Gehe weg von dir zu dir. Das ist das Geheimnis des Aufbruchs

Auf der Einladung steht: Aufbrechen – wohin? mit wem?. Der Zug hat mich hierher gebracht, nach Weiz. Die Kunsthalle ist die Location.  Wir sitzen im Halbkreis im Saal des modernen und neuen Gebäudes. Way of Hope hat eingeladen zum „Wisdom Council“. Schon das Eröffnungslied bringt und in Schwingung. Klang hat viel mit dem Thema zu tun. Das Einschwingen in einen gemeinsamen Klangkörper. Ich gerate in die erste Reihe, weil es wie in der Kirche ist: sie ist frei. Neben mir sitzt mein Facebook-Freund Tarafa Baghajati. Er ist Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen. Wir stellen fest: es ist schön, sich analog zu sehen. Daneben der Dozent für Psychologie in Jerusalem und Lehrer jüdischer Mystik Gabriel Strenger. Er wird als erster das Wort ergreifen. Mit großem Brustkreuz daneben der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej Cilerdcic aus Belgrad. Seine Mutter aus Deutschland gebürtig sitzt neben ihm und deshalb spricht er ausgezeichnet deutsch.

Aufbruch aus der Sicht eines Juden

„Der Mensch hat immer Angst vor der Unsicherheit“, stellt Gabriel Strenger fest: „Wer die Angst aushält, kann den ersten Schritt zum Aufbruch wagen.“ Er fragt, was Glaube eigentlich bedeutet: „Für einen Juden bedeutet der Glaube an die Schöpfung Gottes glauben und dass sie gut ist. Der Drang zum Sein wir das Haben besiegen  und der Mut die Angst. Wir glauben an die innere Kraft der Seele.“ Wie erkenne ich die Stimme Gottes? „Der Teufel macht Angst und Gott macht Mut. Wenn mich Mut erfasst, spricht Gott zu mir.“ Strenger geht einzelnen Wortbedeutungen nach. „Auf-Bruch“ hießt los und vorwärts und Bruch ist öffnen, das oft mit brechen verbunden ist. „Das Zerstören der Götzen ist immer Teil des Aufbruchs, weil Götzen versteinertes Lebens sind“, erläutert Strenger. Aus seiner Sicht bedeutet Krise, „dass das Alte gestorben ist und das Neue nicht geboren werden kann oder darf.“ Am Beispiel Abrahams erläutert Strenger, was es heißt, dem Ruf Gottes zu folgen und aufzubrechen: „Gehe weg von dir zu dir. Verlasse das Ego, damit du das Selbst finden kannst.“  Voraussetzung ist das Gehen: „Du bist das Gehen. Das ist die Dynamik des Lebens.“  Wer glaubt, er ist angekommen, hat schon verloren: „Der Gott von gestern wird sehr schnell zum Götzen von morgen.“ Strenger sieht im Hören Abrahams den tiefsten Grund für den Aufbruch: „Hören und gehen. Gott möge uns helfen, seine Stimme zu hören und gebe uns die Kraft immer neu aufzubrechen.“

Aufbrechen aus der Sicht des Muslim

„Mohamed hat in einer Zeit des Stammesdenkens und Rassismus einen Aufbruch gesetzt“, führt Tarafa Baghajati aus. Neben Sklaverei, Menschenbesitz und Götzendienst gab es zur Zeit Mohameds auch Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit und Gastfreundschaft. Mohamed will genau diese vorhandenen guten Tugenden stärken. Die Gleichwertigkeit der Menschen ist seine Botschaft. Alles sind Menschen und Kinder Gottes. „Oben steht. Ihr Menschen und nicht ihr Muslime“, führt Baghajati aus. Aufbruch, Auswanderung, Migration ist wegen der Erinnerung an die Gefährten Mohameds, die nach Äthiopien auszogen, nicht negativ, sondern positiv bewertet. Auch dass Mohamend in Medina aufgenommen wurde, zeigt bis heute noch tiefe Spuren. Die Hälfte des Besitzes ist für Migranten oder Asylsuchende. „Deshalb ist bis heute die Atmosphäre in Medina gelassen, locker und fröhlich“, weiß Baghajati. Mit Mohamed ist Aufbruchstimmung verbunden. Das Zinsverbot bringt verfahrene Ungerechtigkeiten in Bewegung. Wasser, Luft, Weide und Feuer (heute Energie) muss frei sein für alle. Ein Flucht aus der Verantwortung darf es nicht geben.

Aufbrechen aus der Sicht des Orthodoxen

„Die Einfachheit des Geistes ist die eigentliche spirituelle Kraft“, führt Bischof Andrej Cilerdcic aus Belgrad aus. Er erörtert vor allem die ökumenischen Bemühungen und Aktivitäten. Er sieht in der Anerkennung der Pluralität einen wichtigen Aufbruch zueinander: „Manche Kirchen tun sich schwer, die Inhalte und Ergebnisse von Dialogprozessen an und aufzunehmen.“ Als Folge sieht er Ratlosikeit. Dabei hat die ökumenische Bewegung unglaublich viel Know How in der Konfliktbewältigung angesammelt. Das verleitet ihn zur Forderung: „Das braucht mehr Wahrnehmung der ökumenischen Aufbrüche und Bemühungen.“

Der erste Abend wird mit vielen Gesprächen weitergeführt. Es fällt leicht, mit den anwesenden Menschen ins Gespräch zu kommen. Das ist ein gutes Zeichen. In jedem Fall steigt bei mir die „Spannung“, was die Methode des Wisdom Council betrifft. Spannender Beginn.

 

 

 

Wir erinnern und erzählen, damit wir uns den Aufbruch ersparen?

Aktionen ziehen durch das Land. Das Konzil wurde eröffnet. Ab heute sind 50 Jahre ins Land gezogen. Papst, Bischöfe und deren Institutionen sind in Aktion. Schwerpunkte in den Zeitungen. Nostalgische Fotos von Konzilsvätern werden von Großmüttern und Großvätern begeistert interpretiert. Da war Aufbruch zu spüren und tatsächlich wurde Aufbruch gelebt. Das Establishment, die Elite der römischen Kirche hat in ihrer Machtstarre ganz übersehen, dass rundherum alles „fluid“ geworden ist. „Kristallisierte Kompetenz“ traf auf „fluide Kompetenz“. Der individuelle Mensch entwickelt sich auch von der fluiden in die kristalline Realität. Im Alter von 50 Jahren etwa wird diese Veränderung spürbar. Das sagen Menschen (um sich das Wort ExpertIn zu ersparen), die etwas von „Beschäftigung und Employabilty“ verstehen. Das Konzil wird 50 und „kristallin“.

Die Körpersprache sagt: erstarrt

Das wohl berühmteste Foto lacht mich von der Titelseite von „informiert“ an. Das ist die Mitarbeiterzeitung aus Linz. Die Bischöfe sitzen in Reih und Glied im Petersdom. Eine äußerlich starre Angelegenheit. Da hat sich seit der Zeit damals nicht viel verändert. Ich erinnere mich noch an eine Nachbesprechung zum Papstbesuch in Mariazell. Der ORF-Sendeverantwortliche war wütend, weil durch alle Kameras, die auf den Altar hin aufgenommen haben, nur Bischöfe im Bild waren. 100 Bischöfe waren im Hntergrund aufgestellt. Keine Frauen, keine Ordensleute, keine „Zivilisten“. Er resümiert: „Diese ausschließlich klerikale Männerlastigkeit können wir heute nicht mehr so senden.“ Dann kommen mir Ordensmeetings in den Sinn. Bunt, vielfältig, unterschiedlich. Da ist etwas in Bewegung. Das deutet eine fluide Realität an. Unterschiedlichste Knotenpunkte sind sichtbar. Manchmal erfüllt mich ein Stück Wehmut und dann wieder Zorn: Sind nicht viele, sehr viele Festgottesdienste, Veranstaltungen und Feiern körpersprachlich so aufgebaut, dass sie den Aufbruch nicht einmal andeuten? Der fluide und kommunikative Geist wird beschworen im Sitzen und Stehen. Wie war das? Pilgerndes Volk Gottes. Aber: „Es bleibt ohnehin alles so, wie es wird.“

 

Weltgestaltung gegen Selbsterhaltung

Der Zug bringt mich des nächstens von Linz wieder zurück nach Wien. Heut ein zweites Mal. Otto Hirsch hat zu einem Benefiz-Abend „Hope for Future“ eingeladen. Sepp S. hat mir seine Gastfreundschaft an seinen „gekauften Tisch“ angeboten. Nachdem ich Otto schon seit der Dompfarre kenne und Sepp noch ein Stück länger, „konnte und wollte“ ich nicht nein sagen.

Zupacken

Otto unterstützt mit einem unglaublich engagierten Netz von UnterstützerInnen die Arbeit von Sr. Lydia in Nairobi. Sie hat sich um die „Müllkinder“ angenommen. Hope for Future hat alleine aus Spenden 309.000.- EUR zur Verfügung gestellt und Leben gerettet und Leben entwickelt. Im Zug auf der Rückfahrt vermischen sich die Gedanken dieses Abends mit dem Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils. Aufbruch war überall zu spüren. Anpacken war gefragt und wurde als „Wille Gottes“ verstanden. Die Kirche als Werkzeug und nicht als Selbstzweck. Die gesellschaftlichen Wirklichkeiten galt es nach dem Evangelium zu gestalten. Große Vorbilder wie M.L.King „tauchten“ auf und inspirierten eine ganze Generation. Das Christentum hat Welt gestaltet. Edi Ploier weitete den Blick auf die ganze Welt und entwickelte Entwicklungshilfe. Junge Leute gingen als Entwicklungshelfer in andere Kontinente. Missionare verstanden sich im Dialog mit dem vorhandenen Kulturen. Das Christentum inspirierte, motivierte zur „Weltgestaltung“.

Anhalten

In der Nähe von St. Pölten waren meine Gedanken bei der Theologie der Befreiung. Sie wurde radikal angehalten, nein abgewürgt. Inkarniertes gelebtes Christentum auf Seite der Armen war der Hierarchie zu gefährlich. Wer an Selbsterhalten denkt, der hat große Angst, sich in der Welt zu verlieren, auch wenn es um Gerechtigkeit und Menschenwürde geht. Sr. Lydia und Otto Hirsch denken nicht an Selbsterhaltung. Ihnen geht es um Weltgestaltung im Dienst der Ärmsten. Ganz konkret und ohne Wenn und Aber. Der Zug fährt in Wien ein und ich bin dankbar für die Einladung. Der Abend hat die Richtung des Vat II wieder in Erinnerung gerufen. Ich habe Zeugnisse gesehen, die den Kern der Botschaft Jesu leben. Es geht um Weltgestaltung und nicht Selbsterhaltung. Ordensfrauen sind in diesem Fall die „Täterinnen“, Menschen der Tat. Beunruhigt gehe ich schlafen. Und das ist gut so.

 

Der nackte Franziskus ist heute wie damals ein Ärgernis

Der Vorabend des 4. Oktober „verleitet“ dazu, sich einzustimmen auf den großen Feiertag des Hl. Franziskus. Natürlich kommen in mir persönlich viele Erinnerungen und Erfahrung hoch von meinem Gehen nach Assisi im Jahre 2009. 52 Tage und 1.400 Kilometer zu Fuß  hinterlassen Spuren im Herzen und in der Seele. Nachhaltig. Wer es probieren will: 21 Tage 7 Stunden pro Tag gehen. Das „furcht“ sich ein. Franziskus, Klara und Antonius sind mir immer wichtiger geworden, sind mir immer näher gekommen. Bist heute.

Step back

Heute wurde das Jahr des Glaubens in Wien vorgestellt. Geteilte Einschätzung. Pattstellung ist das Stichwort. „Step back“, schreibt der Blogger Georg. Stefan, der @frei_denk_er twittert überhaupt ganz kritisch: „Jahr des Raubens wäre wohl die richtige Bezeichnung: Dieser Hirtenbrief raubt mir den letzten Nerv.“ Dass die organisierten Reformer das kritisch sehen, lag nicht nur in der Luft, sondern hat sich längst manifestiert. Daraus ist mittlerweile ein Ritual geworden, ein innerkirchliches mit großer medialer Wirkung. Da bleibt kein Spalt für Neues. Wo sich ein Spalt auftut, da schreiben Medien hinein. Es ist ihre Aufgabe, Inkongruenzen aufzuzeigen. Das wünschen wir uns beim U-Ausschuss und genauso bei der sogenannten organisierten Euro-Rettung. Das letzte Publik-Forum liegt am Stoß neben mir: Wer rettet den Euro vor den Euro-Rettern. Wer rettet die Kirche vor den Kirchenrettern – dort wie da, oben wie unten. Wenn sich etwas ganz und gar „verfangen“ hat (in der Ehe, Firma, Politik, Schule, Verein,…), dann ist sicher der „step back“ hilfreich. Aber was feiern wir morgen?

The others will pay

Zur Zeit des Hl. Franziskus und der Hl. Klara hat sich die Kirchenspitze irgendwie verlaufen gehabt. Macht, Einfluss, Geld, Prunk und Imponiergehabe. Während Franziskus San Damiano (das verfallene Kirchlein, wo Franziskus gehört hat: Baue meine Kirche auf) wieder aufbaut, sind alle mit der Errichtung des Domes in Assisi beschäftigt. Franziskus setzt bei der kleinen Kirche außerhalb der Stadt an. Da war er gleich einmal „voll daneben“. Die Menschen hatten es aber satt, am weltlichen Prunk und der Logik der Macht und Größe mitzumachen. Es ist wie heute. Was wird nicht alles „aufgeführt“, um den größeren Eindruck zu machen. Damals waren es Dome und Türme aus Stein. Heute sind es Inserate für ein großes Image. Bilder prägen sich ein. Wer nicht in den Medien ist, ist außerhalb der „Stadt“. Dort war Franziskus. Dort startet er. Think big and start small. Das war anders als heute: Inseriere kräftig mit dem Steuergeld. Only me and start big. The others will pay.

Step back and be naked

Franziskus hat es ganz anders auf die Spitze getrieben. Er stellt sich nackt vor seinen Eltern, den Menschen und dem Bischof auf den Stadtplatz von Assisi. Wer selber Kinder hat, der kann mit den Eltern mitfühlen. Erfolg, Macht und Einfluss waren im Raum. Beste Chancen und „er will nicht“. Da steht der Sohn, nackt. Das Bild (siehe Bild) zeigt eine interessante Reaktion des Bischofs: „Verhüllen“. Auf das Bild bin ich in der Po-Ebene gestoßen, bei 40 Grad Hitze. Dort haben mich tagelang diese Fragen nicht mehr verlassen: „Warum stellt sich der Bischof nicht nackt neben Franziskus, damit er den ganz tiefen Grund des Evangeliums unterstreicht, den Franziskus herausgekehrt hat?“ Das Gehen in der Hitze treibt manche Gedanken auf die Spitze. Das hat Einsichten zur Folge: Es ist alleine die Dankbarkeit, die uns Geborgenheit geben kann. Das erfüllt uns mit aufrechter Demut gegen alle Arroganz, die in uns schlummert. Nacktheit bringt die aufrechte Dankbarkeit und Demut zum Ausdruck. Das ist die Annäherung an das wahre Selbst, wie es Richard Rohr in seinem Buch „Befreiung vom Ego – Wege zum wahren Selbst“ beschreibt. Seite 28: „Das falsche Selbst muss sich ständig reproduzieren, daher die permanente Unruhe und Unsicherheit. Das wahre Selbst muss sich nur enthüllen, selbst erkennen. Es ist bereits da. Jeder Mensch ist ein Tabernakel Gottes.“ Steuert das der Hirtenbrief an? Ist das gemeint, wenn wir das „Jahr des Glaubens“ begehen? Nackt werden? Ohne Unterschied und Ausnahme?

Franziskus hat etwas ausgelöst. Diese Nacktheit habe ich beim Gehen erlebt. Es ist beschämend und befreiend zugleich, nackt zu werden und zu sein. „Loslossn is a Hund“, sagt ein Bekannter immer wieder. No fear. Keine Angst. Ein frohes Herz ist die Folge. Danke Franziskus.

 

 

Fressen die Alten den Kuchen weg? Nein

Die Einladung ins Parlament zu einer Buchpräsentation ist schon vor längerer Zeit hereingeflattert. Nach einem Gespräch mit Sr. Kunigunde Fürst, der Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, war mir klar, dass ich diese Gelegenheit nutzen werde. Sie hat erzählt, dass gerade in den Ordensgemeinschaften die Generationenfrage beispielhaft gelöst wird. Dort haben Schwestern eigentlich das, was auch einen Altbauern oder einen Seniorchef im besten Fall beschäftigt. Die Schwestern gehen „nicht in Pension“, sondern verändern ihre Tätigkeit als Beitrag für das Ganze. Das bestätigt wieder, was der Mensch braucht: Anerkennung, eine sinnvolle Beschäftigung und das Eingebunden-Sein in ein größeres Ganzes. Mich persönlich irritiert die allgegenwärtige Frage nach der Pensionserwartung: „Wie viel Jahre hast du noch?“ Und dann redet man heute den Jungen Leuten ein: „Wenn ihr einmal alt seid, gibt es ohnehin keine Pension mehr!“ – und hat eine „private Pensionsvorsorge“ parat. Experten aller politischen Richtungen geben dann ihren Senf dazu: „Jeder bekommt das, was er eingezahlt hat.“ Un-Solidarität pur.

Kohl wörtlich: „Übelster Raubtierkapitalismus“

Der Plenarsaal des Parlaments ist voll. Wir nehmen Platz. Neben mir Seniorenvertreter. Viel graues oder schütteres Haar. Das Enkerl der Autorin Christa Chorherr meldet sich als Ausnahme immer wieder zu „Wort“. Es stört nicht, sondern lässt die Seniorenvertreter Blecha und Kohl immer wieder einhellig auf den gültigen und funktionierenden Generationenvertrag hinweisen. Als der oben erwähnte Vorschlag artikuliert wurde, hob Andreas Kohl (Klubobmann der VP zur Privatiesierungzeit) ordentlich aus: „Was hier vorgeschlagen wird, stammt von übelstem Raubtierkapitalismus.“ Blecha nickt kräftig. Sie sind sich einig: „Unser Pensionssystem ist auf Solidarität gebaut und ist absolut leistbar.“ Sie wollen mit dem Buch Transparenz schaffen und Fakten auf den Tisch legen gegen das Mobbing und das schlechte Image den Pensionisten gegenüber. Der Buchtitel ist entstanden, weil man provozieren will. Am Ende der Diskussion war klar: Dieses solidarische Pensionssystem ist sicher. Querschüsse kommen von privaten Pensionsvorsorgern, die mit viel Marketing  und Medienkontakten jene Verunsicherung schaffen wollen, damit der Glaube an dieses Solidarsystem schwindet. Dafür gibt es ordentliche Provisionen. Der heutige Pensionist trägt viel zum gesellschaftlichen Leben bei. Er gibt im Schnitt pro Monat 258.- EUR an die nächste Generation weiter.  Sie fordern ein flachere Lohnkurve und das Aus für Bienal-Sprünge. Zwei No-Goes benennen Blecha und Kohl: Tüchtige ältere Arbeitnehmer werden heute „aus Kostengründen“ hinausgemobbt. Arbeitnehmer fliehen die Arbeit weil auf der Karibik ein guter Platz für sie ist. Da bin ich wieder bei den Ordensschwestern: Sie verbindet eine tiefe lebenslange Loyalität miteinander. Das trägt.

Warum sind Pensionisten so mächtig?

Diese Frage wird immer wieder aufgeworfen. Sie exerzieren es vor. Sie sind sich in den wesentlichen Einschätzungen einig. Sie bauen auf Solidarität der Generationen und nicht auf die leeren Versprechen der kaptialistischen Pensionsvorsorgen. Sie vertreten ausschließlich die Interessen ihrer Zielgruppe. Sie kommunizieren unendlich viel miteinander. Kohl:“Ich rufe bei wichtigen Dingen immer alle durch.“ Und Josef Ratzenböck in der ersten Reihe nickt und bestätigt. Partizipaton und Involvierung – das ist das Rezept. Jetzt haben sie konkret vor, dass am Runden Tisch auch die Jungen teilnehmen müssen. Das ist nicht einfach, meinen sie, aber wir bestehen darauf. Es geht um ihre Zukunft, um die Verteilung des Kuchens. Ich selber denke mir immer wieder, ob es tatsächlich um den Kuchen geht. Geht es nicht für viele einfach um das Brot zum Überleben? In jedem Fall gehe ich beruhigt aus dem Parlament, dass das solidarische System so klar als Lösung gesehen wird. Privatvorsorgern und Unken-Rufern sei gesagt: Dieses Sozialsystem ist nicht nur leistbar, sondern ein wichtiger Wirtschaftsmotor.  Den Jungen sei gesagt: Baut auf Solidarität und nicht auf „lebenslanges Ansparen“. Da brauchen wir nur in die Bibel schauen, wo es zu solchen Leuten heißt: „Du Tor!“
Freda Meissner-Blau urgiert am Schluss noch sehr einfühlsam: „Nehmen wir die Umwelt, die Erde auch in den Generationenvertrag auf und behandeln wir sie gut.“

 

 

Kaffeehaus oder ethisch-religiöse Bildung

Ich habe vor Jahren immer wieder Religionsstunden gehalten. Auch wenn das in der Stadt war, so bin ich von Abmeldungen verschont gewesen. Es war eher immer wieder die Frage in der Direktion zu klären: Dürfen ORB- Schüler oder Angehöriger anderer Konfessionen in der Klasse bleiben. Die Antwort des jeweiligen Direktors war immer: Ja. Damit war die lästige Aufsichtspflicht erledigt. Und ich habe es immer als Bereicherung erlebt, wenn anwesende Muslime oder Schüler, die ohne religiöse Praxis in der Familie aufgewachsen sind, Fragen gestellt haben. Wann betet ihr das Vater unser? Warum hängt euer „Erlöser“ am Kreuz? Mein Vater schimpft dauernd über die Kirche und was meint ihr damit? Oft habe ich solche Interventionen als aufgelegte Elfmeter erlebt. Natürlich stellt ich auch Gegenfragen: Welche Zeichen habt ihr in der Wohnung hängen? Wie feiert ihr die Feiertage? Was ist euch in der Familie wichtig?

Ethik im Alltag

Ich erinnere mich noch genau an eine 1. Klasse HAK vor etwa 20 Jahren. Eine Schülerin hat sich über ihren Vater schwer geärgert, „weil er so inkonsequent streng ist“. Ich habe damals zu vermitteln versucht, dass jede und jeder „zuerst bei sich selber bei der Veränderung beginnen kann“. Weder Schuld noch Veränderung liegen allein beim anderen, sondern ich selber bin die Veränderung oder ich habe Schuld selber gut zu machen. Heute sage ich: Die Veränderung leben. Schuld eingestehen ist der Beginn für Erneuerung.  Das hat die Schülerin sehr wach gehört und ihren Vater vor sich: „Alles, was er selber nicht lebt, soll ich gut machen.“  Ich erinnere mich noch, wie wir beim Beispiel mit Jesus waren, wo auch die Pharisäer und Schriftgelehrten (zumindest die selbstgerechte Sorte von denen) den Menschen Lasten aufgelegt haben und selber ganz anders handelten. Heute fühle ich mich bestätigt in dem, dass jeder Alltag von persönlicher Verantwortung getragen werden muss oder soll. Ethik ist nicht zuerst bei den anderen  zu entwickeln, sondern hat den Ausgangspunkt immer bei mir. Genau das sagt das Christentum in der Nachfolge Jesu: Es liegt an mir zu gestalten und zu verantworten. Gerade der konfessionelle Religionsunterricht will dazu beitragen, dass das persönliche Gewissen erwacht und wach gehalten wird, sehr oft gegen den allgemeinen Strom der Zeit. Was ist dir wichtig? Was muss uns gemeinsam wichtig sein? Wie können Werte, Alltagsrituale und Communities christlich geprägte Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, Empathie, Weniger ist Mehr, usw. wichtig bleiben. Kurz: Wie kann die Offenheit auf Gott hin und von ihm her „offen“ bleiben?

Und nachher ins Kaffeehaus

Natürlich finden solche Gespräche auch in Kaffeehäusern statt. Manchmal sogar lebendiger als im Klassenzimmer. Und doch braucht es eine geordnete (das ist nicht gleich mit verordnet) Auseinandersetzung zu ethischen Fragestellungen. Religionen, die den Menschen auf das wahre Selbst hin öffnen (siehe Richard Rohr), sind ethische Biotope auf Zukunft hin. Wer in einem solchen Religionsunterricht damit nicht konfrontiert wird, der sollte im Ethikunterricht dazu die Gelegenheit bekommen (müssen). Da gebe ich dem Vorschlag von Staatssekretär Kurz vollinhaltlich recht. Und nachher sollen beide ins Kaffeehaus gehen. Oder sich sonstwo tiefen Diskussionen hingeben über Gott und die Welt. Ohne solidarisch gelebte Werte wird es in Zukunft „eng“. Das ist es zum Teil heute schon. Im Religions- und Ethikunterricht geht es ums Ganze. Und das ganz.

Religion im Rahmen Faszination Gesellschaft

Die VP hat wieder einmal eine ExptertInnengruppe „zusammengestellt“. Das Unbehagen im Bereich Bildung ist unglaublich groß. Das habe ich während meiner Zeit als GF bei Academia gespürt. Der Ausweg war nirgends sichtbar. Jede Idee hat sich in den Niederungen des Alltags und der (Partei)Interessen verfangen. Es scheint heute Mode geworden zu sein, dass ExpertInnen den Ball weit in die Zukunft werfen, uneingeschränkt, ohne Parteizugehörigkeit, ohne das Jetzt im Blick. Tut so, als ob wir alles neu erfinden. Viele Bälle liegen deshalb im Gestrüpp. Ohne Detailkarte kein Weiterkommen.

Faszination Gesellschaft

In der Presse werden alle Vorschläge, die diese Expertengruppe ausgearbeitet hat, aufgelistet. Ein Punkt hat mich schon gestern „angesprungen“: „Die geltende Fächerstruktur soll völlig aufgelöst werden, um vernetztes Denken zu fördern. So sollen die Fächer Geschichte, Geografie, Religion und Politik zu einem gemeinsamen Fach zusammengefasst werden.“ Natürlich werden hier gleich die alten Interessen ein riesiges Stopp-Schild aufstellen: Es ist ein konfessioneller Religionsunterricht, das Konkordat, Vermischung von Religion und Politik und Dienstrechtliches. Die Gewerkschaft sagt heute schon: „Völlig absurd“. Zurecht oder zu Unrecht lasse ich stehen. Ich möchte aber doch einem Gedanken nachgehen, der am Stoppschild vorbeisucht. Religion wird heute sehr oft privatisiert, ins Schul-Ghetto gedrängt und oft auch nicht ernst genommen. Es geht dort um die Weckung und Förderung von Überzeugungen und in Folge um Verantwortung aus diesem Glauben an Jesus Christus. Diese Verantwortung aus den Geist Jesu (siehe Seligpreisungen)  ist notwendig zur Zukunftsgestaltung. Tragend muss ein neues Paradigma werden. Darum: Täte es diesem Unterricht nicht einfach gut, wenn er eingebettet wäre in eine „zwingende“ Auseinandersetzung. Ich erinnere mich, dass mir über Karl Rahner erzählt wurde, dass er in seiner Gymnasialzeit in seiner Klasse acht Religionsbekenntnisse hatte. Angeblich hat es ihm nicht geschadet, sondern er hat das als unglaubliche Bereicherung erlebt. Religion mit Geschichte, Geografie und Politik zu „vermischen“ halte ich nicht gleich für eine Sünde. Aber ich bekenne: Auch ich habe keine Detailkarte. Oder sollten nicht auch die Fächer Musik, Soziales, Bewegung und Bühne angedacht werden?

 

Treten wir heraus aus dem Nebel

Es ist mittlerweile mehr als ein Jahr her, dass ich in Gmunden mit Heiner Geißler beim Frühstück saß. Ich empfinde es noch heute als besonderes Privileg, diesem Menschen so persönlich begegnet zu sein. Heute lese ich im Publik-Forum ein Interview mit ihm. Er wundert sich darin, dass sich Parteien nicht mit Amnesty International, Greenpeace, attac und den Occupy-Bewegungen oder „was es sonst an modernen Selbstinszenierungen der Zivilgesellschaft gibt“ zusammentun. Nach Heiner Geißler sind sie „Verbündete für den Erhalt der Demokratie“.

 Warum spitzen sich die Problemlagen so zu?

In der Politik und in der Ökonomie sind heute die ethischen Fundamente weggebrochen. Das Kapital dient heute nicht, sondern der Mensch und die Strukturen müssen dem Kapital dienen. Tatsächlich werden die Menschen vom Kapital beherrscht. „An die Stelle von Gott ist der Markt getreten. Er ist der große Gott, der alles regelt. Und das Kapital ist der große Götze, den alle anbeten müssen.“ Das ist die Ordnung der Welt heute und dem ordnet sich alles und alle unter.

Sie beklagen das Wegbrechen der Wertefundamente. Müsste da nicht viel mehr Einspruch von den Kirchen kommen?

Geißler wörtlich: „Von den Kirchen müsste viel mehr Druck ausgehen. Aber speziell die katholische Kirche ist als Inspirator und Ideengeber ein Totalausfall. Sie beschäftigt sich mit Sexualmoral statt mit den wahren Problemen der Menschheit.“ Wir werden in Zukunft „die Kirche“ im öffentlichen Raum differenzierter darstellen müssen.  Es gibt verschiedene kirchliche Säulen, „die unterschiedlich ticken“. Diese Vielfalt ist ein Reichtum. Gerade in den Ordensgemeinschaften und aus ihnen heraus entwickeln sich Initiativen, die Werthaltungen in konkretem Tun manifestieren. Ein Schutzhaus für vom Frauenhandel betroffene Frauen ist die Tat. Auch die Engagierten in den Pfarren an der Basis warten nicht mehr, bis von „oben“ etwas kommt, sondern legen ebenso Hand an und gestalten mit vielen Ideen ein neues Miteinander. Wenn wir hier unterscheiden, sehe ich vor mir neue Koalitionen auftauchen. Es geht nicht um die Rettung der Kirche, sondern um den Menschen in dieser unglaublich monetarisierten Gesellschaft. Gerade mit den Bürgerbewegungen  wie Respekt.net, Urban Gardening, Greenpeace, neue Tauschmodelle, Allmende, Commons, Occupy, Amnesty  können zielführende Koalitionen und Initiativen gesetzt werden. Wahrscheinlich müssen wir uns von „der Kirche“ (siehe Geißler: er meint die rein nach Rom gewandte Amtskirche) auch ein Stück weit auf Distanz bringen, damit die Kraft des Evangeliums wieder spürbar und kirchliche Milieus als gute Partner für den Menschen erlebbar werden. Der Götze „Geld und Markt“ wird nicht von alleine gehen. Da müssen wir uns gemeinsam in eine neue Richtung bewegen. Viele Ordensgemeinschaften sind schon unterwegs. Andere machen sich auf.

Wir wissen und spüren: Es sind schmale Pfade heraus aus dem Nebel. Aber es geht.