Virtuos. Eine Gruppe von Touristen ist ebenfalls bis zum Schluss geblieben. Ich bin sicher, ich habe sie nicht zum letzten Mal gehört. Voller Eindrücke, hundemüde und mit Sehnsucht nach dem Bett betrete ich den Bus. Dankbar für die vielen Eindrücke und Begegnungen gehe ich schlafen und weiß: „Speicherplatz voll“.

Halloween ist Fasching, nicht süß oder sauer


„Happy  Halloween“ tönt es von vielen strahlenden Mündern. So auch bei uns auf der Veranda. Ich spüre keine Lust mich zu verkleiden, dafür die anderen umso mehr. Selbst der Hund eines Rollstuhlfahrers trägt heute ein besonderes Halsband und ist „happy“. Schon der dritte Tag, an dem New Orleans „außer Rand und Band“ ist. Vergnügt und fröhlich, nicht „gezwungen happy“. Unser importiertes Halloween hat damit nichts zu tun. Ja, die Äußerlichkeiten sind nach Europa gewandert, nicht die innere Ausgelassenheit und die viele sehr gute Live-Musik in allen Bars und Pubs. Ebensee und Gmunden deuten darauf hin und die Stimmung beim Abschluss des Kirchschlager Faschingsumzuges, „wenn die Musiker gut drauf sind“.  Die „Süß-Sauer-Kinder bei uns tun mir da fast leid. Warum? -weil sie den wahren Kern nie kennengelernt haben. Mein Vorschlag: Lassen wir Halloween in Europa bleiben und feiern wir dafür ganz Fasching – nicht nur in Gmunden und Ebensee. Aber eines sollten wir wissen: Mardi Gras wird hier auch gefeiert – über eine Woche lang.

Age of Less: Ein Buch über die Umkehr zum Weniger aus wirtschaftlicher Sicht

Dieses Buch hat meinen Flug echt verkürzt. Jetzt halte ich an diesem „Zwickeltag“ ein paar Eindrücke fest, nicht als Rezension, sondern als „Richtungsweisung“. Kevin sitzt mit mir auf der Veranda. Er hat seinen Job als Biologe in Florida verloren und will nun in New Orleans Fuß fassen. Es ist zwar kühl, aber ein gutes „Arbeitsklima“ mit schönen „Nebenbeigesprächen“.

Weiterso gegen Andersweiter

Schon im Vorwort weist Bosshart auf die folgenreichste Veränderung hin. Wir gehen vom „alt, weiß, männlich, satt“ hinüber zum „jung, asiatisch, weiblich, hungrig“.  „Es wird für uns kein „Weiterso“ geben, sondern nur ein „Andersweiter“. Dafür werden wir lernen müssen, zu verstehen, zu teilen, zu umsorgen“, ist Bosshart überzeugt. Er beschreibt mit einer für mich prophetisch-moralischen Dringlichkeit unsere Situation. Ich höre auch einen beschwörenden, einen „einschwörenden“ Ton mit in den gemeinsamen Anstrengungen auf Zukunft hin. „Auf fette Jahre warten wir vergeblich – aber gute Jahre können wir erreichen.“

Zehn Thesen

In zehn Thesen verschafft der Autor dem Leser, der Leserin den Zugang zum Less, zum Weniger.  Es geht um eine vernünftige Erwartungshalten jedes einzelnen.  Die Wirtschaft beschreibt er als angstgetrieben:  Angst vor  Versagen, Jobverlust, Kontrollverlust, Überschuldung, Image- und Reputationsverlust,  Angst vor dem Abstieg.  Die zentrale Haltung, gegen die Bosshart anschreibt, ist das „immer noch Mehr vom selben“. Ich-AG-Systeme werden transformiert in gegenseitige Support-Systeme.  Die Sinnfrage ist nur gemeinsam zu lösen und nicht einfach individuell. Urchristlich. Nicht noch mehr Druck, sondern  neue Gleichgewichte statt Gefälle schaffen. „Groß, abstrakt und komplex“ sind nicht die Erkennungszeichen der Zukunft.  Masterpläne von ober werden nichtmehr funktionieren.  Macht, Geld und Überlebenschancen müssen immer örtlich rückgebunden sein. Vor dort entsteht Sinn und Übersicht. Das bestärkt mich in meinem Thema: Gebt dem Volk, was dem Volk gehört. Lokal. In die Nachbarschaften und Commons.  In die echten einander supportenden „Beziehungsgeflechte“. Sie zeichnen sich durch Musik und Feiern aus. Ich bin in New Orleans. Die Einstiegsbarrieren für neue Kooperationen liegen tief. Die Möglichkeit der neuen Medien sollten hier mutig und innovativ genutzt werden. Intrinsisch motivierte Jobs ersetzen  die extrinsischen Sicht-  und Handlungsweisen.

Resilienz-Robustheit

Und dann schreibt er. „Von der Effizienz zur Resilienz-Robustheit als Basis-Strategie für die Zukunft.“  Aber: Nicht, um das Eigene zu retten, sondern gemeinsam den Weg in die Zukunft zu finden. Partizipation und Involvierung. Das ehrliche Bemühen fehlt mir bei Academia.  Lineare Entwicklungen sind mehr zu erwarten und nicht sinnvoll. „Noch mehr geht nicht mehr.“  Bei allem hat die Nachhaltigkeit (Enkeltauglichkeit) Vorrang. Wohin führt das? Wohin gehen wir? – sollten tägliche Standardfragen sein. Ganz ehrlich: Die Natur braucht uns nicht – wir sie. Das einzugestehen ist von enormer Bedeutung. Nicht die Natur leidet, sondern in Folge wir. Das kränkt uns und dagegen wehren wir uns. Wir sind wieder beim Angstfaktor. „No fear“ hat einer an mir hier „gesehen“.  Es gibt keine geschlossenen Kathedralen mehr. Wir leben iin offenen Bazars. Dort geht es nicht ums Geschäft, sondern um Beziehung. Der Ausgang ist offen – alles in Schwebe. Schwer zu ertragen. Persönlich Anmerkung: Wer glaubt, ist gehalten. Das macht frei.

Schnelle Anpassung

Die schnelle Anpassung an Veränderung  ist der Schlüssel. Kath. Kirche ist weit entfernt.  Selbstreferentiell auf den oberen Etagen und deshalb für konkrete Lebenssituationen  „irrelevant“. That‘s it. Und: „Verantwortung beginnt bei Ihnen und bei mir“, meint Bosshart immer wieder und spricht vor allem an, „dass wir keine Wachstumssklaven sein müssen und den Konflikt Mensch-Maschine  aufnehmen müssen, weil dieser weit raffinierter angelegt ist als der Mensch-Mensch.“  Wir brauchen uns auch nicht als hedonistische Tiere gebärden und diese „freiwillige Selbsterniedrigung und Banalisierung mitmachen“. Beschwörend meint Bosshart am Ende  zum Age of Less: „Es braucht alle Ressourcen, Kreativität und Imaginationskraft.“ Ja, das wird es brauchen.

Doppeltes Unbehagen

Bei mir selber spüre ich ein doppeltes Unbehagen.  1. Diese derzeitige Politik kann mit dem „Weniger“ absolut nichts anfangen.  Alle Energien und Inszenierungsmuster gehen immer auf das „Mehr“. Dem will ich nicht dienen.  2. Diese heutige „Elitenkirche“ hat alle moralische Autorität in Nebengeleise wie Sexualität verspielt und kennt und kennt „ganz oben“ auch nur eine Frage: Wie werde ich Kardinal. Dort schließt sich der Kreis zur Politik. Beide – Politik und Kirche – haben keine gestaltende, orientierende Kraft bei den Menschen. Aber wie heißt es oben:  Verantwortung beginnt bei Ihnen und bei mir.

Zum Absammeln eingeteilt

Es ist Sonntag. Um 10 Uhr besuche ich den Gottesdienst in der St.-Theresa-von-Avila-Kirche gleich in unmittelbarer Nähe. Wenn nicht zwei Großfamilien vor der späteren Taufe schon bei der Messe da gewesen wären, dann hätten 20 Personen mitgefeiert. Ich denke: Wir sind gesegnet mit unserer Sonntagsgemeinschaft in Kirchschlag und mit dem so vielerorts aktiven kirchlichen Leben in OÖ.  Der Predigt kann ich gut folgen: Wir sind immer und überall Christen. Es geht auf die Gabenbereitung zu. Ein älterer Herr kommt direkt auf mich zu und fordert mich auf, mit ihm absammeln zu gehen. Er drückt mir den Klingelbeutel in die Hand und weist mir eine Hälfte der Kirche zu. Ich habe es „professional“ gemacht. Der Mann war am Ende dann doch überrascht, „dass er einen Österreicher erwischt hat.“ Das war die New-Orleans-Berufung.

Frühstück ohne Plastik

Das gibt es auch – im French-Quarter. Ich gönne mir einen Frühschoppen als Frühstück. In einer alten und ursprünglichen Bar (vgl. Kaffeehaus) nehme ich Platz. Eine große Tasse guten Kaffee und Ham and Eggs. Der Kaffee wird immer wieder nachgereicht. Alles in und auf normalen Teller und Häferl. Das tut gut. Ich habe überhaupt den Eindruck, dass es hier noch immer viele Bereiche gibt, die ihre Kultur gegen alles Amerkanisieren in Amerika durchgehalten haben. Gestern war ich noch in der Frenchmann-Street. Dort feiern die Einheimischen – jetzt Haloween. So stelle ich mir vor, dass vor 100 Jahren auch die Gäste mit den Einheimischen vergnügt, kommunizierend, erzählend, musizierend, diskutierend, feiernd zusammen waren. Irgendwie erinnert mich das an Barcelona, wo auch noch nicht alles „versupermarktet“ ist oder war. Nach diesem Frühstück schlendere ich zum Mississippi und ein der klassische Dampfer fährt gerade vorbei.

Wenn er nur durchhält

Spät abends komme ich zurück in die Unterkunft. Ich habe genug von Halloween, das zwar mancherorts von „echter Vergnügheit“ geprägt ist, andernorts in der Nähe der Bourbon-Street dem „Ballermann“ gleicht. Aufgesetzter Spaß gepaart mit Lautstärke und jeder Menge Alkohol. In unserem Hostel hat das zur Folge, dass bis über mittag geschlafen wird. Bei der nächtlichen Rückkehr schaue ich noch den Standard und sehe, dass Kardinal Schönborn in einem Vorwort zum Thema_Kirche (MitarbeiterInnen-Magazin Wien) einen Durchbruch im „ernstnehmen der Situation von Geschiedenen-Wiederverheirateten“ bestätigt. De facto werden diese Segensfeiern seit Jahren „um der Menschen willen“ überall gemacht. Jetzt steht er auch dazu und steht so in direktem Ungehorsam zu den Vorgaben Roms. Es tut mich jetzt oft weh, wie der „Linzer Weg“ in den letzten Jahren nicht zuletzt vom Kardinal selber bekämpft wurde. Dabei hat er nur neue Erkenntnisse, Sichtweisen und Fakten ernst genommen. Der genau Blick auf eine konkrete Situation stellt dich oft in den größten Ungehorsam.  Man möge mir verzeihen, dass ich immer noch von Linzer Weg beseelt bin, weil er der Weg in die Zukunft sein wird.

Es war zauberhaft am Voodoo-Festival

Mehrere imposante Kirchtürme  auf einem Haufen in unmittelbarer Nähe haben mich schon neugierig gemacht. Ich nehme nach einem Kaffee in der Unterkunft noch etwas müde den Bus stadtauswärts? Was erlebe ich: Surprise. Ein Mann sitzt etwas gelangweilt am Eingang der Kirche. Ich gehe auf ihn zu und nach kurzer Zeit ist er aufgestanden und hat mir alles genau erklärt. Ich kann hier nicht alles erzählen, aber beim Weggehen muss ich an Lampedusa in Italien denken. Vor  mehr als 150 Jahren wurde hier in New Orleans mit den Europäern, die ausgewandert und hierhergekommen sind, komplett anders umgegangen. Sie haben vom Hafen aus kommend alle Angebote in Form der Gebäude gesehen (Bild: Model).

Für die Ankommenden Unterkunft, Bildung und Orientierung

Die drei Kirchtürme gehören zur irischen, französichen und deutschen Gemeinde. Alle auf das freie Feld hinter den Hafen gebaut, wo die Europäer nach Amerika einwanderten. Der Mississippi war der Zugang nach Norden durch ganz Amerika. Die Kirche hat hier anders entschieden und den ankommenden Menschen in ihrer Muttersprache „volles Service mit Zukunftsqualität“ angeboten. Die Kinder konnten im Waisenhaus mit Schule abgegeben werden, während sich die Eltern auf den Weg machten ins Landesinnere und Arbeit suchen. Kamen die Eltern zurück, nahmen sie die Kinder mit. Kamen sie aus verschiedensten Gründen nicht mehr, wurden die Kinder von der Gemeinde weiterbetreut.  Neben allen Einrichtungen waren die Felder, auf denen mitgearbeitet werden musste. Da wurde proaktiv gehandelt.

Fehlende Unterstützung

Nicht so in Lampedusa oder überall, wo Mauern, Zäune und Schiffe zurück „angeboten“ werden. Es ist unvorstellbar, dass zB die Ghanaer in Europa für ihre Leute solche Möglichkeiten errichten.  Peter Eibert, so heißt der Mann, der nicht bei Katrina sein Haus verloren hat sondern später durch ein Feuer, schildert weiter, dass es heute zu viele Kirchen gibt. „2000 KatholikInnen haben hier drei Kirchen zu erhalten“, meint er etwas überfordert.  Das ganze Gebiet rund um die Kirchen ist zwar mit Einfamilienhäusern verbaut (garden district), aber viele der Häuser stehen leer. „Hier war kein Wasser, aber viele sozial schwache Familien wurden hier von der Stadt mit Unterstützungen angesiedelt. Sie sind wie viele andere aus der Stadt nicht wegen des Wassers, sondern wegen der ausbleibenden Unterstützung gegangen“, meint Peter: „Und jetzt sollen sie wieder zurückgeholt werden aus New York, Alabamaa, usw. Wir werden sehen.“ Die Gebäude sind aus meiner Wahrnehmung ziemlich heruntergekommen. Das junge Leben scheint ausgezogen. Ich schlendere weiter durch den Stadtteil und sehe fast nur ältere Leute.

Ich muss zum Voodoo-Festival

Drei Tage findet hier das legendäre Voodoo-Festival statt. Für die „professional partyer“ (so meint ein Unterkunftskollege über die N’Orleanser) ein kleines Fest. Am City Park tummeln sich Tausende rund um die Hauptbühne und die fünf Nebenbühnen. Der City Park ist der größte und weitläufigste „Stadtpark“ in den USA. Social Distortion, Girl Talk, Tommy Melone sind Gruppen, von denen ich noch nichts gehört habe. Als der Rapper Snoop Dogg die Bühne betritt, merke ich rund um mich, dass das Allgemeingut (also ein musikalischer Commons wie bei uns Schifoan) ist. Das hat schon etwas, wenn dein Körper „behämmert“ wird und die Leute alle mitmachen, die Texte wie Litaneien mitsingen und mancher in Trance gerät (einige nicht nur wegen der Musik). So irgendwie muss es gewesen sein, als die Afrikaner im Stadtteil „Algier“ nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch mit ihrer Heilkunst „Meter machten“. New Orleans hat, braucht, nimmt Freiheit und hat deshalb mit dem vordergründig Fremden wenig Probleme. Beeindruckend. Aber: Irgendwie stelle ich mir das Frequency auch so vor.  Aber dort war ich noch nie.

Stolz auf ihre Stadt

Der Bus zurück fährt am French-Quarter vorbei. Ich steige aus und kreuze die Bourbon-Street. Helloween ist voll im Gange. Schon heute laufen Tausende angsteinflösend-aufreizend verkleidet durch die Strassen. Und wieder: überall Musik. Incredible. Und noch etwas: Wenn ich mit Leuten ins Gespräch komme und sich heraustellt, dass ich from Austria komme, dann begrüßt mich jeder „in seinem oder ihrem New Orleans“. Sie sind stolz auf ihre Stadt – auch die Jungen.

Through it all, a spirit of resilience and a profund sense of place carried us through

„Grazy guy“ – meint der Dorm2-Kollege aus Chile. Unser Mitbewohner hat diese Nacht nicht gekühlt, sondern ab 6.30 Uhr 15 x seinen Weckersound abspielen lassen: Common-Space als Akustikraum. Es ist doch wieder überraschend, wie wenig Sensibilität Menschen für das „Gemeinsame“ mitbringen: Ich und dann lange nichts. Der chilenische Kollege tut mir leid, weil er heute abends ein Konzert hat und länger schlafen wollte. Er sitzt auf der Veranda neben mir und ich spüre ein wenig Wut.  Commons sind in erster Linie keine Form, sondern Beziehung. Das braucht Zeit und Geduld – und transparente Klarheit.

Davor und Danach

Was ich gestern als individuelle Begegnung erleben durfte, will ich mir heute im Museum bei der Ausstellung „Davor und danach“ anschauen. Wir kennen zum Teil diese Bilder und Filme. Es ist unglaublich: 80% von New Orleans waren unter Wasser. Unglaubliche Schicksale in einer unglaublichen Zeit. Eine Frau schildert in einem Film ihre Situation und schließt schließlich so: „Es scheint, dass hinter all den Dingen eine Seele ist. Das lässt uns überleben.“ Auf einem Schild wird die Kraft der Menschen so beschrieben: „Through it all, a spirit of resilience and a profund sense of place carried us through.“ Ein Geist des Widerstandes, die Erfahrung, dass es schon öfter solche Katastrophen an diesem Ort gegeben hat und genau diese innere Verbindung zu diesem „Flecken Erde“.  Die Ausstellung schildert nicht von ungefähr im 2. Stock alle Feste, Karnevalls,… und sie zeigen damit die Lebensfreude. Sie ist auch heute wieder spürbar.

Musik als „Ablenkung“ oder Urgrund

Betroffen schlendere ich hinüber zum French-Market, trinke keine Kaffee im Cafe Du Monde, biege ich die Royal-Street ein und genieße die vielen Ateliers und Kunsthandwerke. Zwei MusikerInnen begeistern mich wieder mir ihrer Musik. Lange höre ich ihnen zu während immer wieder die Haloween-Gestalten vorbeihuschen. Aufreizend und furchterregend ist die Devise. Ein Teufelin mit ihrer Kollegin zählt auch zu den Zuhörerinnen. Dieses Wochenende wird sich das alles noch steigern. Der Regen am Vormittag hat abgekühlt und so frösteln ein paar „Leichtbekleidete“ dahin. In der Unterkunft lerne ich einen älteren Herren kennen, der die volle Computer-Ausstattung dabei hat. „Es ist der die unglaubliche Freiheit, die jeden einzelnen immer wieder überleben lässt“, ist seine These zur Resilienz, zur Auferstehungskraft dieser Stadt.
Diese Freiheit drückt sich in den verschiedenen „Musiken“ (und auch der Lust zu den Verkleidungen) aus, die ich schon in so kurzer Zeit gehört habe. Die Menschen strahlen auch beim Musizieren eine große Zufriedenheit und Fröhlichkeit aus. Fast möchte ich meinen: „Wer musiziert, braucht weniger Mercedes.“

Katrina hat mir meine Frau, mein Haus und mein Business genommen

Commons sind Gemeingüter, die – ganz vereinfacht gesagt – nach bestimmten Regeln gemeinsam genutzt werden (zB Almen). Luft in einem Schlafraum für mehrere Personen wie auf einer Berghütte oder hier im Dorm 2 ist so ein Gut. Um möglichst „frische Luft“ zu haben, hat ein Kollege, der schon über 4 Monate hier wohnt, dem „air-conditioner“ ordentlich eingeheizt. Stufe drei. Es wird immer kälter und wir schalten immer wieder aus. Er steht ebenfalls immer wieder auf und schaltet ein. So wird es eine sehr kühle Nacht, wo es im Freien um die 26° hat. Ich fröstle dahin und am Morgen werde ich befreit. Werden wir den „Luftraum“ als Commons begreifen oder wird er weiterhin die Regeln in diesem „space“ ohne uns festlegen. Wir werden sehen.

Er ist da!

Gespannt gehe ich die dreißig Minuten hinein in die Stadt. Es ist sehr warm.  Ob er kommen wird? Gestern haben wir uns zufällig getroffen und heute möchte mir Wayland W. (er zeigt mir seine „Drivers License“) jenen Stadtteil zeigen, wo sein Haus stand und wo er nach drei Wochen sein Frau tot gefunden hat. Er ist da und er ist sehr kundig in der Stadt. New Orleans ist „predominated“ katholisch und er überlegt als Baptist, auch katholisch zu werden. Wir gehen gemeinsam zum Jackson-Square, wo die Kathedrale steht. Vor 14 Tagen wurde der Alt-Erzbischof begraben und wirklich 1.000e Menschen haben von ihm Abschied genommen: „Er war weit über die Grenzen der Kirche hinaus ein bekannter Mann.“ Das finde ich später auch in der „Kirchenzeitung“ bestätigt, die ich in der  Jesuitenkirche mitnehme. Er zeigt mir noch mir Stolz die Sehenswürdigkeiten im „French-Quarter“.

Verlasse bitte sofort die Stadt

Dann steigen wir in den Bus und fahren hinaus Richtung mehr und Lake.  Es reihen sich Einfamilienhäuser an Einfamilienhäuser. Je weiter wir fahren, umso mehr werden jene Häuser, die nicht mehr gerichtet wurden bzw. freie Plätz, die durch den Abriss entstanden sind. Beim Umsteigen auf einen anderen Bus sehen wir, dass der Wasserstand bis zum Dach war. Viele haben am Dach gehaust. Es dauerte 1 ½ Monate, bis das Wasser wieder verschwunden war. Ich werde ganz andächtig. An einer Tür sehen wir noch jene Botschaften gesprüht, die das Ergebnis der Suche nach 14 Tagen gezeigt hat. In diesem Haus wurde niemand gefunden. Wir fahren über eine hohe Brücke und sehen jene Gegend, so Wayland`s Haus stand. Genau in ihrer Gegend ist der Teich des Kanals gebrochen und das Wasser hat mit großer Wucht fast alle Häuser weggespült. Heute sind wieder neue Hauser errichtet, aber nur etwa zu 20 %. Viele sind nachher weggegangen. „Wie ist deine Frau umgekommen?“, frage ich sehr zögerlich. „Ich war in Housten bei der Arbeit und habe sie dringend gebeten, das Haus zu verlassen. Aber sie ist geblieben, weil sie seit Kindheit da war. Sie hat nicht damit gerechnet, dass es so arg wird. Das Wasser stand 5-6 Meter hoch. Nach drei Wochen haben wir sie im Haus tot gefunden.  Dann bin ich weggegangen nach Oklahoma. Hierher will ich nicht mehr“, meint er mit einem Blick auf die neuen Häuser. Die Stadt hat seinen Grund gekauft.

Seither bin ich auf einer spirituellen Reise

Bei einer Ölfirma hat er Arbeit gefunden. Viele sind weggegangen und so wie er nicht mehr zurückgekommen. „Jetzt hat es mich wieder hierher gezogen und ab nächster Woche bekomme ich hier als „Constructer“ eine Arbeit, mein „altes Business“.  Wir reden im Bus zurück über Gott und die Welt, warum das Gott so zugelassen hat, wie er sich seine Zukunft vorstellt. Er hat keine Kinder. In der Stadt sehe ich, dass er viele kennt. Einstweilen ist er noch provisorisch untergebracht. Es hat ihn ein Stück weit von hier vertrieben und andererseits fühlt er sich hierher gezogen.  Er ist müde und ich habe den Eindruck, dass er am liebsten nach der Begegnung mit dieser Gegend schlafen möchte.  Wir trennen uns und wissen, „dass wir uns zufällig wieder begegnen werden.“ Ich gehe vorbei an der an der City Hall und dem Zeltlager der „Occupys“ in die nächste Kirche und sitze da – stumm und nach innen gekehrt.  Mein Wunsch, den ich immer und überall anfüge, hat heute eine besondere Bedeutung bekommen: Gott geht alle Wege mit.

Über einen kurzen Umweg „nach Hause“

Bevor ich nach Hause gehe, biege ich noch in den French-Quarter ein, höre einer Jazz-Gruppe zu, wundere mich über die viele Dirnen schon tagsüber, bewundere die Kunstläden und steige dann in den Bus 11. In der Unterkunft reden wir noch über den „common space“ (Luftraum) und vereinbaren: Der Air-Conditioner bläst – aber kühlt nicht. Ist doch was, oder?

Whould Jesus occupy Wall Street? – CNN asks today

Mein erstes Frühstück in den USA. In guter amerikanischer Manier läuft der Fernseher. Fast alles Plastik. Es stimmt: In der Fremde darf das Fremde ruhig etwas fremd sein. Darauf habe ich mich eingestellt. Schon seit etwa 15 Minuten wird aus den verschiedenen „Occupy Stations“ auf CNN berichtet – auch aus Europa. Gegen Ende stellt der Reporter die Frage des Tages: „Hätte Jesus auch die Wallstreet besetzt?“ Dahinter läuft das Bild vom Papst, der die Antwort geben soll. Erstaunlich, dass Occupy so viel Platz hat und dass die Antwort von Jesus vom Papst gegeben werden soll. Irgendwie befremdlich – für mich.

Engel auf meinem Weg

Erstmals betrete ich amerikanischen Boden. Der amerikanische Way of Life war nie wirklich anziehend für mich. Zu viel läuft aus meiner Einschätzung „schief“. Jetzt aber ist es New Orleans – etwas ganz Besonderes. Das ist meine Erwartung für die nächsten vier Wochen. Der Flug über den Atlantik nach Charlotte dauerte über 9 Stunden. Ein junger Inder war mein Sitznachbar und er war schon 8 Stunden von Bombay nach München unterwegs. Er ist Programmierer und wird in den USA arbeiten. Er schläft die meiste Zeit und ich vertreibe mir die Zeit mit dem Buch von David Bosshart „Age of Less“. Es war spannend und so verging die Zeit wie im Flug. Zum Umsteigen in Charlotte habe ich 1 Stunde 25 Minuten. Das ist knapp, sagen alle, die Erfahrung haben. Wir stehen Schlange vor der Einreise. Nach 45 Minuten bin ich dran. Fingerabdrücke, Foto, konkrete Fragen zu meinem Aufenthalt, Durchwinken, Koffer holen, Zoll, Koffer wieder aufgeben, Laufen, neu einchecken auf der Überholspur „first class“, Laptop nicht ausgepackt, kurze Nachkontrolle, Gate C12, Sprint, hinein in den Flieger, alle sitzen, Platz suchen, setzen, durchatmen, der Flieger bewegt sich. Zwei Stunden Flug, die ich einfach genieße, weil ich mit an Board bin. Den Namen des Vorarlbergers, der für die Firma Blum-Beschläge in der Schlange neben mir stand, habe ich nicht mehr erfragt. Wir haben einander viel erzählt und nun weiß ich nicht einmal, wie er heißt. Ich wurde Gott sei Dank schnell durchgelassen. Am Flughafen in New Orleans fragte mich ein älterer Herr mit Rucksack, ob ich Hilfe brauche. Yes. Er hat mir den Bus in die Stadt hinein (ca. 14 km) bezahlt und mir allerhand erzählt. Mein Englisch hat doch im letzten Jahr zugelegt. Er war in den Rocky Mountains wandern. Ein ältere Frau habe ich – es ist schon finster – auf der Strasse gefragt und sie hat mir nach 21 Stunden (inkl. 7 Stunden Zeitverschiebung) geholfen, ein Hotel zu finden. Ich bin dankbar, weil so viele Engel am Weg sind.

Unglaubliche Vielfalt

Nach dem „kontinentalen Frühstück in Plastik“ (siehe oben) mache ich mich auf den Weg, die Stadt zu erleben, wahrzunehmen mit Achtsamkeit und eine einfache und billigere Unterkunft zu finden. Halloween, Allerheiligen und die Woodoo-Tage ziehen enorm viele Leute an. Das wird nicht einfach. Zuerst schlendere ich durch die Stadt und treffe „zufällig“ den Bus 55 zur UNO (University of New Orleans). Ich steige ein und suche dort das Austria Center. Eine Tür mit A-Pickerl zeigt mir: hier bin ich richtig. Frau Griessner und ihre Kollegin empfangen mich freundlich. Am Tisch liegt das Buch „Resilience and Opportunity“. Das ist mein Thema. Sie gibt mir den Kontakt zu einem Studenten, der dazu die Diplomarbeit schreibt. Meine gesuchten „Commons“ sieht sie nicht wirklich, höchstens im „Housing Project“. Das ist doch etwas. Sie weist mich auf das „department for urban studies“ hin und weiß von einem Ausbildungstool auf der Uni im „Desaster Mangement“.  Mit diesen „Links“ fahre ich mit dem Bus wieder zurück in die City. Die UNO liegt nämlich auf der anderen Seite der Stadt am „Lake“, über den eine unendlich lange Brücke führt, die ich vom Flieger aus gesehen habe. Mir wird bei der Fahrt mit dem Bus klar: Die Stadt ist geprägt von Einfamilienhäusern – zum Großteil billig gebaut. Es steht noch viele Häuser leer, andere wurden abgerissen. Davon zeugen die leeren Parzellen. Mir wird wieder bewusst: Ich habe noch keine Unterkunft. Zurück in der City in der Canal-Street komme ich mit einer jungen Frau in einem Geschäft zu sprechen. Sie klemmt sich sofort hinter das Telefon und sucht für mich. Es gelingt nicht sofort. Während sie schaut, gehe ich zum Missisippi. Ich sehe mit Achtung diesen breiten Fluss, der seinen Wasserspiegel höher als die Stadt führt.

Das Haus weggespült – nach 3 Wochen Frau tot gefunden

In einem Cafe beginne ich mit einem Mann ein Gespräch. In dieser Stadt ist das nicht schwierig, wie ich sehr bald sehe. Ich erzähle ihm, was ich vor habe. Er erzählt mir, dass er auch erst seit ein paar Tagen wieder zurück ist in New Orleans ist. Er hat bei Katrina 2005 seine Frau und die Eltern der Frau verloren. Sein Haus wurde weggespült und nach 3 Wochen hat er seine Frau tot gefunden. Am kommenden Dienstag beginnt er wieder eine Arbeit als „Constructor“. Er hat nasse Augen – ich auch. „If you want, I can show you the place“, meint er. Wir treffen uns morgen um 10 Uhr. Sprachlos und etwas betroffen kehre ich zu jener Frau zurück, die für mich auf Zimmersuche ist. „Es ist sehr schwer in diesen Tagen“, meint sie: „aber ich habe etwas für sie gefunden.“ Ich fahre mit dem Bus zum St. Vincent Guesthouse und dort beziehe ich im Dorm 2 ein Bett. Das Haus wurde 1861 als Waisenhaus errichtet. Hier werde ich für eine Woche meine Schlafstätte haben – und das WLAN nutzen. Schon der erste Tag hat gezeigt: diese Stadt ist von einer unglaublichen Vielfalt geprägt. Dem nachzuspüren wird mein Hier-Sein prägen. Neugierige Empathie kommt auf. Und eines bin ich mir sicher: Jesus würde gegen die säkularisierten Pharisäer und Mächtigen auf die Straße gehen. Da bin ich mir sicher.